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Nepal noch immer ohne Regierungschef

Parteien nicht zu Kompromissen fähig

Von Hilmar König *

Seit dem 1. Juli bemühen sich Nepals Politiker vergeblich um die Bildung einer neuen Regierung. In der vorigen Woche versuchten die Parlamentarier gleich zweimal, einen Premierminister zu wählen. Das Unterfangen scheiterte an der Uneinigkeit der drei politischen Hauptparteien.

Staatspräsident Ram Baran Yadav äußerte sich am Wochenende sehr besorgt, weil die Regierungskrise andauert. Er befürchtet, dass die Politikverdrossenheit der Bürger wächst und sich die Ausarbeitung einer Verfassung und damit die Wahl eines regulären Parlaments immer mehr verzögert. Der erhoffte Wandel der Lebensverhältnisse für die Masse der etwa 29 Millionen Nepalesen rückt in weitere Ferne.

Nachdem der bisherige Premier Madhav Kumar Nepal am 30. Juni nach gut einjähriger, verkorkster Amtszeit zurückgetreten war, beauftragte Yadav die drei Hauptparteien mit der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Die Vereinte KP Nepals (Maoistisch), der bürgerliche Nepali Congress (NC) und die KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) können sich jedoch nicht einigen. Stattdessen blockierten sie einander im erbitterten Machtkampf. Der Präsident sah dem unsinnigen Tauziehen nahezu drei Wochen zu, ehe er den Verfassungskonvent - das provisorische Parlament - aufforderte, den Premier direkt zu wählen.

Am vorigen Mittwoch (21. Juli) und am Freitag (23. Juli) schlugen auch diese Versuche fehl. Zur Wahl standen Pushpa Kamal Dahal Prachanda von der VKPN (M), der bereits zwischen August 2008 und Mai 2009 als Regierungschef amtiert hatte, und Ram Chandra Poudel vom Nepali Congress. Jhala Nath Khanal, der Chef der Marxisten-Leninisten, hatte seine Kandidatur zurückgezogen, denn Beratungen mit anderen Parteien hatten ergeben, dass er nicht die Zweitdrittelmehrheit erhalten würde, die er als Voraussetzung für nachhaltiges Regieren ansah.

Bei der Abstimmung am Freitag (23. Juli) kam Prachanda auf 242 Ja-Stimmen bei 226 Enthaltungen. Ihm fehlten 59 Stimmen zum Sieg. 124 Abgeordnete sprachen sich für Poudel aus, 228 enthielten sich der Stimme, darunter die Marxisten-Leninisten und die Abgeordneten der Vereinten Demokratischen Madhesi-Front, einer Allianz aus vier Parteien der Terai-Region. Die Stimmenverweigerer machten die Abstimmung eigentlich zur Farce.

Die Haltung der Marxisten-Leninisten kam zwar nicht unerwartet, blieb jedoch unverständlich. Denn ihr Vorsitzender Jhala Nath Khanal hätte im Falle einer Kandidatur die Unterstützung der Maoisten erhalten. Umgekehrt stimmte die KPN (VML) jedoch nicht für den Maoisten Prachanda, weil sie eine Regierung der nationalen Einheit für die bessere und stabilere Alternative hält.

Die Madhesi-Front hatte mehrere Bedingungen an die Konkurrenten gestellt, denen jedoch weder die Maoisten noch der Nepali Congress entsprechen wollten. Die Front verlangt für die Terai-Region den Status einer autonomen Provinz mit dem Recht auf Selbstbestimmung und die Aufnahme von Madhesis als Gruppe in die Streitkräfte. Zu ihrem Forderungskatalog gehören überdies eine zügige Arbeit an der Verfassung, die Rückgabe von Privateigentum, das während des zehnjährigen »Volkskrieges« beschlagnahmt wurde, die Eingliederung der maoistischen Kämpfer in die nationalen Sicherheitskräfte binnen vier Monaten und eine Demokratisierung der nepalesischen Armee.

NC-Führerin Sujata Koirala, bislang Außenministerin, überraschte mit dem Angebot, man sollte den Maoisten, die mit 238 Parlamentariern die weitaus stärkste Fraktion im Verfassungskonvent stellen, die Regierungsbildung erlauben. Allerdings müssten sie zuvor drei Bedingungen erfüllen: die Zahl ihrer in die Sicherheitskräfte einzubeziehenden Kämpfer begrenzen, die paramilitärischen Strukturen ihrer Jugendliga auflösen und beschlagnahmtes Privateigentum zurückgeben.

Wie die Entwicklung seit der Proklamation der Republik im Jahre 2008 zeigt, fällt es allen Politikern auch nach dem Sturz der Monarchie schwer, Kompromisse zu schließen und sich daran zu halten. Beharrt jede der Parteien auf ihrer Position, wird auch der nächste Wahlversuch am 2. August ohne Resultat bleiben.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2010


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