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Waffenruhe in Nepal verkündet

König Gyanendra gerät immer mehr unter Druck - Rebellen für "demokratische Republik"

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel des Südasien-Korrespondenten Hilmar König, die am 6. September 2005 in zwei Zeitungen erschienen und die jüngste Entwicklung in Nepal beschreiben.


Nepals Maoisten erklären Waffenruhe

König Gyanendra zunehmend unter Druck

Von Hilmar König, Delhi


Nepals maoistische Rebellen, die seit fast zehn Jahren einen blutigen Krieg gegen die Regierung führen, verkündeten am Wochende eine dreimonatige einseitige Waffenruhe.

Der Schritt überraschte viele Beobachter: Am Sonnabend [3. Sept.] riefen die maoistischen Rebellen in Nepal einen einseitigen Waffenstillstand aus. Er gilt zunächst für drei Monate und wurde von Bevölkerung, Parteien und Wirtschaftsverbänden begrüßt. Damit wächst der Druck auf den seit Februar diktatorisch herrschenden König Gyanendra. In einer Erklärung von Guerillachef Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda hieß es, die »Volksbefreiungsarmee« werde in diesem Zeitraum keine Regierungs- oder Zivilobjekte angreifen, sondern nur die eigenen Positionen verteidigen. Es handele sich um eine Initiative, mit der alle Kräfte in Nepal ermutig werden sollen, »die Frieden durch eine vorwärts weisende politische Lösung anstreben«.

Damit ist in erster Linie die Allianz aus sieben politischen Parteien gemeint, der die im Untergrund agierende Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch) in den letzten Monaten mehrmals angeboten hatte, gemeinsam gegen das monarchistische Regime zu kämpfen. Erst am 28. August hatte die Allianz angekündigt, ein Komitee zu bilden, das den Dialog mit den Rebellen vorbereitet. Sie nahm die Offerte unter der Bedingung an, dass die Aufständischen künftig Zivilisten schonen und die Aktivisten der politischen Parteien in ihrer Arbeit nicht behindern. Die Maoisten sind mit der Waffenruhe nun sogar einen Schritt weiter gegangen.

Der Nepali Congress begrüßte die jüngste Entwicklung. Die Partei hatte unlängst auf einem Parteitag beschlossen, das Bekenntnis zur konstitutionellen Monarchie aus ihrem Statut zu streichen. Künftig will sich die Partei in dieser Frage »neutral« verhalten. Damit scheut sie zwar den letzten Schritt, sich für die Errichtung einer Republik zu engagieren, kommt aber den diesbezüglichen wachsenden Erwartungen in der Bevölkerung beträchtlich näher.

Die KP Nepals (Marxisten und Leninisten), die zweitgrößte Partei, spricht sich inzwischen für eine demokratische Republik aus. Generalsekretär Madhav Kumar Nepal konstatierte: »Wenn der König keine politischen Parteien braucht, brauchen die politischen Parteien auch keinen König.« Und den Maoisten schwebt ohnehin eine volksdemokratische Republik vor.

König Gyanendra verfolgt die Annäherung zwischen politischer Allianz und Maoisten mit Besorgnis. Das Hauptargument zur Rechtfertigung seines Putsches am 1. Februar war, er brauche freie Hand, um die Guerilla mit ihren extremen Zielen zu vernichten. Nun ist es der jedoch gelungen, sich nicht nur gegen die königliche Armee zu behaupten, sondern ein politisches Bündnis anzubahnen. Damit droht sich das Kräfteverhältnis zu Ungunsten des Palastes zu verändern.

Offenbar beginnt der Herrscher an den Einflüsterungen jener Berater zu zweifeln, die ihm weis machen wollen, das Volk stehe hinter ihm. Dieser Tage versuchte er sich in Schadensbegrenzung: An die Adresse der Allianz wie auch der Maoisten gerichtet, entdeckte er unerwartet »Raum für Dialog«. Er sei offen für Gespräche, wenn sich seine Opponenten zum Kampf gegen den Terrorismus verpflichteten. Die politischen Parteien haben das als Trick, mit dem die entstehende Partnerschaft zu den Maoisten verhindert werden soll, und als »bedeutungslosen Versuch, die internationale Öffentlichkeit hinters Licht zu führen«, zurückgewiesen.

