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Signal zur Regierungsbildung

Nepalesen sieht einer Woche mit historischen Entscheidungen entgegen

Von Hilmar König, Delhi *

Nepals Premier Girija Prasad Koirala hat am Wochenende den Chef der KPN (Maoistisch), Pushpa Kamal Dahal Prachanda, mit der Regierungsbildung beauftragt. Am Mittwoch wird die verfassunggebende Versammlung, die auch als Übergangsparlament fungiert, auf ihrer ersten Sitzung die Republik proklamieren und der Monarchie ein Ende bereiten. Ob das Land bis dahin auch eine neue Regierung hat, ist indes unwahrscheinlich.

Zu viele Hürden blockieren eine schnelle Konsensbildung in dieser wichtigen Frage. Denn die anderen politischen Parteien bestehen auf Bedingungen für ihren Beitritt zu einer Koalitionsregierung. Konträre Positionen zwischen ihnen und den Maoisten gibt es zu Verfassungsergänzungen, die darauf zielen, eine künftige Regierung mit einfacher Stimmenmehrheit abwählen zu können. Bislang war dazu eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Außerdem soll eine Machtteilung zwischen den Hauptparteien festgelegt werden: Dazu will man das neue Amt eines zeremoniellen Präsidenten kreieren, der sich die Verantwortung mit dem Premier und dem Vorsitzenden der verfassunggebenden Versammlung teilt.

Das Sekretariat der KPN (M) hat auf seiner Sitzung am Wochenende alle diese Forderungen abgelehnt, die eindeutig auf Beschneidung des Einflusses der Maoisten gerichtet sind. Diese haben bei den Wahlen vom 10. April immerhin 220 der 601 Abgeordnetensitze gewonnen und sind die mit Abstand stärkste Fraktion. Ihnen folgen der Nepali Congress mit lediglich 110 Sitzen, die KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) mit 103 und die beiden Parteien der nach Autonomie strebenden südlichen Terai-Region mit zusammen 72 Sitzen. Zu erwarten ist ein harter Kampf um die erwähnten Punkte, der die Regierungsbildung verzögern wird. Prachanda glaubt dennoch, dass eine ohne »Wenn und Aber« von seiner Partei geführte »Konsensregierung« bis spätestens 2. Juni installiert wird.

Unterdessen wird mit Spannung verfolgt, wie sich Nepals König Gyanendra Bir Bikram Shah Dev verhält. Laut einem Bericht der Wochenzeitung »Jana Aastha« hat er in der Nacht zum Sonnabend seinen Narayanhity-Palast im Zentrum Katmandus verlassen und sich in den acht Kilometer entfernten, in den Bergen liegenden Nagarjun-Palast zurückgezogen. Die Hofschranzen bezeichneten diesen Ortswechsel zwar als »routinemäßigen Wochenendausflug«. Doch die »Exkursion« nährt Spekulationen, der Herrscher habe vor dem offiziellen Ende der Monarchie das Handtuch geworfen.

Sollte das wirklich der Fall sein, vermeidet der König eine möglicherweise gewalttätige Konfrontation in der Hauptstadt. Die Maoisten haben angekündigt, zu Tausenden am Mittwoch den Narayanhity-Palast zu umzingeln, wenn der Herrscher sich uneinsichtig zeigen sollte. Zur selben Zeit wollen Aktivisten der Welthindu-Föderation, die mit allen Mitteln für den Erhalt der Monarchie in Nepal eintritt, mit einem Sitzstreik das Birendra International Convention Centre in Katmandu belagern, in dem die verfassunggebende Versammlung tagt. Da es auf beiden Seiten an militanten Fanatikern nicht mangelt, ist eine blutige Auseinandersetzung nicht ausgeschlossen. Niemand kann voraussagen, ob die Armee, die ja bis zum Jahre 2006 der bewaffnete Arm der Monarchie war, das als Vorwand zum Eingreifen nehmen würde. Bis dato versicherten die Generale allerdings der Übergangsregierung mehrfach ihre Loyalität. In jedem Fall sieht Nepal einer Woche entgegen, in der historische Entscheidungen fallen.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2008


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