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"Machen wir weiter"

Nepals Widerstandsbewegung zeigt eine bemerkenswerte Aktionseinheit im Kampf gegen das monarchistische Regime

Von Hilmar König*

Auch nach dem fragwürdigen Angebot von König Gyanendra, »dem Volk die Souveränität zurückzugeben«, läßt die Opposition in Nepal nicht locker. Trotz erneuertem Ausgehverbot und Schießbefehl waren am Samstag und auch am Sonntag in Kathmandu und anderen Städten insgesamt über 300000 Demonstranten auf den Straßen, um ihren Widerstand gegen die Willkürherrschaft des Monarchen zu bekunden. In der Hauptstadt schafften sie es, bis auf einen Kilometer an den Narayanhita-Palast heranzukommen. Gummigeschosse, Tränengas und Bambusknüppel von Polizisten und Soldaten verhinderten, daß sie bis an den hohen Zaun gelangten, hinter dem sich Gyanendra noch in Sicherheit wähnt. Rund 150 Menschen mußten am Samstag mit Verletzungen in Krankenhäusern behandelt werden. Das Rote Kreuz registrierte 243 Verletzte.

Einschüchtern ließen sich die Demonstranten dennoch nicht. Unter Rufen wie »Es lebe die Demokratie!« und »Gyanendra, verlassen Sie das Land!« zogen sie durch die Straßen. Was vor etwas mehr als zwei Wochen mit einem Generalstreik für die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen begann, entwickelt sich mehr und mehr zu einer Volksbewegung, die der Monarchie ein baldiges Ende setzen könnte. Wie derzeit zu beobachten, hatte bereits 1990 der Aufstand begonnen, mit dem das feudale System beseitigt und eine Mehrparteiendemokratie eingeführt wurde. Der damalige König Birendra zog die Notbremse und rettete sich in eine konstitutionelle Monarchie.

Sein jüngerer Bruder Gyanendra hingegen weigert sich, die Realität anzuerkennen. Seine Offerte vom Freitag wies die oppositionelle Allianz aus sieben Parteien (SPA) noch am selben Tag zurück. Mit dem Vorschlag, aus deren Reihen einen Premierminister zu benennen, hoffte der König, einer weiteren Eskalation des Widerstands zu begegnen. Doch die SPA blieb einig: Das Angebot sei unzureichend und nicht befriedigend, weil es einen Weg zu anderen politischen Verhältnisse nicht einmal erwähnt. Dazu gehören die Auflösung des jetzigen königstreuen Regimes, die Wiedereinsetzung des Parlaments und vor allem Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung.

Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Nepals (Vereinte Marxisten und Leninisten), Madhav Kumar Nepal, erklärte: »Die Souveränität des Volkes kann nur durch eine solche Versammlung gewährleistet werden.« Die maoistischen Rebellen, die seit November 2005 durch ein Abkommen mit der SPA kooperieren, versicherten gleichfalls, weiter zu kämpfen, bis das Land eine neue Verfassung hat. Guerilla-Führer Prachanda bezeichnete das Angebot des Königs als eine »Beleidigung« der Massen, die eine »konstituierende Versammlung und republikanische Verhältnisse« verlangten.

SPA, Rebellen, politische Aktivisten und große Teile der Bevölkerung zeigen eine bemerkenswerte Aktionseinheit. Sie trauen dem hinduistischen König nicht mehr, was auch immer er versprechen mag. Ein Demonstrationsteilnehmer brachte am Samstag die Stimmung auf den Punkt, als er noch eindeutiger als die Oppositionspolitiker äußerte: »Das Angebot des Königs soll lediglich unsere Bewegung spalten. Laßt euch nicht hinters Licht führen. Machen wir weiter!«

* Aus: junge Welt, 24.04.2006


Warum Gyanendras Offerte abgelehnt werden musste

(...) Gyanendras halbherziges Kompromissangebot hat viele Nepalesen noch mehr aufgebracht. Mit leichenbitterer Miene bot er am Freitag in einer TV-Ansprache der Sieben Parteien-Allianz an, einen Regierungschef vorzuschlagen. Vor einigen Monaten hätte er damit die Lage vielleicht noch beruhigt. Doch die Menschen wollen längst mehr, ein neues, anderes Nepal. Am Samstag zeigten viele Demonstranten deutlich, was sie von Gyanendras Angebot halten: Sie trugen grüne Zweige mit sich - die sollen den Scheiterhaufen für die Monarchie symbolisieren.
Für Außenstehende ist schwer zu verstehen, warum die Opposition das Angebot so erzürnt ablehnte. Aber die Parteien sehen in Gyanendras Offerte nur einen neuen Trick, um Zeit zu gewinnen, Zwietracht in der Opposition zu säen und die Rufe nach einer Republik zu ersticken. Der Generalsekretär der Kongresspartei, Ram Chancra Poudel, sprach von einer "Intrige, um die Protestbewegung zu spalten".
Zwar würde Gyanendra formell Macht abgeben, aber er wäre weiter im Spiel: Er bliebe Oberbefehlshaber der Armee, könnte sich weiter in die Regierung einmischen oder sie gar wieder absetzen. Die Sieben-Parteien-Allianz antwortete mit eigenen Bedingungen: Das Parlament solle wieder eingesetzt und der Weg für die Verabschiedung einer neuen Verfassung geebnet werden.
Doch nichts fürchtet Gyanendra mehr: Denn alles spricht dafür, dass die neue Verfassung Nepal zur Republik machen und die jahrhundertealte Hindu-Monarchie auf eine rein zeremonielle Rolle zurückstutzen würde - oder ganz abschaffen. Offenbar dämmert dem Hindu-König, der von sich gerne als "wir" spricht, nur sehr langsam, dass er ein Herrscher ohne Volk ist. "Der König klammert sich an die Macht wie ein Affe an den Baum", sagt einer Demonstranten. "Es ist schamlos." (...)


Auszug aus einem Hintergrundartikel von Christine Möllhoff ("Köpft den König"), der am 24. April auf Seite 3 der Frankfurter Rundschau erschien.




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