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Niger: Einer der zehn ärmsten Staaten der Welt

Die Entwicklungskrise verschärft sich mangels Infrastruktur

Den folgenden Text haben wir einer Serie entnommen, die im "Neuen Deutschland" im Juli/August 2003 erschien. Sie befasst sich mit den zehn ärmsten Ländern der Welt. Niger liegt in der Rangskala der UNDP-Liste auf Platz 174 (von 175 Staaten, die in der Liste enthalten sind).


Von John Eligon

Den jüngsten gegen Niger gerichteten Vorwurf konnte das westafrikanische Land kaum gebrauchen. Man habe versucht, Uran an Saddam Hussein zu verkaufen, so die britische Regierung. Eine Unterstellung, die Nigers Premier Hama Amadou für unhaltbar hält. Man sei schließlich voll damit beschäftigt, "Essen für die Bevölkerung und die Ausbildung aller Kinder" sicherzustellen.

Doch die Umsetzung dieses Vorhabens fällt der Regierung in Niamey nicht leicht. Vor allem die Kinder leiden unter der Armut: Mehr als jedes vierte Kind stirbt vor dem Erreichen des fünften Lebensjahrs. Dagegen ist die Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen Schulbesuch gering. Auf dem Land lastet eine Analphabetenrate von rund 84Prozent bei den Erwachsenen. Kinderarbeit, etwa in den Goldminen von Koma Bangou, ist an der Tagesordnung. Hinzu kommen Dürrekatastrophen, die jahrelange politische Instabilität unter wechselnden Militärregimes, die zum Teil schlechte Organisation humanitärer Hilfeversuche und der anhaltende Hunger - Probleme, die Nigers Platz am Ende der Armutsskala betonieren.

Auch die Demokratisierung des 1960 unabhängig gewordenen Landes vermochte einen Sieg gegen die Armut nicht zu befördern. Nach der Einführung eines demokratischen Mehrparteiensystems im Jahr 1990 hielten Korruption und Aufstände gegen die Regierung an. Militante Gruppen der Tuareg, die rund 10 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, rebellierten noch im Jahr der Demokratisierung und warfen der Regierung vor, versprochene Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft nicht durchgeführt zu haben. Erst fünf Jahre später wurde dieser Konflikt durch ein Friedensabkommen beendet. Doch Niger fand dadurch nicht zur Ruhe.

1996 setzte sich Ibrahim Baré Mainassara in einem Militärputsch gegen Mahamane Ousmane, den ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, durch. Mainassara gewann eine später angesetzte Präsidentenwahl unter Verzicht auf demokratische Spielregeln: Er stellte seine Gegenkandidaten unter Hausarrest und setzte ein eigenes Wahlgremium ein. 1999 wurde Mainassara bei einem Attentat getötet - vermutlich unter Beteiligung seines späteren Nachfolgers Daouda Mallam Wanke, des Chefs der Präsidentengarde.

Trotz der ungeklärten Umstände des Todes von Mainassara sahen Beobachter nun erneut die Chance für einen demokratischen Wandel. In der Tat wurde der Weg zu friedlichen Kommunalwahlen, einer neuen Verfassung und der Wahl des heutigen Präsidents Mamadou Tandja eröffnet.

Aber auch die relative politische "Normalität" half Niger nicht aus seiner Armutskrise. Nach Angaben der Weltbank mangelt es der Bevölkerung immer noch an Nahrung, Wasserversorgung, Gesundheitswesen und nachhaltigen Ausbildungsmöglichkeiten. Das Einkommen der Landbevölkerung hängt wesentlich von den Ernten und damit von den klimatischen Bedingungen ab. Doch immer wieder haben schwere Dürre-Katastrophen zu Einbußen bei der Ernährung und der Einkommensstruktur der Bevölkerung geführt. Nicht zuletzt unterstützt durch Faktoren wie Mangel an Niederschlägen, wachsende Sanddünen und eine steigende Bevölkerungszahl. Experten der Weltbank machen vor allem Nigers schlechte Infrastruktur für die trostlose Lebenslage der Bevölkerung verantwortlich. Im Gesundheitssystem fehlt es an ärztlicher Betreuung. Zudem sind die Kosten von Medikamenten für eine Mehrheit unerschwinglich. Die Probleme in Nigers Gesundheitswesen schlagen sich auch in deutlichen Zahlen nieder: So starben im Jahr 2000 rund 250 Menschen an einer Meningitis-Epidemie in der Nähe der Hauptstadt Niamey; insgesamt starben in jenem Jahr mehr als 1000 Menschen an der gefährlichen Hirnhauterkrankung. Darüber hinaus plagt sich das zweitärmste Land der UNDP-Statistik wie viele afrikanische Nachbarn mit AIDS: 2001 lag die offizielle Zahl der HIV-Infektionen bei 65000.


Fläche: 1267000 km˛
Bevölkerungrund: 10 Millionen, davon ca. 1,5 Millionen Nomaden
Religion: 95% sunnitische Muslime
Lebenserwartung: 45,6 Jahre
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 890 Dollar
Alphabetenrate: 16,5 Prozent
Kindersterblichkeit u. 5 Jahre: 265 von 1000
Einkommen unter 1 Dollar pro Tag: 61,4 Prozent


Zur Bekämpfung der Armutsprobleme erhält Niger zwar finanzielle Hilfe aus vielfältigen Quellen. So rang sich Frankreich im letzten Mai zu einem Schuldenerlass in Höhe von 110 Millionen Euro durch. Auch die Europäische Union leistet Entwicklungshilfe. Allerdings sind die Zahlungen nicht ausreichend - und gerieten bereits durch finanzielle Unregelmäßigkeiten in Gefahr. So unterbrach die EU Ende 2001 alle Hilfsprogramme in dem westafrikanischen Land für einige Monate.

Die Menschenrechtsorganisation Timidria machte kürzlich auf eine Studie aufmerksam, nach der in sechs der acht Provinzen rund 870000 Menschen als Zwangsarbeiter leben - trotz Gesetzen gegen Sklaverei. Außerdem wächst in der Bevölkerung der Unmut darüber, dass Entwicklungsprogramme nicht immer den Bedürfnissen der Armen gerecht werden. Dafür wird nicht zuletzt das schlechte Krisenmanagement der Regierung verantwortlich gemacht. So entstand außerhalb der Hauptstadt das Armutsviertel Koira-tégui, nachdem arme Hauptstädter von den Behörden aus Niamey vertrieben worden waren, weil dort Sanierungsarbeiten durchgeführt werden sollten.

Durch diese "Ausbürgerung" der Ärmsten der Armen verlieren Menschen in Niger zudem ihre Stimme in den Basisorganisationen der Gemeinden, die sich für die Verbesserung der Lebenssituation einsetzen. Dem Weltbankbericht zufolge waren in rund 100 dieser Basis-Komitees nur neun Repräsentanten der Armenviertel vertreten - von insgesamt mehr als 500.

Aus: Neues Deutschland, 6. August 2003


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