Maoisten in der Offensive
In Nepal kamen bei Guerilla-Attacken über 130 Menschen ums Leben
Hilmar König, Neu Delhi
Die Regierung des Himalaja-Königreiches Nepal ist schwer
angeschlagen. Politiker der Opposition fordern den Rücktritt von
Premier Sher Bahadur Deuba, der erst im Sommer vorigen Jahres
sein Amt angetreten hatte. Zu dieser kritischen Situation kam es,
weil am Wochenende maoistische Rebellen im Westen und Osten des
Landes mit einer bisher nicht gekannten Wucht angegriffen hatten.
Mangalsen, der Hauptort des Distrikts Achham, wurde von mehr als
100 Angreifern geradezu überrannt. Sie töteten den Distriktverwalter
und zahlreiche Zivilisten sowie 48 Soldaten und 49 Polizisten. Sie
setzten Regierungsgebäude in Brand, brachen ein Gefängnis auf und
ließen alle Insassen frei. Sie plünderten eine Bank, attackierten
Polizeiposten, Armeebaracken sowie ein Munitionsdepot. Sie
besetzten den Flugplatz Sanphebagar und brachten dabei 22
Polizisten um. Und im Distrikt Sarlahi erschossen sie vier Polizisten.
Laut offiziellen Angaben kamen insgesamt 138 Menschen ums Leben.
Das war die blutigste Episode im fast sieben Jahre andauernden
Kampf der Mao-Guerilla gegen die Monarchie. Die Rebellen, die in
der peruanischen Guerillaorganisation »Leuchtender Pfad« (Sendero
Luminoso) ihr Vorbild sehen, verlangen eine Änderung des
Regierungssystems, Abschaffung der Monarchie und Proklamation
einer volksdemokratischen Republik.
Der Premier hatte zu Beginn seiner Regierungszeit versprochen, die
Konfrontation mit den Maoisten zu beenden. Zu diesem Zwecke
vereinbarten beide Seiten einen Waffenstillstand. Die Verhandlungen
zogen sich hin, weil sich bald zeigte, daß es keinen gemeinsamen
Nenner geben würde. Die Regierung lehnte jegliche Veränderung der
politischen Strukturen ab. Die Rebellen forderten grundlegende
Verfassungsreformen, die ihnen den Weg zur Beteiligung an der
Macht geebnet und schließlich die Gründung einer Volksrepublik
ermöglicht hätten. Im Herbst 2001 hatten sich die
Verhandlungspartner in eine Sackgasse manövriert. Der
Waffenstillstand wurde beendet, die Maoisten riefen eine
»Revolutionäre Regierung« aus und widmeten sich wieder dem
»Volkskrieg«.
An diesem Punkt schwenkte der Regierungschef völlig um, holte sich
vom König die Erlaubnis zum Einsatz der Armee gegen die Guerilla
und verhängte den Ausnahmezustand. Bis dahin hatte die Polizei sich
allein mit den Aufständischen auseinandersetzen müssen, in deren
Reihen erfahrene Gurkha-Krieger kämpfen. Deuba hoffte, die
königlichen Streitkräfte könnten den Militanten bedeutend besser
Paroli bieten. Doch seine Rechnung ging nur teilweise auf: Die
Soldaten sind zwar viel besser ausgebildet und bewaffnet als die
Polizisten, aber von Guerillataktik verstehen auch sie nicht viel. Die
Anfangserfolge im »Kampf gegen den Terrorismus«, so die offizielle
Lesart Kathmandus, verstellten dem Premier den Blick für die
Realitäten. In den ersten Monaten setzte die Armee rund 500
Maoisten außer Gefecht. Aber damit war deren Rückgrat nicht
gebrochen. Sie besitzen unter der lokalen Bevölkerung offenbar
stärkeren Rückhalt, als sich die Regierung vorstellen konnte. Mit der
jüngsten Großoffensive demonstrierten sie, daß mit ihnen auch
weiterhin gerechnet werden muß.
Die Regierung wie auch König Gyanandra Bir Bikram wollen zunächst
eine Verlängerung des Ausnahmezustands um drei Monate, um die
politische Krise zu meistern. Das Parlament befaßte sich am Montag
mit einer entsprechenden Resolution, die aber von der starken
kommunistischen Opposition wahrscheinlich abgelehnt wird. Premier
Deuba appellierte an alle Parteien, »Einheit im Kampf gegen den
Terrorismus« zu zeigen. Die Kommunisten meinen, man könne auch
ohne Ausnahmezustand gegen die Rebellen kämpfen. Kathmandu
rechnet in seinem Kampf mit der Unterstützung der USA. Deren
Außenminister Colin Powell besuchte im Januar das Königreich und
versprach Hilfe. Scharf ist die nepalische Regierung vor allem auf
Waffen und Rüstungsgüter.
Aus: junge welt, 19. Februar 2002
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