* Aus: Neues Deutschland, 6. September 2005


König unter Zugzwang

Nepal: Einseitige Waffenruhe der Guerilla soll Koalitionsbildung gegen Monarchen beschleunigen. Gyanendra isoliert

Von Hilmar König*


Mit einem cleveren Schachzug haben die maoistischen Rebellen in Nepal König Gyanendra in Zugzwang gebracht. Am Sonnabend [3. September] verkündeten sie einen drei Monate währenden Waffenstillstand, der sofort in Kraft trat. Guerillachef Prachanda – mit bürgerlichem Namen Pushpa Kamal Dahal – betonte in einer Erklärung: »Während dieser Zeit wird unsere Volksbefreiungsarmee keine Angriffe starten. Wenn wir jedoch von der Armee attackiert werden, werden wir kraftvoll zurückschlagen.« Ziel der Initiative ist laut Prachanda, eine geeignete Atmosphäre für die Bildung einer vereinten Oppositionsfront gegen den Monarchen zu schaffen, der am 1. Februar selbstherrlich alle politische Macht an sich gerissen hatte und seitdem diktatorisch herrscht.

In der Bevölkerung, die seit neun Jahren mit dem »Volkskrieg« der Maoisten konfrontiert ist, fand die Waffenruhe ein positives Echo. Auch die sieben politischen Parteien, die seit einigen Monaten in einer Allianz für Menschenrechte und demokratische Freiheiten streiten, begrüßten den Schritt. Volksfrontpräsident Amik Sherkhan glaubt, daß damit der Weg für ein gemeinsames Vorgehen mit den Maoisten gegen den König geebnet wird. Die Rebellen boten der politischen Allianz wiederholt Unterstützung im Kampf gegen das königliche Regime an. Ende August verkündeten die Parteien dann die Bildung eines Komitees, das den Dialog mit den Führern der illegalen KP Nepals (Maoistisch) in Angriff nehmen soll.

Selbst die unter staatlicher Zensur stehende Presse wagte, den Waffenstillstand konstruktiv zu kommentieren. Die viel gelesene Zeitung Kantipur schrieb: »Die Regierung des Königs muß die militärischen Operationen suspendieren und ein positives Signal geben, daß sie zu einer politischen Lösung bereit ist.« Hingegen verschwiegen staatliches Fernsehen und Rundfunk die Initiative, die auch vom Vizepräsidenten des Industriellenverbandes Rajendra Khetan begrüßt wurde. »Die Waffenruhe hat den Monarchen von der internationalen Gemeinschaft, dem nepalischen Volk und den Parteiführern isoliert«, schätzte der politische Analytiker Kapil Shrestha ein.

Eine Woche bevor König Gyanendra zur UNO-Vollversammlung nach New York fliegt, bringt ihn die Waffenruhe nun unter Handlungsdruck. Seine und die Verlegenheit seiner Berater zeigt sich daran, daß sie sich bis dato zu keiner Stellungnahme entschließen konnten. Zur gleichen Zeit verstärkt die politische Allianz ihren Druck auf den Herrscher. Am Sonntag mobilisierte sie Tausende Aktivisten zu einer Demonstration in Kathmandu, auf der Rufe für die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse und gegen die Diktatur Gyanendras laut wurden. Die Polizei wußte darauf nur mit Tränengas und Bambusknüppeln zu antworten. Sie nahm zwar den gerade zum dritten Mal zum Vorsitzenden des Nepali Congress gewählten Expremier Girija Prasad Koirala und über 150 Demonstranten vorübergehend fest. Doch der Widerstand findet immer mehr Unterstützung, zumal der Nepali Congress, die älteste politische Partei, vor wenigen Tagen aus seinem Statut die »Treue zur konstitutionellen Monarchie« strich. Offenbar hat das die Maoisten in ihrem Beschluß bestärkt, jetzt die Waffenruhe zu verkünden und damit den König noch mehr in die Defensive zu drängen.

* Aus: junge Welt, 6. September 2005


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