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Souverän – und ausgeplündert

Am kommenden Samstag feiert Namibia 25 Jahre Unabhängigkeit. Der Staat ist stabil, doch Farmland und Wirtschaft sind noch immer in den Händen der alten Eliten

Von Christian Selz *

Selbst der Wind hatte genug von den alten Farben. Ein paar Minuten verstrichen an jenem 21. März 1990, ehe eine leichte Böe die blau-weiß-orange Flagge Südafrikas ein letztes Mal entfaltete. »Nieder, nieder«, skandierte die Menschenmenge, als das Symbol des Apartheidstaates, des verhassten Besatzers, herabsank. Frederik Willem de Klerk, der keine sechs Wochen zuvor Nelson Mandela aus 27jähriger Haft entlassen hatte, war nach Windhoek gekommen, um das Stück Stoff nach Hause zu holen – wo es von der schwarzen Bevölkerungsmehrheit ebenso abgrundtief verachtet wurde. Fast 100 Jahre nachdem das Land mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag zur Kolonie des deutschen Kaiserreichs erklärt worden war – freilich ohne jegliches Mitspracherecht, das Gebiet wurde bereits seit 1884 als »Protektorat« verwaltet – war das neu geborene Namibia endlich selbständig. Unter dem dunklen Nachthimmel der Hauptstadt durfte Samuel Daniel Shafiishuna Nujoma, Anführer der Befreiungsbewegung SWAPO, Vaterfigur der jungen Nation und mit diesem 21. März auch ihr erster demokratisch gewählter Präsident, den Satz sagen, auf den die Unterdrückten des Landes so lange gewartet hatten: »Im Namen unseres Volkes erkläre ich, dass Namibia für immer frei, souverän und unabhängig ist.«

Vorangegangen waren 23 Jahre Freiheitskampf. 1966 hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen dem weißen Minderheitenregime in Pretoria das Mandat zur Verwaltung des heutigen Namibia entzogen. Doch die Südafrikaner ignorierten die UN und regierten das Land weiterhin wie eine eigene Provinz. Für die Namibier bedeutete das alltäglichen Rassismus, Unterdrückung und Zwangsumsiedlungen in Townships am Rand der Städte. Vor allem im bevölkerungsreichen Norden warben die Besatzer Wanderarbeiter an, die entrechtet und zusammengepfercht in Barracken vor den Toren der Industriezentren Windhoek, Walvis Bay und Swakopmund ein elendes Dasein fernab ihrer Familien fristen mussten. Jegliche Opposition wurde brutal niedergeschlagen.

Erfolgreicher Befreiungskampf

Die South-West Africa People's Organisation (SWAPO), 1960 im Untergrund gegründet, rüstete zum bewaffneten Kampf gegen das südafrikanische Militär. Doch dessen wesentlich stärkere Truppen schlugen zuerst zu. Am 26. August 1966 griff eine südafrikanische Einheit in der nahe der Grenze zu Angola gelegenen Ortschaft Omugulugwombashe mit Kampfhubschraubern eine Basis der People’s Liberation Army of Namibia (PLAN) an, des bewaffneten Arms der SWAPO. Das war der Auftakt zu einem langen Guerillakrieg, auf den die Südafrikaner mit Folter und willkürlichen Erschießungen antworteten. Nach wiederholten Massakern in Flüchtlingslagern nahm die DDR auf eine Bitte Nujomas hin Hunderte namibische Kinder auf. Kuba unterstützte den Kampf mit Truppen, die Sowjetunion lieferte schwere Waffen.

