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Neuer Aufbruch in Nepal

Diktatur des Königs gestoppt - Ministerpräsident stellte Kabinett vor

Von Hilmar König*

Der neue nepalesische Ministerpräsident Girija Prasad Koirala hat am Dienstag sein Kabinett vorgestellt. Die Regierungsmannschaft umfaßt zunächst nur sieben Minister, von denen vier Koiralas Kongreßpartei angehören. Am Sonntag war der 84 Jahre alte, kränkelnde Politiker zwei Tage nach Wiedereinberufung des Parlaments im Palast von König Gyanendra vereidigt worden.

In einer Erklärung des Königspalastes hieß es, das Kabinett werde später noch erweitert. Es wurde erwartet, daß Koirala alle sieben Parteien, die die Massenproteste gegen den König angeführt hatten, mit Ministerämtern bedenkt. Stellvertretender Regierungschef und Außenminister wird Khadga Prasad Oli von der Kommunistischen Partei.

Für neue Verfassung

König Gyanendra hatte 2002 das Parlament aufgelöst und im Februar vergangenen Jahres auch die Regierung abgesetzt. Nun hat eine Volksbewegung den Monarchen zum Einlenken gezwungen. Am Sonntag forderte das Parlament einmütig die Wahl einer konstituierenden Versammlung. Als deren wichtigste Aufgabe gilt die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, in der die künftige Staatsform und die Rolle der Streitkräfte festgeschrieben werden soll. Denn der aus dem Parlament kommende Ruf ist unüberhörbar, dem König müsse die Kontrolle über die 90000 Mann starke Armee entzogen werden.

Koirala sieht zunächst als vordringlich an, die maoistischen Rebellen in den »politischen Hauptstrom« zu integrieren. Deshalb auch rief er sie in einer kurzen Rede am Sonntag nachmittag vor dem Parlament in Kathmandu auf, »der Gewalt abzuschwören und zu Friedensgesprächen zu kommen«. Die Rebellen verkündeten in der vorigen Woche einseitig eine dreimonatige Waffenruhe, auf die Nepals Streitkräfte bislang jedoch nicht reagierten. Guerillachef Prachanda erklärte, seine Kommandos blieben allerdings in »aktiver Verteidigungsposition«, um sich nicht von Spezialeinheiten der Armee und Polizei überraschen zu lassen. Die Guerilla signalisiert mit der Waffenruhe ihre Bereitschaft, alles für das Zustandekommen einer neuen Verfassung zu tun, in der die Maoisten an der Macht beteiligt werden. Vom Verhältnis zwischen der Sieben-Parteien-Allianz SPA und den Rebellen wird entscheidend abhängen, ob Nepal wirklich einen Weg zum Fortschritt einschlagen kann.

Koiralas dritte Amtszeit

Koirala als Premier spielt dabei eine zentrale Rolle. Er profilierte sich einerseits als energischer Widersacher des Monarchen und wurde deshalb mehrmals eingesperrt. In den vergangenen 16 Monaten versuchte der König, den Vollblutpolitiker kaltzustellen, indem er ihn zweimal unter Hausarrest setzte. Trotzdem blieb der Veteran eine Triebkraft in der SPA, die für die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen kämpfte, dafür die Volksmassen mobilisierte und in diesem Prozeß auch zu einer Übereinkunft über die Zusammenarbeit mit den Aufständischen kam. Andererseits kann man den sozialdemokratisch ausgerichteten Koirala weder als Freund der verschiedenen kommunistischen Parteien noch als Sympathisanten der Maoisten bezeichnen.

Er stammt aus einer politischen Familie, die unter der feudalen Rana-Diktatur zeitweilig ins Exil nach Indien gehen mußte. Dort wurde Girija Prasad 1922 in Bihar geboren. Die Koiralas waren 1947 maßgeblich an der Gründung des zentristischen Nepali Congress beteiligt, der sich die indische Kongreßpartei zum Vorbild genommen hatte. Schon in jungen Jahren gründete er als Arbeiterführer der Jutefabrik in Biratnagar die Gewerkschaftsbewegung Nepals.

Heute kann sich der Politveteran rühmen, nach der »Jana Andolan«, der Volksbewegung von 1990, als erster demokratisch gewählter Premier in die Geschichte des Landes eingegangen zu sein. Dem folgtenzwei weitere Amtszeiten. Diese waren nicht frei von Widersprüchen. Wiederholt gab es Korruptionsvorwürfe gegen Koirala. Zudem hieß es, er sei nicht entschlossen genug, politische Krisen wie die durch die Ermordung König Birendras im Jahre 2001 ausgelöste zu managen. Nach einem internen Machtkampf mit Krishna Prasad Bhattarai wurde Koirala 1996 Präsident seiner Partei.

* Aus: junge Welt, 3. Mai 2006


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