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Nepals Maoisten an der Spitze

Parteiführung: Wahlresultate reflektieren Wunsch des Volkes nach Wandel

Von Hilmar König, Delhi *

Obwohl die Stimmenauszählung der Wahlen vom 10. April zur ersten Verfassunggebenden Versammlung Nepals noch in vollem Gange ist und sich noch über mindestens zehn Tage erstrecken wird, ist der Trend unverkennbar: Die Maoisten liegen bereits weit in Front und haben selbst in traditionellen Hochburgen des Nepali Congress (NC) überraschende Siege verbucht.

Rot war am Wochenende die dominierende Farbe in der Hauptstadt Katmandu. 10 000 Anhänger der KPN (Maoistisch), die Gesichter mit roten Hämmern und Sicheln bemalt, rote Parteifahnen schwenkend und rotes »Gulal«- Pulver verstreuend, hatten sich am Samstag vor dem Auszahlungszentrum zu einer enthusiastischen Feier versammelt. Den Grund dafür lieferten die ersten bekannt gegebenen Resultate, die die Maoisten klar vor dem Nepali Congress und der KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) auswiesen.

Parteichef Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda gewann in den Wahlbezirken Katmandu-10 und Rolpa-2 mit überwältigendem Vorsprung. Auch die anderen namhaften Köpfe der Partei, darunter Baburam Bhattarai und Informationsminister Krishna Prasad Mahara, setzten sich gegen ihre Konkurrenten durch. Am Sonntagmittag Ortszeit lagen die Maoisten mit 47 Sitzen (von 85 ausgezählten Wahlbezirken) vor der KPN (VML) mit 16 und dem NC mit 12 Sitzen vorn. Das exzellente Abschneiden überraschte vor allem Diplomaten und ausländische Beobachter, die -- aus welchen Gründen auch immer -- nur mit einer maoistischen Repräsentanz zwischen fünf und zehn Prozent im Verfassungskonvent gerechnet hatten. Bei anhaltendem Trend kann die KPN(M) jetzt jedoch sogar die absolute Mehrheit erringen.

Parteichef Prachanda sprach auf dem Rathausplatz von Kathmandu zu den Versammelten und bewertete den »Sieg als Mandat für dauerhaften Frieden, für die Errichtung einer demokratischen Republik und für rapide wirtschaftliche Entwicklung«. Er bekräftigte, dass seine Partei mit aller Ernsthaftigkeit am Friedensprozess festhalten und dabei mit allen anderen Parteien zusammenzuarbeiten wolle. Der internationalen Gemeinschaft und besonders den Nachbarn Indien und China versicherte er »gute Beziehungen zu allen«.

Baburam Bhattarai, der zweite Mann der Maoisten, interpretierte gegenüber der indischen Zeitung »The Hindu« die bisherigen Resultate als Auftrag zum Wandel. »Die Menschen wollen Veränderungen im Land. Aber die alten Parteien halten am Status quo fest. Deshalb entschieden sich so viele Wähler für uns.« Bhattarai resümierte als Hauptaufgaben, dem Feudalismus ein Ende zu bereiten und eine demokratische Bundesrepublik mit regionaler Autonomie zu etablieren. »Wir werden uns für ein Ende der Korruption, der Armut und Arbeitslosigkeit sowie für schnelles ökonomisches Wachstum und nationale Industrialisierung engagieren«, sagte er.

Zu den prominenten Verlierern der Wahlen gehört Madhav Kumar Nepal, seit 15 Jahren Generalsekretär der KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten). Er verlor gegen den maoistischen Kandidaten und kündigte seinen Rücktritt von der Parteispitze an. Auch der amtierende NC-Präsident Sushil Koirala will nach seiner Niederlage zurücktreten. Der frühere Premier Surya Bahadur Thapa musste sich ebenfalls von einem maoistischen Kandidaten geschlagen geben.

In der südlichen, nach Autonomie strebenden Terai-Region verbuchten bislang die örtlichen Parteien Gewinne, aber auch dort gehen die Maoisten nicht leer aus. Das nepalische Neujahr 2065, das am Sonntag gefeiert wurde, scheint in der Tat eine neue Ära einzuläuten.

* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2008


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