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Maoisten düpiert

Waffenruhe in Nepal läuft ab

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Um den Friedensprozeß zwischen den maoistischen Rebellen und der Allianz aus sieben politischen Parteien (SPA) in Nepal ist es in den vergangenen Wochen still geworden. Yuvraj Gyawali von der KP Nepals (Vereinte Marxisten und Leninisten) gab als Begründung dafür »prozedurale Unstimmigkeiten über Prioritäten« an und äußerte im gleichen Atemzug, im Brennpunkt stehe das »Waffenmanagement«. Das scheint der Stein des Anstoßes zu sein, und eigentlich sollte dazu bereits in dieser Woche eine UN-Arbeitsgruppe in Nepal zusammenkommen. Zugleich läuft am heutigen Donnerstag die im April vereinbarte Waffenruhe ab. Dinanath Sharma, Sprecher der maoistischen KP, erklärte jüngst die Bereitschaft seiner Seite zur Verlängerung, um den Friedensprozeß nicht zu gefährden.

Allianz und Guerilla waren sich zuvor einig gewesen, die UNO darum zu bitten, die Einhaltung der Waffenruhe durch Soldaten und Guerilla zu überwachen. Trotzdem schickte Nepals Regierung einseitig am 2. Juli einen Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan zum »Waffenmanagement«. Die Maoisten erfuhren von dem Schreiben jedoch erst drei Wochen später durch die Medien und sahen sich verständlicherweise hintergangen. Mehr noch fühlten sie sich durch den Inhalt provoziert. Plötzlich ist die Rede von einer Entwaffnung der Rebellen.

Warnung vor Armee

Guerillachef Prachanda reagierte am 24. Juli in einem Brief an Annan empört. Darin lehnt er die Regierungsversion als gegen den Friedensprozeß gerichtet ab. Sie sei ohne Konsultation mit den Maoisten formuliert und ohne ihr Wissen verschickt worden. Zugleich schloß er eine einseitige Entwaffnung der Guerilla kategorisch aus. Bis zu den Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung sei das undenkbar, unterstrich er und verwies darauf, daß in Nepal jedermann wisse, daß das Militär »noch loyal zur autokratischen Monarchie steht«. Die demokratische Umgestaltung der Armee und deren glaubwürdige internationale Überwachung seien wichtig für die anvisierten freien und fairen Wahlen.

Verfassung in Arbeit

In der Schwebe ist neben dem »Waffenmanagement«, ob der Redaktionsschluß für die Ausarbeitung einer provisorischen Verfassung eingehalten werden kann. Am 16. Juni war ein Komitee damit beauftragt worden. Inzwischen gingen über 600 Vorschläge von Einzelpersonen, Institutionen, Parteien und Verbänden ein. Laxman Prasad Aryal, Komiteekoordinator, erklärte, daß 75 Prozent des Dokuments fertig sind. Doch bis Dienstag fehlten die Vorstellungen der politischen Schwergewichte– des Nepali Congress, der KP Nepals (VML) sowie der Maoisten. Deren Ideen jedoch sind wohl ausschlaggebend für die Formulierung der noch fehlenden Passagen der Verfassung. Vom Vorliegen des Entwurfs hängt der weitere politische Kurs ab.

Obwohl der Friedensprozeß auch nach drei Gesprächsrunden zwischen Prachanda und Premier Girija Prasad Koirala keine sichtbaren Fortschritte gemacht hat, geht die schrittweise Entmachtung des Königs weiter. Das Budget für ihn und seinen Hofstaat wurde um 71 Prozent reduziert. Am Montag durchtrennte die Regierung die letzte offizielle Verbindung zwischen dem Monarchen und den Streitkräften, indem sie das »Militärsekretariat« auflöste. Dabei handelte es sich um einen Trupp von 2000 Mann, der permanent im Palast zum Schutz des Herrschers, seiner Familie und der Hofschranzen stationiert war. Dessen Aufgaben übernimmt nun ein neu gebildetes Sicherheitskoordinierungsbüro im Verteidigungsministerium. Seinen Posten als Oberbefehlshaber des Militärs mußte König Gyanendra bereits im Mai räumen. Die Armee hat der Interimsregierung zwar ihre Treue bekundet, doch viele Nepaler trauen den Generälen nicht, die skrupellos während der Volkserhebung im April in die demonstrierende Menge schießen ließen und für den Tod von 17 Bürgern verantwortlich sind.

Aus strategischen Erwägungen verfolgen China und Indien, die beiden einzigen Nachbarn Nepals, den Wandel im Noch-Königreich mit höchstem Interesse. Neu-Delhi, über viele Jahre Waffenlieferant und enger Wirtschaftspartner Kathmandus, erkannte die Zeichen der Zeit bedeutend schneller als Peking und mahnte den Herrscher nicht nur in immer schärfer werdendem Ton zur Rückkehr zur Demokratie, sondern bot sich schließlich auch als Koordinator für verdeckte Kontakte zwischen den Maoisten und der politischen Allianz an. China hingegen distanzierte sich von den Rebellen, ohne sie allerdings jemals als Terroristen zu bezeichnen. Es hielt bis zum Ende zu Gyanendra und kritisierte nicht einmal dessen Putsch vom 1. Februar 2005.

Delegation aus Peking

Erst jetzt soll es laut Berichten in der nepalischen und indischen Presse zu geheimen Kontakten chinesischer Gesandter mit Prachanda und anderen maoistischen Führern in Dhulikhel bei Kathmandu gekommen sein. Am heutigen Donnerstag wurde der chinesische Vizeaußenminister Wu Tawei mit einer zehnköpfigen Delegation zu Gesprächen in Nepal erwartet. Mit diesem ersten offiziellen Besuch nach dem Machtwechsel setzt Peking ein zwar spätes, aber unmißverständliches Zeichen.

* Aus: junge Welt, 27. Juli 2006


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