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Gegen "Diktat des Militärs"

Nepal: Parteichef Prachanda erwägt Bildung "paralleler Regierung"

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Wenn die Koalitionsregierung unter Premier Madhav Kumar Nepal die Maoisten zur nächsten Phase ihrer Protestbewegung zwingt, könnte die KP Nepals (Maoistisch) sich zur Bildung einer »parallelen Regierung« entschließen. Das erklärte Parteichef Pushpa Kamal Dahal Prachanda am Sonntag auf einer Pressekonferenz in der südlichen Stadt Birganj. Man habe zwar den Plan, »autonome Bundesstaaten« zu schaffen, aufgegeben, nicht aber die Kampagne zur Gewährleistung der »zivilen Vorherrschaft«, betonte Prachanda.

Diese Kampagne läuft seit einigen Monaten. Im Mai war der KPN(M)-Vorsitzende vom Amt des Premierministers zurückgetreten, weil Staatspräsident Ram Baran Yadav die von der damaligen maoistischen Regierung verfügte Entlassung des inzwischen pensionierten Armeechefs Rukmangad Katawal nicht akzeptiert hatte. Die Maoisten bewerteten das als Anerkennung des »Diktats des Militärs« und fordern von Yadav, seine Position zu revidieren. Zu der Kampagne gehören der Boykott des Verfassungskonvents (Parlament), Straßenblockaden, öffentliche Meetings und Demonstrationen sowie Streiks. Prachanda deutete am Wochenende an, den Parlamentsboykott vorübergehend abzuschwächen, damit die Abgeordneten wenigstens das Budget 2010 verabschieden können. Seiner Meinung nach könnten ein neuer »politischer Mechanismus« und eine von den Maoisten – deren Partei stellt im Parlament weitaus mehr Abgeordnete als die bürgliche Partei Nepali Congress und die KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) – geführte »Regierung der nationalen Einheit« innerhalb einer Woche etabliert werden, wenn es eine klare Entscheidung zur Sicherung der »zivilen Vorherrschaft« gibt. Prachanda reagierte auf eine Intervention der in Kathmandu akkreditierten Botschafter, die für den 10. November geplante Abriegelung des Flughafens der Hauptstadt vorerst nicht durchzuführen. Doch auf dem Landweg werde Kathmandu von allen Seiten blockiert, bekräftigten die Maoisten.

Regierungschef Madhav Kumar Nepal rief unterdessen die KPN(M) auf, sie sollte ihren Protest aufgeben und verhandeln. Unter den politischen Parteien seien Konsens und Einheit erforderlich, um den 2006 besiegelten Friedensprozeß zu einem logischen Abschluß zu bringen. Mohantha Thakur, der Vorsitzende der Terai Madhes Loktantrik Party, machte die drei führenden politischen Parteien gleichermaßen verantwortlich für die seit Mai bestehende tiefe politische Krise, die die Ausarbeitung einer neuen Verfassung gefährde. Für weitere Unruhe sorgte am Wochenende die Erklärung von Ash­ok Rai, dem Vize der KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten), Führer des Nepali Congress (NC) hätten seiner Partei vorgeschlagen, den Verfassungskonvent aufzulösen, Präsidentenherrschaft zu proklamieren und eine Verfassungskommission einzusetzen, die eine neue Verfassung ausarbeitet, da die zur Zeit damit beauftragten Gremien zu sehr von Maoisten dominiert würden. Die ML habe dieses Ansinnen strikt abgelehnt, sagte Rai. Aus NC-Kreisen wurde diese Erklärung als Hirngespinst zurückgewiesen.

Die UN-Mission in Nepal hat in einer Einschätzung des Friedensprozesses die Mitwirkung der Maoisten an der weiteren politischen Gestaltung der Demokratischen Bundesrepublik Nepal als wesentlich bezeichnet. Friedensminister Rakam Chemjong hingegen bewertete diesen Report als »völlig einseitig«. Das alles läßt erkennen, wie weit entfernt die politischen Lager von einer Konsenslösung der politischen Krise noch sind.

* Aus: junge Welt, 10. November 2009


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