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Neuseeland steht vor einem Machtwechsel

Kleinere Parteien könnten nach Wahlen entscheidende Rolle spielen

Von Thomas Berger, Wellington *

Am heutigen Sonnabend (8. Nov.) wählen die »Kiwis« ein neues Parlament. Vieles deutet auf einen Machtwechsel in Wellington hin. Ausschlaggebend könnte sein, welche der kleinen Parteien einen Wiedereinzug schafft.

Noch vor anderthalb Jahren hätten sich Premierministerin Helen Clark und ihre Sozialdemokraten keine Sorgen machen müssen. Bei 40 Prozent lagen die Umfragewerte für die Labour Party, was auch diesmal wohl reichen würde, um weiter regieren zu können. Doch gegenwärtig liegt die oppositionelle National Party klar in Führung. Sagenhafte 18 Prozentpunkte betrug der Vorsprung der Konservativen drei Wochen vor dem heutigen Urnengang, so dass Oppositionsführer John Key nicht einmal einen Koalitionspartner gebraucht hätte. Inzwischen ist diese Zahl aber zusammengeschmolzen. Neue Umfragewerte sehen die Nationalen bei 45 Prozent, Labour ist auf 37 Prozent aufgerückt.

Es sind weniger Versagen der amtierenden Regierung und besonderes Vertrauen in die Fähigkeiten des Herausforderers, die für diese Wechselstimmung verantwortlich sind. Das Absacken von Labour in der Wählergunst ist weitgehend die Folge eines einzigen Gesetzes. Im Mai 2007 hatte das Parlament mit 113 gegen acht Stimmen entschieden, dass Eltern ihre Kinder künftig nicht mehr mittels körperlicher Züchtigung disziplinieren dürfen. Das »Anti-Ohrfeigen-Gesetz« haben viele »Kiwis« als Eingriff des Staates in ihre Privatsphäre gesehen und nehmen dies Helen Clark persönlich übel.

Letzte Meldung: Niederlage für Regierungschefin Helen Clark

Die Parlamentswahl in Neuseeland hat einen Regierungswechsel ergeben: Ministerpräsidentin Helen Clark verlor am Samstag (8. Nov.) mit ihrer Labour-Koalition gegen das konservative Bündnis ihres Herausforderers John Key. Nach Auszählung von 99 Prozent der abgegebenen Stimmen lag das von Keys Nationaler Partei geführte Bündnis mit 65 Stimmen klar vor Clark, deren Koalition auf 52 der 122 Mandate kam.
«Heute hat Neuseeland gesprochen, Hunderttausende haben für den Wechsel gestimmt», jubelte Key in seiner Siegesrede. Angesichts der globalen Finanzkrise liege ein steiniger Weg vor Neuseeland. «Morgen beginnt die harte Arbeit.» Clark, seit 1999 Regierungschefin, räumte ihre Niederlage ein und übernahm die Verantwortung dafür. «Es gibt immer einen gewissen Es-ist-Zeit-für-einen-Wechsel-Faktor und der hat uns mit der Flut hinausgespült», sagte sie. Sie bleibe Abgeordnete, werde sich aber aus dem Rampenlicht zurückziehen, sagte die 58-Jährige. «Das war's für mich. Danke Neuseeland für das Privileg, neun Jahre Ministerpräsident gewesen zu sein.»
Nachrichtenagentur AP, 08.11.2008



Obwohl die Nationalen ebenfalls für den Gesetzentwurf gestimmt hatten, richtete sich der geballte Unmut gegen die Premierministerin, die selbst kinderlos ist. 329 000 Unterschriften für ein Referendum wurden gesammelt, das allerdings aus Zeitmangel nicht zeitgleich mit der Wahl stattfinden kann, wie Helen Clark sagte. Das Gesetz könnte sie durchaus das Amt kosten. Dabei hätte sie sonst keine schlechten Karten, da der 43-jährige Oppositionsführer John Key vielen als unerfahren gilt. Zudem geben bei den Nationalen immer noch jene den Ton an, die für die unsoziale Politik der früheren konservativen Regierung verantwortlich waren.

Nach zwei Jahren neoliberalen Kurses beider großer Parteien hat die Armut in Neuseeland zugenommen. Viele Menschen sind durch die Maschen des mürber gewordenen sozialen Netzes gefallen. Mit der globalen Finanzkrise droht eine weitere Verschärfung. Dass die Regierung beispielsweise mit Förderprogrammen für junge Eigenheimerwerber und Senioren gegensteuert, kann die zunehmende Unsicherheit kaum bremsen.

