Nepal: Roter Stern am Himalaja
Maoistische Rebellen bedrohen das Hindu-Königreich auf dem Dach der Welt
Seit den Juni-Massakern im Königspalast war es ruhiger geworden um Nepal. In den letzten Tagen allerdings brach der Bürgerkrieg wieder voll aus. Wir dokumentieren einen Hintergrundbericht aus der Wochenzeitung "Freitag" (gekürzt).
Von Ursula-Charlotte Dunckern
...
Verwirrung und Desinformation prägen in diesen Tagen das öffentliche
Leben in Nepal. Niemand weiß recht, was vor sich geht, und Gerüchte
haben Flügel. Fest steht, das kleine Königreich im Himalaja erlebt die
schwerste Krise seiner Geschichte. Die Konstitutionelle Monarchie, erst
1990 auf Druck einer Volksbewegung eingeführt, scheint am Rande ihres
Zusammenbruches zu stehen. Die Maoistische Volksbefreiungsarmee ist
auf dem Vormarsch. In der mittelwestlichen Stadt Rolpa hat eine
37-köpfige Vereinigte Revolutionäre Volksregierung unter ihrem Chef
Baburam Bhattachai, einem promovierten Städteplaner aus Indien, die
Macht angetreten. "Hiermit erklären wir, dass die Bevölkerung von Nepal
der indischen Marionettenregierung Sher Bahadur Deubas die
Unterstützung entzogen hat", verkündet sie auf roten Plakaten. "Die
Regierung ist illegal. Zahlt keine Steuern mehr an sie. Tötet Polizisten, wo
immer ihr sie findet. Die Armee ist aufgelöst."
Leere Tresore und offene Gefängnisse
Die unerwartete militärische Offensive der die Maoisten ließ die Regierung
zittern. Nahe Rolpa, in der wohlhabenden Bezirksstadt Dang, stürmten
Guerilla-Einheiten das Armee-Hauptquartier. Die Guerillas leerten die
Waffenlager und die Tresore der beiden städtischen Banken. In den
folgenden Tagen führten sie parallele Operationen in den Bezirken Surkhet,
Pyuthan und Syanja durch, nahmen Regierungsbeamte fest und brachten
die Bezirksverwaltungen unter ihre Kontrolle, räumten Polizeistationen,
befreiten Gefängnisinsassen und leerten Banktresore.
König Gyanendra hat inzwischen den Notstand verhängt, Bürgerrechte
suspendiert, die Maoisten nach zeitgemäßer Lesart zu Terroristen erklärt
und den Einsatz der Armee angeordnet. Ein neues Gesetz sieht für
terroristische Aktivitäten die Todesstrafe vor. Wer "Terroristen" direkt oder
indirekt unterstützt, kann mit lebenslänglicher Gefängnisstrafe und dem
Einzug sämtlicher Besitztümer rechnen.
Der erste Schlag allerdings galt der Pressefreiheit. Journalisten wurden
verhaftet und mehrere als maoistenfreundlich verdächtigte Zeitungen
verboten. Seitdem herrscht strikte Zensur. ...
Kathmandu hat sich jedoch schnell vom ersten Schock erholt. In Thamel,
dem Herzen der Hauptstadt mit seinen eleganten Hotels, alternativen
Müsli-Paradiesen, Diskotheken, Bars und Einkaufszentren, geht das
Leben wie gewohnt weiter. ... Dort draußen aber im ländlichen, staubigen,
mittelalterlichen Nepal, haben inzwischen massive Land- und Luftangriffe
auf Rebellenpositionen in den Bezirken Dang, Rolpa Syangia, Surkhet und
Salyan eingesetzt.
Regierung tappt im Dunkeln
Was da allerdings genau passiert, bleibt unklar. Amtliche Meldungen sind
nicht nur manipuliert. Die Regierung weiß oft wirklich nicht, was im Lande
vorgeht, da sie in den besetzten Gebieten auf keinerlei staatliche
Strukturen zurückgreifen kann. Und auch die heimische Presse hat - von
den Zensur-Beschränkungen abgesehen - selten direkten Zugang zu den
Orten des Geschehens, die schwer erreichbar zwischen Gebirgsketten und
dichten Wäldern liegen. Das 147.000 Quadratkilometer kleine Nepal verfügt
über 38 Flugplätze mit zum Teil saisonbeschränkter Nutzbarkeit. Orte, die
sich nicht per Flugzeug erreichen lassen, zwingen den Reisenden zu
langwierigen und oft sehr beschwerlichen Touren durch teilweise
straßenloses Gebiet. Und die örtliche Presse befindet sich oft in einem
beklagenswerten Zustand. "Die Behörden und die Leute sind sich nicht
recht über unsere Möglichkeiten im Klaren", sagt Narain Prasad, der
71-jährige Herausgeber von Yugbodth, der einzigen Zeitung in Dang. "Uns
ist gesagt worden, alle Information, kommen von der Regierung in
Kathmandu. Sogar die Weitergabe von Information ist untersagt. Warum
soll ich da das Gesetz brechen und versuchen, welche zu beschaffen."
Dass die Maoisten bei ihrem Einfall in Dang auch sein Haus beschossen
haben, hat Prasads journalistischen Eifer nicht eben gefördert.
