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Ende einer Ära

Kommt nach Koiralas Tod Bewegung in die politische Landschaft Nepals?

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Auch wenn der Tod Girija Prasad Koiralas, des langjährigen Führers der sozialdemokratischen, zentristischen Partei Nepali Congress (NC), nicht überraschend kam, zeigt sich die Parteienlandschaft der Himalaja-Republik doch erschüttert. Der 86 Jahre alte Veteran, einer der profiliertesten und gewieftesten Politiker Südasiens, starb am Samstag (20. März) in Kathmandu nach langer Krankheit an einem Lungenleiden. Am Sonntag (21. März) wurde er im Dashrat-Stadion aufgebahrt, damit die Bevölkerung Abschied von dem gleichsam verehrten wie oft scharf kritisierten Staatsmann nehmen konnte.

Die Vereinte KP Nepals (Maoistisch) bezeichnete den Tod Koiralas als »Verlust für den zerbrechlichen Friedensprozeß«. Der Parteivorsitzende Pushpa Kamal Dahal Prachanda verhandelte bis zuletzt mit Koirala über eine Formel zur Machtteilung. Seit Mai vorigen Jahres stehen die Maoisten in Opposition zu einer Koalition aus NC und KP Nepals (Vereinte Marxisten und Leninisten). Deshalb steckt das Land in einer tiefen politischen Krise, die ohne Regierungsbeteiligung der Maoisten nicht beigelegt werden kann. Sie bilden die weitaus stärkste Fraktion im Parlament. Im Mai ist Redaktionsschluß für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Doch wegen der Krise und einem über Monate anhaltenden, inzwischen beigelegten Parlamentsboykott der Maoisten wird dieser Termin nicht eingehalten werden können.

Jhal Nath Khanal, der Chef der KPN (VML), erklärte im Zusammenhang mit Koiralas Ableben, »die historische Verantwortung für den logischen Abschluß des Friedensprozesses und für die pünktliche Verabschiedung der Verfassung« liege nun bei seiner Partei. Das sehen nicht nur die Maoisten anders, sondern auch alle anderen politischen Parteien, zumindest all jene von ihnen, die im November 2006 das Friedensabkommen unterzeichnet hatten.

»Koirala Babu«, wie ihn seine Parteiaktivisten nannten, stammte aus einer Politikerfamilie. Seine Vater lebte im Exil in Indien und bekämpfte von dort aus die feudalistische Rana-Diktatur. 1947 gründeten die Exilanten den Nepali National Congress. Girija Prasad Koirala verdiente sich seine ersten Lorbeeren in der Gewerkschaftsbewegung, die er aus der Taufe hob. Ende der 1950er Jahre wurde er für sieben Jahre eingekerkert. Pragmatisch und mit politischem Instinkt verstand er es wie kein anderer, die Stimmung im Volk zu deuten und entsprechend zu reagieren. So 1990, als eine Volkserhebung die Umwandlung der absoluten in eine konstitutionelle Monarchie mit einem Mehrparteiensystem erzwang. Der NC gewann die anschließenden Wahlen und Koirala wurde erstmals Premier.

Vier weitere Amtszeiten als Regierungschef, überwiegend autoritär ausgeübt, folgten. Die verbreitete Korruption bekam er nicht in den Griff. Obwohl sich ständig als »Champion der Demokratie« ausgebend, setzten sich während seiner Amtszeit demokratische Verhältnisse nicht durch. Immerhin war ja der diktatorische König Gyanendra noch nicht gestürzt. Als Koirala erkannte, daß die maoistische Revolte nicht mehr zu stoppen war, nahm er mit Guerillakommandeur Prachanda Verhandlungen auf, die 2006 in dem Friedensabkommen und schließlich im Sturz der Monarchie gipfelten. Es war wohl sein größtes Verdienst, die Maoisten an den Konferenztisch geholt zu haben. Als diese im April 2008 bei den Wahlen zum Verfassungskonvent (provisorisches Parlament) einen triumphalen Sieg errangen und eine Koalitionsregierung bildeten, begann Koiralas Stern endgültig zu verblassen. Mit seinem Tod, so die einhellige Einschätzung der nepalischen Medien, geht eine politische Ära, ein »historisches Kapitel« Nepals zu Ende.

* Aus: junge Welt, 22. März 2010

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