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Nepal: Doppelt diskriminiert

Madhesi-Frauen und ihr schwieriger Kampf um Staatsbürgerinnenrechte

Von Thomas Berger *

Vielen in Nepal geht es so wie Saraswati Choudhary. Bereits seit neun Jahren ist die 29jährige verheiratet, wie sie dem einheimischen freien Reporter Deepak Gyawali vor einigen Wochen erzählte. Aber bis heute unternehme ihre Familie alles, um zu verhindern, daß sie die Staatsbürgerschaft des Landes beantragen kann. Während sich ihr Ehemann als Arbeitsmigrant längere Zeit in Saudi-Arabien aufhält, habe sie auch von den Schwiegereltern diesbezüglich keinerlei Unterstützung. Nicht, daß Saraswati keine Nepalesin wäre. Ihre Eltern stammen zwar ursprünglich aus dem benachbarten Indien. Sie selbst aber ist im Himalaja-Staat geboren und aufgewachsen. Doch nur wer ein Staatsbürgerschaftszertifikat vorweisen kann, ist wahlberechtigt und somit vollwertiger Einwohner mit allen Rechten. Ein solches Zertifikat muß extra beantragt werden, wobei Frauen dies nicht allein tun können. Ehemann oder Schwiegervater müssen sie auf dem Behördengang als »Zeugen« begleiten – was in Saraswatis Fall beide nicht wollen.

Folgerichtig ist die Beteiligung von Frauen an Wahlen in Nepal wesentlich geringer als die der Männer. In vielen muslimischen und Madhesi-Familien (Bewohner der Tiefebenen des Terai im Süden des Landes) steckt hinter der Weigerung der Männer, Frauen bei der Beantragung des Zertifikats zu unterstützen, die Angst vor möglichen Besitzansprüchen oder zu starker Eigenständigkeit der Ehefrauen bzw. Schwiegertöchter, wie die Frauenrechtsaktivistin Biyana Laxmi Roy gegenüber Deepak Gyawali erläuterte.

Im Süden Nepals sind die Madhesis zudem als Gruppe diskriminiert. Schon zu Zeiten der teilweise absolutistisch herrschenden Shah-Könige war die Einbürgerung dieser zuweilen Generationen zuvor aus Indien eingewanderten Untertanen nicht unbedingt gern gesehen. In einem 1962 eingeführten Gesetz wurde denkbar unpräzise eine »nepalesische Abstammung« als Voraussetzung für die vollen Staatsbürgerrechte verlangt, wie Dipendra Jha, Anwalt am Obersten Gerichtshof, in einem Artikel in der Tageszeitung Kathmandu Post im Juni 2013 schrieb. Ausgerechnet die 1990 verabschiedete neue Verfassung sorgte für eine noch stärkere Benachteiligung. Sie schreibt zum Beispiel Neueinwanderern eine Mindestfrist von 15 Jahren Seßhaftigkeit vor, bevor sie einen Einbürgerungsantrag stellen dürfen. Madhesi-Parteien kämpfen ebenso wie die meisten linken Parteien für eine vereinfachte Einbürgerung.

Madhesi-Frauen sind indes doppelt diskriminiert. Denn selbst, wenn ihre Ehemänner und Schwiegereltern bereits über das begehrte Zertifikat verfügen, wird es ihnen weiter vorenthalten. In den ganz armen Familien – meist Dalits, die laut dem hinduistischen Kastensystem am untersten Ende der sozialen Hierarchie stehen – sind oftmals beide Partner de facto staatenlos. Bei den etwas Bessergestellten soll durch die geltende Vorschrift verhindert werden, daß eine Ehefrau die angestammte rein männliche Erbfolge in Frage stellen oder bei einer – rechtlich immerhin möglichen – Scheidung einen Anteil am familiären Besitz einfordern kann. Zudem würde die Staatsbürgerschaft Frauen auch mehr Möglichkeiten bei der Berufswahl eröffnen. So verfügt beispielsweise die 24jährige Samudwiki Khan über einen höheren Bildungsabschluß. Weil sie aber das Zertifikat nicht hat, scheiterte sie bereits bei der Teilnahme an einer Vorbereitungsklasse für den öffentlichen Dienst, wie sie dem Wochenblatt The Week berichtete. So bleibt es durch die geltenden Vorschriften Tausenden Frauen verwehrt, selbst Geld zu verdienen und ökonomisch selbständig zu sein.

* Aus: junge Welt, Freitag 25. April 2014


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