Bevor die Regierung von Nepal Notstand und Militäreinsatz ansagte,
vergewisserte sie sich der Unterstützung Indiens. General Prajwalla S.J.B.
Rana, Oberbefehlshaber der Königlich-Nepalesischen Armee, eilte von
einem Besuch in Wien direkt nach Delhi zu einem Geheimtreffen mit dem
indischen Armeechef General S. Padmanabhan. Er bat um sofortige
Lieferung der kürzlich bestellten Jeeps, Nachtsichtgeräte,
Maschinengewehre und Munition, und um Helikopter. Indien schenkte ihm
auf der Stelle vier und gewährte Freundschaftspreise auf weitere
Bestellungen. Schon am nächsten Tag rollten die ersten Lastzüge mit
Rüstungsmaterial über die Grenze.
Delhis Angst vor dem Roten Korridor
Aber es geht nicht nur um Hardware. Nepal wünscht strategische
Beratung, Geheimdienstkooperation und Hilfe bei der Aufstellung einer
30.000 Mann starken Grenztruppe - wenn möglich sogar direkten Eingriff
der indischen Armee. Indien sagte - offiziell jede Festlegung vermeidend -
volle Kooperation zu. Diese bereitwillige Unterstützung folgt durchaus
eigenen Interessen. Die innere Stabilität Nepals als wohlgesonnener,
hinduistischer Pufferstaat an der Grenze zu China dient Delhis
Sicherheitsbedürfnissen. Darüber hinaus ist das kleine "Dach der Welt"
von großer strategischer Bedeutung für die Machtverhältnisse im
südostasiatischen Raum. Und schließlich stellt das Erstarken der
Maoisten in Nepal eine direkte innenpolitische Gefahr für Indien dar.
Die lange Grenze zwischen beiden Ländern ist äußerst porös. Die
maoistische Rebellen in Nepal sind aufs engste mit der maoistischen
People´s War Groups (PWG) in den indischen Staaten Andhra Pradesh,
Madhya Pradesh und Chattisharh sowie dem Maoistisch-Kommunistischen
Zentrum in Bihar verbunden. In Delhi wächst die Sorge, dass diesseits und
jenseits der Grenze die kontrollierten Gebiete zu einer "kompakten
revolutionären Zone" zusammenwachsen und so ein "Roter Korridor"
zwischen den Nachbarstaaten entsteht. Geheimdienstberichte über eine
chinesische und offenbar auch pakistanische Unterstützung der Rebellen
geben der Sache zusätzliche Brisanz.
Fast 40 der 75 Verwaltungsbezirke von Nepal scheinen die Maoisten
inzwischen zu kontrollieren. In mindestens 23 davon sollen bereits
maoistische Volksregierungen eingesetzt sein. Die maoistische Armee
steht unter dem Oberbefehl des legendären Rambahadur Thapa alias
Badal, der nach einem Atomingenieurstudium in Moskau von libyschen
Guerillatrainern ausgebildet wurde. Er scheint die totale Loyalität seiner
Truppen zu genießen, denen nach Schätzungen 10.000 Kämpfer, Männer
und Frauen, angehören. ... Neben der breiten Volksmiliz existieren
Elite-Guerilla-Einheiten, die ihre Operationen von versteckte Basen im
Dschungel aus führen.
Wie der Fisch im Wasser
Dabei bewegen sich die Rebellen in weiten Teilen des Landes tatsächlich
"wie der Fisch im Wasser". In den sechs Jahren seit ihrer Gründung haben
sie das Vertrauen der ärmsten und rückständigsten Bevölkerungsschichten
gewonnen. Die Maoisten sichern Trinkwasserquellen, helfen Hütten und
Straßen zu bauen, schlichten Streit und unterstützen die Forderungen von
Waldarbeitern nach mehr Lohn. Es gibt erstaunlich viele Frauen unter
ihnen, nach Schätzungen 30 bis 40 Prozent, viele davon in leitenden
Funktionen. Das Durchschnittsalter der Guerilleros liegt zwischen 19 und
28 Jahren. Die Anführer haben studiert, meist in Indien, und eine glänzende
Karriere gegen das Leben im Dschungel eingetauscht. Die Masse
allerdings besteht aus wenig ausgebildeten, meist arbeitslosen
Jugendlichen.
Sollten die Maoisten ihr Ziel - eine nepalesische Republik - nicht erreichen,
dürften dem Land lange und blutige Auseinandersetzungen bevor stehen,
während derer auch die noch junge Demokratie Schaden nehmen könnte.
Der König wartet nur darauf, das zehnjährige Experiment beenden und die
Zügel wieder fest in seine Hände nehmen zu können. Ob es dazu kommt,
ist offen. Im Moment scheint das Einflussgebietes der Maoisten eher
größer als kleiner zu werden und sich in Richtung Hauptstadt
auszudehnen. Noch aber hat niemand die rote Fahne vor den Palasttoren
aufgepflanzt. In einem der Außenbezirk von Kathmandu jedoch wurde
unlängst eine Coca-Cola-Fabrik in die Luft gebombt. Hauptaktionär war
Paras, der "schwarze Kronprinz" - seit den Palastmassakern im Juni
ebenso verdächtigt wie unbeliebt. ...
Aus: Freitag, Nr. 52, 21. Dezember 2001
(Der vollständige Artikel ist im Netz unter www.freitag.de zu finden.)
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