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Im Kreis gedreht

Nepal verlängert Frist für Ausarbeitung von Verfassung erneut um ein Jahr. Ideologische Differenzen zwischen Maoisten und bürgerlichen Parteien zu groß

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Wie bereits vor Wochen vom Vorsitzenden des parlamentarischen Ausschusses für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung angekündigt, traf Nepals Regierung am Donnerstag eine wichtige Entscheidung: Die ursprünglich auf zwei Jahre festgesetzte »Lebensdauer« des Verfassungskonvents – der provisorisch als Parlament fungiert – wird erneut um ein Jahr verlängert. Damit soll die Volksvertretung genügend Zeit für die Ausarbeitung eines neuen Grundgesetzes erhalten. Dieses sollte eigentlich bereits im Jahre 2010 vorliegen. So war es 2008 nach den ersten freien Wahlen seit dem Sturz der Monarchie beschlossen worden. Doch tiefe politische Meinungsverschiedenheiten zwischen den bürgerlichen Parteien und der Vereinten KP Nepals (Maoistisch) verhinderten die Einhaltung dieser Frist. Exakt vor einem Jahr mußte diese deshalb um zwölf Monate verlängert werden. Die politische Krise schwelte freilich weiter.

Premier Jhala Nath Khanal hatte eigens seine Teilnahme an der Istanbuler Konferenz der am geringsten Entwickelten Länder (LDC) verkürzt, um am Donnerstag nach Kathmandu zurückzukehren. Dort berief er direkt ein Allparteienmeeting ein, um über die aktuelle Situation zu beraten. Die bürgerliche Partei Nepali Congress und eine Reihe anderer oppositioneller Parteien boykottierten das Treffen. Die Verlängerungsfrist beschloß die Regierung trotzdem. Ihr muß nun das Parlament mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Bildungsminister Gangalal Tuladhar und Pushpa Kamal Dahal Prachanda, der Chef der maoistischen Partei, zeigten sich vor Reportern skeptisch, den Entwurf der neuen Verfassung bis zum festgelegten Termin am 28. Mai 2012 abzuschließen. Prachanda verlangte von der Regierung, in der auch Minister seiner Partei sitzen, eine klare Roadmap für den logischen Abschluß des 2006 eingeleiteten Friedensprozesses sowie für die Arbeit am Verfassungsentwurf.

Es bleibt fraglich, ob dafür die kommenden zwölf Monate ausreichen werden. Denn den eigentliche Grund für die Verzögerungen bildet die ideologische Kluft zwischen den Maoisten und den bürgerlichen Parteien im Parlament. Die Vereinte KP Nepals hatte über zehn Jahre als Guerilla für radikale gesellschaftliche Veränderungen gekämpft und maßgeblich zum Sturz der Monarchie beigetragen. Sie stellen die stärkste Fraktion im Parlament. Viele bürgerliche Parteien stehen ihnen skeptisch gegenüber und wollen sie aus dem Verfassungsprozeß heraushalten.Alles, was in die Nähe von Basis- oder gar »Volksdemokratie« kommt, macht sie mißtrauisch . Dazu paßt, daß sie den Maoisten ständig vorwerfen, keine »richtige demokratische Partei« zu sein. Prachanda und seine Genossen nähren solche Anschuldigungen nicht selten mit Bemerkungen, wenn die Politiker nicht aus der Krise finden, werde man das Volk zu einer neuen Erhebung organisieren.

Das Gerangel um Macht und Posten macht wiederum große Teile der Bevölkerung skeptisch gegenüber ihren Politikern. Sie sehen in Neuwahlen durchaus eine Alternative, obwohl nicht klar ist, ob sich damit das jetzige Kräfteverhältnis entscheidend verändern würde. Die Vereinte KP Nepals ist im Parlament die weitaus stärkste Fraktion. Die Zeitung The Himalayan Times betitelte am Freitag ihren Bericht über die Fristverlängerung treffend mit »Ein Jahr im Kreis gelaufen«.

* Aus: junge Welt, 14. Mai 2011


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