Die PLAN kämpfte inzwischen an der Seite der angolanischen Armee (FAPLA) gegen von Pretoria unterstützte UNITA-Rebellen, das Kriegsgebiet lag weit hinter der Grenze im südlichen Angola. Zum entscheidenden Gefecht wurde schließlich die Schlacht von Cuito Cuanavale, die sich über sechs Monate bis in den März 1988 zog. Das südafrikanische Militär war schließlich zum Rückzug gezwungen, Pretoria musste Verhandlungen aufnehmen und Namibia in die Freiheit entlassen. Nelson Mandela sprach Jahre später anlässlich eines Staatsbesuchs in Havanna von »einem Wendepunkt für die Befreiung unseres Kontinents und meines Volkes«.

Das große Nehmen

Nujoma dachte in den ersten Minuten des formal unabhängigen Namibias in ähnlichen Dimensionen. »Ab heute sind wir die Herren über das Weideland unserer Vorfahren«, erklärte er, kurz nachdem ihn UN-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar vereidigt hatte. »Das Schicksal dieses Landes ist nun in unseren Händen«, glaubte Nujoma. Doch er irrte. Das Apartheidregime in Pretoria und seine Statthalter hatten im Zusammenspiel mit einheimischen Geschäftsleuten die Übergangsphase genutzt, um staatlich geführte Betriebe zu »privatisieren«. Es wäre in diesem Zusammenhang auch gerechtfertigt, von Plünderung zu sprechen. Die SWAPO, 30 Jahre zuvor noch mit sozialistischen Idealen zur Befreiung des namibischen Volkes aufgebrochen, ordnete sich dem neoliberalen Zeitgeist ebenfalls rasch unter. Entsprechend schlecht sieht es heute auch um die Weidegründe der Vorfahren aus, von denen Nujoma so überschwenglich sprach: Die Landreform verläuft schleppend, das Gros der Agrarflächen ist noch immer in weißer Hand, auch an den der Sklaverei ähnlichen Zuständen auf manchen Farmen hat sich bis heute wenig geändert.

Die Macht der SWAPO ist dennoch unerschüttert. Erst im vergangenen Jahr gewann die zur Regierungspartei gewordene Exbefreiungsbewegung erneut die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen – mit 80 Prozent der Stimmen. »Die Menschen haben gesprochen«, urteilte der scheidende Präsident Hifikepunye Pohamba, der sein Amt nach zehn Jahren abgibt. Diesen noblen Schritt hat ihm die Stiftung des britisch-sudanesischen Mobilfunkunternehmers Mohammed Ibrahim Anfang des Monats mit ihrem Preis für gute Regierungsführung vergoldet. Die Auszeichnung ist mit fünf Millionen US-Dollar (4,7 Millionen Euro) dotiert. Doch finanziell scheint die namibische Führung ohnehin nicht von Mangel geplagt. Darauf lässt zumindest die Ausgestaltung der 25-Jahr-Feier schließen, die gleichzeitig der Vereidigung des neugewählten Präsidenten Hage Geingob dient. 3.000 Gäste sind dazu geladen, die sich nicht nur an allerhand fürstlichen Speisen laben werden, sondern auch eigens angefertigte Eisskulpturen bestaunen können, die in der namibischen Sonne allerdings nur ein kurzlebiger Gag sein dürften. Als Budget für die elitäre Sause am 21. März hat die Staatskasse 20 Millionen Namibia-Dollar (1,5 Millionen Euro) bereitgestellt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 14. März 2015

Quellentext: »Die Geschichte hat uns freigesprochen« **

Für das namibische Volk und für mich selbst ist dieser Tag, der 21. März 1990, der denkwürdigste und wahrhaftig der emotionalste Moment in den Annalen unserer Geschichte. Diese feierliche Stunde ist der Moment, auf den unser Volk mehr als ein Jahrhundert lang gewartet hat. Dies ist der Tag, für den Zehntausende namibische Patrioten ihr Leben gegeben, ihr Blut vergossen und Gefangenschaft oder ein hartes Leben im Exil erlitten haben. Heute sind unsere Herzen voller großer Freude und Jubel, denn unsere tiefsten und ältesten Sehnsüchte sind wahr geworden. 43 Jahre lang [1] war dieses Land unserer Vorväter ein Zankapfel zwischen dem namibischen Volk und der internationalen Gemeinschaft auf der einen Seite und Südafrika auf der anderen. Das namibische Problem war vier Jahrzehnte lang das Zentrum eines bitteren internationalen Streits.

