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Uran als Putschgrund?

Militärjunta übernimmt Regierungsgewalt in Niger. Spekulationen über außenpolitischen Kurswechsel: weg von China, hin zum Westen

Von Stefan Inführ *

Steht der Niger vor einem außenpolitischen Kurswechsel? Nach dem Staatstreich in dem westafrikanischen Land am Donnerstag blieb die Lage tags darauf zunächst unübersichtlich. Laut Agenturmeldungen wurde Präsident Mamadou Tandja, der während einer Kabinettssitzung in der Hauptstadt Niamey von Militärs gefangengenommen worden war, in ein »Lager« der Armee verbracht. Der bisherige Kommandant der Artellerie, Salou Djibo, übernahm den Vorsitz des »Obersten Rates für die Wiederherstellung der Demokratie«. Dieser besteht ausschließlich aus hohen Militärs und bildet zunächst die Regierung. Die Junta setzte die Verfassung außer Kraft und löste sämtliche Institutionen der Republik auf. Die Grenzen wurden geschlossen und der Flugverkehr gestoppt.

In Niger putschte das Militär

Nach einem Militärputsch im westafrikanischen Niger haben die neuen Machthaber die Verfassung außer Kraft gesetzt. Regierung und Parlament wurden aufgelöst. Frankreich und die Afrikanische Union (AU) verurteilten den Staatsstreich. Der Präsident der AU-Kommission, Jean Ping, sagte am Freitag, er verfolge die Entwicklung mit Sorge. Der entmachtete Staatspräsident Mamadou Tandja und einige Minister blieben im Gewahrsam der Sicherheitskräfte.

Hintergrund des Militärputsches ist offenbar ein seit Monaten andauernder Machtkampf zwischen der Opposition und Präsident Tandja, der sich den Weg für eine dritte Amtszeit geebnet hat. Soldaten hatten am Donnerstag den Präsidentenpalast in Niamey gestürmt, wo gerade eine Kabinettssitzung stattfand. In einer Fernsehansprache meldete sich ein Armeesprecher im Namen eines »Obersten Rates zur Wiederherstellung der Demokratie«. Er mahnte die Bevölkerung zur Ruhe. Die Landesgrenzen wurden geschlossen.



Seit 2009 gilt die politische Lage in Niger als äußerst angespannt. Der seit 1999 regierende Tandja hatte im vergangenen Jahr Parlament und Verfassungsgericht aufgelöst, um sich gegen die Verfassung eine dritte Amtszeit zu sichern. Dafür hagelte es Kritik: Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, Afrikanische Union (AU) und auch die Europäische Union (EU) protestierten; die USA verhängten im Dezember Sanktionen gegen das Land. Innenpolitisch geriet der 71jährige Präsident immer weiter unter Druck. So demonstrierten am vergangenen Sonntag in der Hauptstadt Niamey 10000 Menschen für eine Wiederherstellung verfassungskonformer Zustände.

Ob der Putsch indes zu einer weiteren Isolation des Landes führt, ist fraglich. Die AU äußerte »Besorgnis« und verurteilte den Staatsstreich. Offiziell wollten auch Frankreich und die USA das gewaltsame Vorgehen der Militärjunta nicht gutheißen. Allerdings zeigte sich ein Sprecher des State Department dennoch zuversichtlich, daß nun Wahlen durchgeführt werden können, die zur Bildung einer neuen Regierung führen.

Tatsächlich hatte sich Tandja während der vergangenen Jahre durchaus Feinde im Westen gemacht. Das geschah weniger wegen eines autokratischen Regierungsstils: Ein solcher wird gewöhnlich akzeptiert, wenn die Geschäftsinteressen westlicher Konzerne gewahrt bleiben. Vielmehr sorgte in den vergangenen Monaten die zunehmende Einflußnahme Chinas für Unruhe insbesondere in den USA und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.