Ein Machtwechsel wird allerdings mehr als je zuvor vom Abschneiden der kleinen Parteien abhängen. Sechs sind derzeit im Parlament vertreten, doch nicht allen dürfte der Wiedereinzug gelingen. Eine Partei braucht mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen, kann diese Hürde aber mit mindestens einem Direktmandat umgehen. So hat vor allem Außenminister Winston Peters seinen Wahlkampf zuletzt intensiviert. Für ihn geht es ums politische Überleben: Seine populistische, immigrationsfeindliche Partei New Zealand First rangiert nur noch bei drei Prozent. Der Juniorpartner der Regierung ist durch einen Spendenskandal angeschlagen, könnte den Schaden durch ein Direktmandat aber begrenzen. In ähnlicher Weise hoffen United Future, die Progressiven von Jim Anderton und die rechtskonservative Act Party auf ein Umschiffen der Fünf-Prozent-Hürde.

Nur zwei der kleineren Parteien müssen sich keine Sorgen machen. Die Grünen werden ihre sechs Mandate mindestens verteidigen können. Zuletzt wurden ihnen sogar bis zu elf Sitze vorausgesagt. Dass Labour ihr bevorzugter Koalitionspartner wäre, mit den Nationalen eine Zusammenarbeit aber kaum vorstellbar sei, hat Spitzenkandidatin Jeanette Fitzsimons deutlich herausgestellt.

Ähnlich schwierig würde für Key ein Bündnis mit der Maori-Partei werden, die sich seinerzeit von Labour abgespalten hatte. Die bisher vier Mandate sind ihr den Prognosen zufolge wieder sicher, doch es gilt auch als möglich, dass sie alle sieben speziellen Maori-Wahlkreise gewinnt. Nur wenige der Maori, der polynesischstämmigen Ureinwohner des Landes, sind konservativ eingestellt.

Gut ein Jahrzehnt liegen die großen Erfolge der Alliance Party zurück. Die aus unterschiedlichen Strömungen gebildete linke Sammlungspartei zerbrach damals an internen Widersprüchen. Seit zwei Legislaturperioden fehlt damit eine ausgesprochen linke Kraft im Parlament. Die Residents Action Movement (RAM), eine basisdemokratische Bewegung mit Verankerung vor allem in Auckland, hat 26 Kandidaten aufgestellt und hofft heute auf einen Achtungserfolg.

* Aus: Neues Deutschland, 8. November 2008

Der "Killer" ***

Für Oppositionsparteien weltweit erweist sich die globale Kreditkrise als Glück im Unglück. Nach dem Machtwechsel in den USA hat jetzt auch in Neuseeland die seit neun Jahren als Regierungschefin amtierende Helen Clark abzutreten. Abgelöst wird Clarks Labour-Regierung durch John Key von der Nationalen Partei, der im Wahlkampf nichts weiter zu tun brauchte, als von Neuseelands Rezession und kriselnder Währung zu profitieren. Für Key war es ausreichend, ein Neuseeland zu versprechen, das sicherer und wohlhabender als zuvor sein würde. In seiner Siegesrede kopierte er gar den künftigen US-Präsidenten Barack Obama: Die Neuseeländer hätten »für Wandel gestimmt«.

Tatsächlich verpasste Keys Mitte-Rechts-Partei mit 45 Prozent der Stimmen – oder 59 der 122 Parlamentssitze – am vergangenen Samstag (8. Nov.) die absolute Mehrheit nur knapp. Die Labour- Verbündeten, die Grünen, brachten es auf nur noch acht Sitze. Zu wenig, um mit den 43 Sitzen von Labour die Regierung zu bilden. Zwei kleinere Parteien sicherten Key bereits ihre Unterstützung zu; die Zusage der Maori-Partei wird erwartet.

Doch wie auch Obama, der in seiner Siegesrede vor Euphorie warnte und angesichts des Wahlresultats geradezu emotionslos wirkte, mahnte auch Key pragmatisch zu Geduld. »Der Weg vor uns dürfte ein sehr steiniger sein«, so der 47-Jährige, der seit 1995 für das Finanzhaus Merrill Lynch in Singapur und London gearbeitet hatte und dabei im Jahr 2,25 Millionen US-Dollar gemacht haben soll. In einem schwierigen Arbeitsklima harte Entscheidungen zu treffen, das sei ihm laut Berichten schon damals leicht gefallen. Bei immer guter Laune Dutzende Angestellte gefeuert zu haben, die sich bei Russlands Finanzkrise verkalkuliert hatten, habe ihm den wenige schmeichelhaften Titel »lächelnder Killer« eingebracht.

2001 gelang es der auch »Nats« genannten Nationalen Partei, Key für eine Politikerkarriere zu gewinnen. Große Richtungswechsel werden unter seiner Führung nicht erwartet. Clark wie Key versprachen Steuersenkungen und Programme zur Ankurbelung der Wirtschaft. Und die scheidende Clark warnte, »Nats« kopiere Labour und versuche, den rechtsgerichteten Kurs dahinter zu verbergen.


Daniel Kestenholz

*** Aus: Neues Deutschland, 11. November 2008




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