Die Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen haben eine große Zahl von Resolutionen produziert, um dieses schwer zu bewältigende Problem zu lösen. Ich bin froh, sagen zu können, dass wir hier heute nicht versammelt sind, um noch eine weitere Resolution zu verabschieden, sondern um den Anbruch einer neuen Ära in diesem Land zu feiern und um vor der Welt kundzutun, dass auf dem afrikanischen Kontinent ein neuer Stern aufgegangen ist. Afrikas letzte Kolonie ist von dieser Stunde an befreit. (…)

Für das namibische Volk ist die Realisierung unseres wichtigsten Ziels – die Unabhängigkeit unseres Landes und die Freiheit unseres Volkes – die angemessene Anerkennung des Heldentums und der Zähigkeit, mit der unser Volk für diesen lange erwarteten Tag gekämpft hat. Wir wurden in unserem schweren Kampf durch die mächtige Kraft der Überzeugung von der Richtigkeit und Gerechtigkeit unserer Sache gestärkt. Heute hat uns die Geschichte freigesprochen, unsere Vision eines demokratischen Staates Namibia ist Realität geworden. (…)

Was die Regierung Südafrikas angeht, kann man sagen, dass die Entscheidung, die Umsetzung der Resolution 435 zu akzeptieren, die erste Demonstration des politischen Willen war, eine Verhandlungslösung zu den Problemen unserer Region zu finden. Darüber hinaus ist Präsident Willem de Klerks Proklamation hier heute, dass Südafrika endgültig und unumstößlich entschieden hat, die Kontrolle über Namibia aufzugeben, ein Akt von staatsmännischer Größe und Realismus. Letzterer, so hoffen wir, wird sich auch in Südafrika selbst weiter ausbreiten. (…)

Fußnote:
  1. Bereits 1946 wurde das damalige Südwestafrika von den UN zum Treuhandgebiet erklärt.
Aus der Amtseinführungsrede des ersten Präsidenten Namibias, Samuel Nujoma, gehalten am 21. März 1990 in Windhoek.

Übersetzung: Christian Selz

Die vollständige Rede (englisch):

The Inaugural Speech Of His Excellency Sam Nujoma on March 21, 1990 **

Cmd. Sam Nujoma Honourable Master of Ceremony,
Your Excellencies,
Heads of State and Government,
Distinguished Guests,
Dear Compatriots,
Ladies and Gentlemen


For the Namibian people and for myself, this day, March 21 1990, is the most memorable and indeed the most emotional moment in the annals of our history. This solemn hour is the moment, which our people have been waiting for, for more than a century. The is the day for which tens of thousands of Namibian patriots laid down their lives, shed their precious blood, suffered imprisonment and difficult life in exile. Today, our hearts are filled with great joy and jubilation because our deepest and longest yearning has been realized. Honourable Master of Ceremony, Sir, for the past 43 years or so, this land of our forbearers was a bone of contention between the Namibian people and the international community, on one hand, and South Africa, on the other. The Namibian problem was at the centre of a bitter international dispute over the past four decades.

The United Nations and other international bodies produced huge volumes of resolutions, in an attempt to resolve this intractable problem. However, it pleases me to state that we are gathered here today, not to pass yet another resolution, but to celebrate the dawn of a new era in this land and to proclaim to the world that a new star has risen on the African continent. Africa's last colony is, from this hour liberated.

Dr. Nujoma It is, therefore, profoundly momentous and highly joyous, for the Namibian people and myself, that the highest representatives of the international community - The Secretary General of the United Nations - together with the State President of South Africa, and the Namibian nation, which I am honoured to lead, are able to announce, here today, to the world that a definitive and final solution to the protracted Namibian problem has, indeed, been unanimously reached by these three parties.