Niger ist der sechstgrößte Uranförderer der Welt und erzielt etwa 70 Prozent seiner Außenhandelserlöse durch den Verkauf des radioaktiven Metalls. Bis vor kurzem war der überwiegende Teil der Vorräte vertraglich an den französischen Konzern AREVA, bis 2009 Weltmarktführer für Nukleartechnik, gebunden. Seit einigen Wochen jedoch ist Peking über die China National Nuclear Cooperation Miteigentümer einer großen Uranmine und macht den Franzosen Konkurrenz. Bereits zuvor hatte sich die Volksrepublik im nigerischen Ölgeschäft engagiert. Über die Chinese National Petroleum Company sollen fünf Milliarden Euro in die Erschließung der bisher eher vernachlässigten Ölreserven des Landes investiert werden.

Die Zurückdrängung des chinesischen Zugriffs auf die afrikanischen Rohstoffe war schon ein wichtiges Thema bei US-Außenministerin Hillary Clintons Afrikareise im August vergangenen Jahres. Durch den Sturz Tandjas bietet sich Washington nun zumindest eine Chance darauf, dessen chinafreundliche Wirtschaftspolitik grundlegend zu revidieren. Ob Westmächte bei dem Vorgehen der Militärs ihre Finger mit im Spiel hatten, bleibt zwar bis auf weiteres Spekulation – es wäre jedoch ungewöhnlich, wenn die ehemalige Kolonialmacht von dem Coup überrascht wurde. Frankreich zeigte sich dann auch über die Gefangennahme des Präsidenten wenig verwundert. Man habe gewußt, daß Teile der Armee nicht mehr hinter Tandja gestanden haben, zitierte BBC am Freitag »französische Diplomatenkreise«.

* Aus: junge Welt, 20. Februar 2010


Machtgierig

Mamadou Tandja - der Staatspräsident Nigers wurde weggeputscht

Von Martin Ling **


An bedachter Rhetorik fehlt es den Putschisten in Niger nicht: Unser Ziel ist es, die Demokratie wieder herzustellen und die Bevölkerung vor »Armut, Betrug und Korruption« zu schützen. Diese Ziele dürften von einer großen Mehrheit der verarmten Nigrer geteilt werden. Ob ausgerechnet eine Militärjunta sie verwirklichen wird, ist indes mehr als fraglich.

Unstrittig ist hingegen, dass der 1938 im Département Diffa im Osten des Nigers geborene Langzeitpräsident Mamadou Tandja einiges getan hat, um die formale Demokratie des Landes, die Anfang der 90er Jahre mit einem Mehrparteiensystem ihren Ausgang nahm, zu untergraben. Tandja, der es im Militär bis zum Oberstleutnant brachte, wechselte 1976 als Präfekt des Départements Maradi in die Politik und startete dann durch. Seine ersten Versuche als Spitzenkandidat der Nationalen Bewegung für die Entwicklungsgesellschaft (MNSD) für die Präsidentschaft in den 90ern schlugen indes fehl. Erst die Wahlen nach dem Aprilputsch 1999 hievten ihn im November im zweiten Wahlgang ins Präsidentenamt, das er seither innehatte. Dass die Verfassung lediglich zwei Amtszeiten von je fünf Jahren vorsieht, war ihm dabei ein Dorn im Auge. Statt verfassungsgemäß im Dezember 2009 abzutreten, führte er generalstabsmäßig eine Verfassungsänderung durch. Der sich zierende Oberste Gerichtshof wurde kurzerhand ebenso aufgelöst wie das widerspenstige Parlament. Die Opposition sprach von einem »kalten Putsch«. Am 4. August 2009 setzte Tandja dann seine maßgeschneiderte neue Verfassung, die unbegrenzte Amtszeitverlängerung ermöglicht, mit offiziell 92,5 Prozent Jastimmen durch. Oppositionsangaben zufolge ging fast niemand wählen.

Ein Szenario, das sich bei den Parlamentswahlen im Oktober wiederholte. 76 der 113 Abgeordnetensitze gingen bei dem von der Opposition weitgehend boykottierten Urnengang an Tandjas MNSD. Ansonsten begeisteren die Wahlen niemanden: Die westafrikanische ECOWAS setzte die Mitgliedschaft Nigers aus und die EU fror die Zahlung von Entwicklungshilfe ein. Der Putsch vom Donnerstag stößt bei ihnen trotzdem nicht auf Gegenliebe. Die Opposition hofft derweil, darüber bald an die Macht zu kommen wie einst Tandja 1999.

** Aus: Neues Deutschland, 20. Februar 2010


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