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Geschichte wird gemacht

Nepal stimmt am Donnerstag (10. April) über eine verfassunggebende Versammlung ab. Endgültiges Aus für die Monarchie. Zentrale Rolle der Maoisten

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die Sprengstoffanschläge am Montag auf verschiedene Wahlmeetings, bei denen ein Dutzend Menschen verletzt wurde, können die Festtagsstimmung in Kath­mandu und überall in Nepal nicht trüben. Die öffentlichen Gebäude und die Parteibüros präsentieren sich im Flaggenschmuck. Die Regierung hat den Schülern 14 Tage Sonderferien genehmigt und dem Rest der 27 Millionen Einwohner fünf Tage Urlaub gewährt. Der Anlaß: Am Donnerstag wählt die Bevölkerung erstmals eine verfassunggebende Versammlung. Diese wird, bis eine neue Konstitution ausgearbeitet worden ist, als Parlament fungieren.

Umgestaltungsprozeß

Die Versammlung wird den Beschluß des Interimsparlaments vom Dezember 2007, eine demokratische Bundesrepublik zu etablieren und damit das endgültige Aus für die Monarchie zu besiegeln, ratifizieren. Sie wird die Vertretung der zahlreichen ethnischen und sozialen Gruppen, einschließlich der kastenlosen Dalits und der indigenen, unterdrückten Gemeinschaften der Janajatis, in den staatlichen Organen festlegen. Sie wird zudem über die Regierungsform entscheiden und über neue politische, administrative und soziale Strukturen in dem seit fast 240 Jahren feudalistisch geprägten Land. Es gilt, eine Mammutaufgabe zu bewältigen. Ein langwieriger, möglicherweise sich über Jahre hinziehender Prozeß ist zu erwarten. Das alles berechtigt zu der Feststellung, daß Nepal mit dem Votum am 10. April vor einem historischen Ereignis steht.

Die zentrale Rolle in dem Umgestaltungsprozeß spielten und spielen, ob das den bürgerlichen Parteien und Medien des Landes sowie dem Westen paßt oder nicht, die Maoisten. Obwohl seit 2006 wieder als legale Partei fungierend, stehen sie noch immer auf dem »Terroristenindex« der USA. Es waren die maoistischen Rebellen, die im Jahre 1996 zu den Waffen griffen, als sie erkannten, daß die Volkserhebung von 1990 keine wirklichen Fortschritte für die Mehrheit der Bevölkerung gebracht hatte. Sie erkannten zudem, daß die konstitutionelle Monarchie von König Birendra zwar Demokratie vorgaukelte, jedoch den Armen weder Mitspracherecht gab, noch deren miserable Lebensverhältnisse änderte. Die Maoisten setzten die Zerschlagung der feudalistischen Strukturen und den Sturz der Monarchie auf die Tagesordnung. Das war der erste einschneidende Schritt.

Zu diesem Zeitpunkt glaubten der sozialdemokratisch ausgerichtete Nepali Congress, die bürgerlichen Parteien wie auch die KP Nepals (Vereinte Marxisten und Leninisten) noch, mit der Monarchie in Richtung Demokratie und Fortschritt marschieren zu können. Sie stempelten die Maoisten als Extremisten und Terroristen ab. Als deren Einfluß jedoch unaufhaltsam wuchs, über 50 der 75 Distrikte unter ihre Kontolle kamen, begann ein Umdenken. Dieses wurde von der Königsfamilie unbeabsichtigt beschleunigt, nachdem Birendra bei dem Massaker im Palast im Juni 2001 ermordet worden war und sein Bruder Gyanendra auf den Thron kam. Mit seinem radikalen, autoritären, kompromißlosen Stil, mit dem er die Maoisten hinwegfegen und die Monarchie stabilisieren wollte, erreichte er genau das Gegenteil: Er wurde deren Totengräber.

Sein Staatsstreich am 1. Februar 2005 war der letzte Sargnagel. Der »Gott-König« -- von den mehrheitlich hinduistischen Nepalern als Inkarnation Wischnus verehrt -- verhängte den Ausnahmezustand, löste Regierung und Parlament auf, ließ Politiker verhaften und übernahm die Exekutivgewalt. Faktisch kehrte er damit zur absoluten Monarchie zurück. Doch dieser Spuk währte nicht länger als ein gutes Jahr. Die Allianz der politischen Parteien verbündete sich mit den Maoisten gegen ihn. Im April 2006 entmachtete ihn eine neuerliche »Jan Andolan«, eine Volksbewegung. Das war der zweite einschneidende Schritt, dem im November 2006 ein Friedensabkommen zwischen der Guerilla und der Parteienallianz folgte. »Der Volkskrieg war notwendig, um den Feudalverhältnissen das Rückgrat zu brechen. (...) Danach beschritten wir einen neuen Weg, befürworteten den Friedensprozeß und Wahlen.« So urteilte kürzlich Baburam Bhattarai, der zweite Mann in der KP Nepals (Maoisten).

In den folgenden Monaten sahen sich die Maoisten, besonders Parteichef Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda, immer wieder in den Schlagzeilen, weil sie sich nicht als willige Gefolgsleute in der Parteienallianz erwiesen, sondern in die Deabatten im Parlament, in die Ergänzungen zur Interimsverfassung und die Entscheidungen der Interimsregierung von Premier Girija Prasad Koirala soviel wie möglich linkes Gedankengut einbringen wollten. Das war der Grund, daß die Ministerin und Tochter des Premiers, Sujata Koirala, und andere ihre Furcht vor einer »linken Demokratie« äußerten und schworen, gegen eine solche angehen zu wollen. Zumindest ist ihnen gelungen, ein linkes Wahlbündnis zu verhindern. »Wir hätten 75 Prozent aller Sitze gewinnen können, wäre uns eine Allianz aller linken Parteien gelungen,« glaubt Hisila Yami von der KPN (Maoisten).

Klima der Gewalt

Zehn Jahre Guerillakampf mit -- geschätzt -- über 13000 Toten haben freilich den Stil der Maoisten geprägt. Auf parlamentarischem Parkett und in der Interimsregierung eckten sie deswegen immer wieder an. Ein Dorn im Auge der anderen politischen Parteien war und ist das Agieren der Kommunistischen Jugendliga, die sich aus ehemaligen Rebellen rekrutiert und die von UNO-Vertretern in Nepal der Verletzung von Menschenrechten beschuldigt wird. Das erklärt zum Teil den außergewöhnlich harten Wahlkampf. Mindestens acht Kandidaten und Parteiaktivisten der Linken kamen dabei ums Leben. Es gab im März/April über 200 Zwischenfälle, Sprengstoffanschlage bei Wahlmeetings, Entführungen, massive Einschüchterungen Wahlberechtigter, überfälle und Streiks. In verschiedenen Gegenden verhängten die Behörden Ausgangssperren. Auch in dieser Beziehung hat Chefwahlkommissar Bhojraj Pokharel Recht mit der Festellung: »Das wird keine normale Wahl.« Allerdings betonte er den Aspekt, daß sie »Teil des Friedensprozesses« ist. Auch nach dem Votum am Donnerstag geht das Ringen um ein neues Nepal weiter.

* junge Welt, 9. April 2008


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