For the Namibia people, the realization of our most cherished goal, namely the independence of our country and the freedom of our people, is fitting tribute to the heroism and tenacity with which our people fought for this long-awaited day. We have been sustained in our difficult struggle by the powerful force of conviction in the righteousness and justness of our cause. Today history has absolved us, our vision of a democratic state of Namibia has been translated into a reality.

With regard to the international community, the achievement of Namibia's Independence today is, we believe, a welcome and laudable culmination of many years of consistent support for our cause. The world's demand for our country to be allowed to exercise its' inalienable right to self-determination and independence has been achieved. WE express our most sincere gratitude to the international community for its' steadfast support.

As for the government of South Africa, it can be said that the decision to accept the implementation of Resolution 435 was the first demonstration of political will to find a negotiated solution to the problems of our region. Furthermore, President Willem de Klerk proclamation here today that South Africa has reached a final and irreversible decision to relinquish control over Namibia is an act of statesmanship and realism. This, we hope, will continue to unfold in South Africa itself.

Dr. Nujoma Honourable Master of Ceremony, Your Excellencies, Distinguished Guests, Compatriots, Ladies and Gentlemen, I seize the opportunity to point out that the protracted process of negotiating and agreement on Resolution 435 and struggling for its' implementation was difficult and, at times, acrimonious. It was only perseverance, forbearance and commitment, which helped us to see the process through to its' logical conclusion, namely, the birth of the Namibian nation we are here to witness.

Against this background, it is heartening for the Namibian people and I, to know that our independence has been achieved under conditions of national consensus and international unanimity. The impressive pre3sence here today of so many world leaders and other dignitaries is a clear testimony to the fact that Namibia's achievement of independence is an event of great world importance. For us this is yet another reason for celebration.

With respect to the important question of national consensus, I am glad to announce that following the independence election last November, the various Namibia political parties worked together in the Constituent Assembly, where we formulated and adopted a Constitution acceptable to the broad majority of our people.

Namibian Flag Against this background, Honourable Master of Ceremony, Distinguished Guests and Dear Compatriots I am indebted to the Namibian electorate for giving SWAPO (the South West Africa People's Organization) an absolute majority, thereby enabling it to form the first government of the Republic of Namibia. In the same vein, I am grateful to members of Namibia's Constitutional Assembly for the confidence they placed in me in electing me as the first President of the Republic of Namibia. I pledge to do my utmost to uphold the Constitution of the Republic, and to honour the trust, which the Namibian people have bestowed upon me to lead this new nation at this critical juncture.

To the Namibian people, I would like to state, on this solemn occasion, that our nation blazed the trail to freedom. It has arisen to its' feet. As from today, we are masters of this vast land of our ancestors. The destiny of this country is now fully in our own hands. We should, therefore, look forward to the future with confidence and hope.

Taking the destiny of this country in our own hands means, among other things, making the great effort to forge national identity and unity. Our collective security and prosperity depends on our unity of purpose and action, Unity is a precondition for peace and development. Without peace, it is not possible for the best and talented citizens of our country to realise their potential.

Our achievement of Independence imposes upon us a heavy responsibility, not only to defend our hard-won liberty, but also to set ourselves higher standards of equality, justice and opportunity for all, without regard to race, creed or colour. These are the standards from which all who seek to emulate us shall draw inspiration.

Master of Ceremony, Sir, In accepting the sacred responsibility which the Namibian people have placed on me, as the first President of the Republic of Namibia, I would like to bow and pay homage to our fallen heroes and heroines, whose names Namibia's present and future generations will sing in songs of praise and whose martyrdom they will intone. In conclusion, I move, in the name of our people, to declare that Namibia is forever free, sovereign and independent.

** Quelle: Website der SWAPO-Partei; www.swapoparty.org/1990_inaugural_speech.html




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