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Kein Konsens in Nepal

Opposition und Regierung streiten weiter über Verfassung. Generalstreik lähmt das Land

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Ein politisch motivierter Generalstreik hat am Dienstag das öffentliche Leben im Himalaja-Staat Nepal lahmgelegt. Die Opposition will damit die Regierungskoalition zwingen, nur im Konsens den ersten Entwurf der neuen Verfassung zu verkünden. Der Stichtag für diesen wichtigen, seit 2008 immer wieder verschobenen Akt ist der morgige Donnerstag.

Betriebe, Geschäfte und Schulen blieben am Dienstag landesweit geschlossen. Auf den Straßen der Hauptstadt Kathmandu durften nur Fahrzeuge der Polizei, der Medien, von Menschenrechtsorganisationen sowie Krankenwagen verkehren. Alle Kreuzungen wurden von Streikenden blockiert. Überlandbusse waren auf den Zufahrtsstraßen gestrandet. Zwischen Sicherheitskräften und Streikenden kam es zu Zusammenstößen. Rund ein Dutzend Autos gingen in Flammen auf. Über 50 Protestierende wurden festgenommen. Pushpa Kamal Dahal, der besser unter dem Namen Prachanda bekannte Chef der Vereinten Kommunistischen Partei Nepals - Maoistisch (VKPN-M), und Mohan Baidya, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Nepals – Maoistisch (KPN-M), beteiligten sich an Demonstrationen in Kathmandu. Bereits in der Nacht zu Dienstag gab es im Parlament handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten der Opposition und des Regierungslagers. Selbst Parlamentspräsident Subash Nembang wurde attackiert.

Hauptstreitpunkt ist die ursprünglich für den morgigen Tag geplante Verkündung des ersten Entwurfs der Verfassung. Bis zum 28. Mai, dem Tag der Republik, soll die endgültige Fassung des Grundgesetzes angenommen werden. Seit dem Ende des zehnjährigen Bürgerkriegs 2006, dem nachfolgenden Sturz der Monarchie, der Proklamation der Republik und dem Sieg der Maoisten bei den ersten freien Wahlen 2008 ist es den rivalisierenden politischen Parteien nicht gelungen, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Nun schien eine Einigung eigentlich nahe.

Am Wochenende waren die Regierungskoalition und das aus 19 Parteien bestehende Oppositionsbündnis, in dem die VKPN-M, die KPN-M sowie regionale Parteien der Madhesi-Volksgruppen den Ton angeben, angeblich zu einer Einigung in drei von vier Problemfeldern gekommen. Demnach wird künftig das Unterhaus den Premier wählen. Ein Gremium, dem die Abgeordneten des Parlaments und der Volksvertretungen der Bundesländer angehören, wählt das Staatsoberhaupt. Die Amtszeit des Verfassungsgerichts wird 19 Jahre betragen. Meinungsverschiedenheiten gab es lediglich über die künftige Struktur der Bundesrepublik. Deshalb kam am Montag das erwartete Konsensabkommen dann doch nicht zustande.

Für diesen Fall ist eine Abstimmung im Parlament über den Verfassungsentwurf vorgesehen. 414 der 601 Abgeordneten – alle aus dem Regierungslager – hatten dem Parlamentspräsidenten bereits am Freitag ihre Bereitschaftserklärungen für eine solche Abstimmung unterbreitet. Die für die Annahme des Verfassungsentwurfs erforderliche Zweidrittelmehrheit wird damit problemlos erreicht. Aber die Opposition, in deutlicher parlamentarischer Minderheit, pocht nun auf Konsens. Das kann den gesamten Verfassungsprozess blockieren. Wahrscheinlich verstreicht der 22. Januar nun – wie zuvor schon alle anderen Stichtage – ohne Resultat. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, initiierte die Opposition Handgreiflichkeiten im Parlament und rief schließlich den Generalstreik aus. Was bleibt, sind Ungewissheit und politische Instabilität.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. Januar 2015


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