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Duell der Veteranen

20 Jahre nach der Unabhängigkeit: Bei den fünften freien Wahlen in Namibia erhält die Regierungspartei Konkurrenz von einem ehemaligen SWAPO-Politiker

Von Raoul Wilsterer *

Die SWAPO, Namibias Volksbefreiungsorganisation, kommt in die Jahre. Diesen Eindruck vermitteln zumindest die beiden Hauptkonkurrenten der zweitägigen Parlamentswahlen, die am Freitag (27. Nov.) in dem südwestafrikanischen Staat begannen.

Mit Hifikepunye Pohamba, 74 Jahre alt und derzeit Präsident der Republik, und Hidipo Hamutenya, 70 Jahre und ehemals SWAPO-Politbüromitglied sowie langjähriger Minister, treten zwei Veteranen der Unabhängigkeitsbewegung gegeneinander an. Pohamba als SWAPO-Chef, Hamutenya als Spitzenkandidat seiner Sammlung für Demokratie und Fortschritt (RDP). Einen der beiden Kandidaten also als »Hoffnungsträger« zu bezeichnen, wie in einigen Medien geschehen, scheint gewagt. Zudem ist ihre Rivalität weniger programmatisch als persönlich begründet: 2004, als in der SWAPO über die Nachfolge von Präsident Samuel Nujoma, des großen alten Manns der Freiheitsbewegung, entschieden wurde, liefen einige Intrigen. Hamutenya unterlag schließlich und ging auf Kritikkurs. 2007 gehörte er zu den RDP-Gründern.

Hamutenyas Chancen basieren auf der Enttäuschung über die SWAPO-Politik in weiten Teilen der schwarzen Bevölkerung. Das Land brach nach der Unabhängigkeit vom südafrikanischen Apartheid-Regime 1990 nicht mit den überkommenen Besitzverhältnissen. Der südafrikanisch-britische De-Beers-Konzern blieb Mehrheitseigner der Nambdeb-Diamantenmine.

Zwar hatte die SWAPO vor 20 Jahren versprochen, Landeigentümer, die nicht in Namibia lebten, zu enteignen und zudem massiv eine Übernahme von Latifundienbesitz gegen Bezahlung vorzunehmen; doch bewirtschaften bis heute weiße Farmer – oder vielmehr: deren schwarze Untergebene – den Großteil des nutzbaren Bodens. Gewerkschaftsforderungen nach einer Landreform blieben auf der Strecke. Auch alte Abhängigkeiten existieren weiter: Heute ist die Republik Namibia, ehemals Deutsch-Südwest (1884–1915), »Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit«, wie das Berliner Auswärtige Amt nüchtern verbucht. Und die Einnahmen aus den wichtigsten Ertragsbereichen des Landes – Bergbau, Tourismus, Fischindustrie – fließen zumeist in private Hände. Die Einkommensschere zwischen arm und reich öffnet sich weiter.

Arbeitslosigkeit und Armut bedingen einander. Von den zwei Millionen Einwohnern verfügen zwischen 40 und 50 Prozent – genaue Zahlen liegen nicht vor – über kein geregeltes Einkommen. Zwei von drei Namibiern leben in menschenunwürdigen Unterkünften. Die Townships wachsen. Namibia gehört zu den fünf am stärksten von HIV/AIDS betroffenen Ländern der Welt: Etwa 20 Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 50 Jahren sind infiziert.

Größte Unbekannte der derzeitigen Abstimmung sind die über 200 000 »born frees«, die erste Wählergeneration, die nach der Unabhängigkeit geboren wurde. Sie wurden weder mit dem Mythos SWAPO groß, dem langen, opferreichen Freiheitskampf der Southwest Africa People’s Organization, noch erlebten sie die Zeit der weißen Unterdrückung und des Apartheidterrors.

Am Samstag um 21 Uhr (28. Nov.) schließen die über 3000 Wahllokale in dem Flächenstaat. Mit endgültigen Ergebnissen wird Mitte kommender Woche gerechnet. Trotz des zu erwartenden Siegs von Präsident Pohamba dürfte bis dahin durchaus Spannung aufkommen. Sie konzentriert sich auf die Nordprovinzen Ohangwena, Omusati, Oshikoto und Oshana. Im ehemaligen, unter Kolonialherrschaft sogenannten Ovamboland sind 43 Prozent aller Wahlberechtigen registriert – etwa 430000 Menschen. Vor 20 Jahren, im November 1989, wurde ebendort mit einer 97prozentigen Zustimmung zu SWAPO glasklar über Namibias Schritt in die Unabhängigkeit entschieden. Nun könnte »das Auftauchen der RDP sehr wohl das Bild im Norden verändern«, kommentierte am Freitag die Windhoeker Tageszeitung Namibian den Kampf um die traditionelle SWAPO-Hochburg.

Bisher hielt die Befreiungsbewegung mit 55 von 72 Sitzen eine komfortable Zwei-Drittel-Mehrheit, und die insgesamt 13 Konkurrenzparteien waren weitgehend marginalisiert. Das könnte sich ändern.

* Aus: junge Welt, 28. November 2009


Namibias Opposition fordert die SWAPO heraus

Einstige Befreiungsbewegung strebt wieder Dreiviertelmehrheit an Von Georg Krase Von Georg Krase **

Im Land zwischen Namib und Kalahari-Wüste finden heute und morgen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Am Sieg der regierenden SWAPO wird nicht gezweifelt, eine neu formierte Opposition mit der Bewegung für Demokratie und Fortschritt (RDP) stellt jedoch deren Dreiviertelmehrheit in Frage.

Vor genau 20 Jahren krönte die Befreiungsbewegung SWAPO ihren Kampf gegen das südafrikanische Apartheid-Regime mit einem überzeugenden Sieg in Namibias ersten freien und allgemeinen Wahlen. Die Hoffnungen auf Demokratie und soziale Verbesserungen im unabhängigen Namibia waren groß. Die Bilanz seither ist zwiespältig: Zwei Jahrzehnten stabiler politischer und ökonomischer Entwicklung stehen gravierende soziale Probleme gegenüber.

Die SWAPO verfügt im Parlament inzwischen über eine Drei-viertelmehrheit, die Schwäche der Opposition ist hausgemacht. Die Demokratische Turnhallenallianz (DTA), einst von Südafrika als Gegengewicht zur SWAPO geschaffen, verlor ihre Rolle als oppositionelle Führungskraft schon vor Jahren, ihr droht jetzt Bedeutungslosigkeit. Ansätze für eine Neuordnung der Parteienlandschaft gab es 1999, als der Kongress der Demokraten (COD) gegründet wurde, vor allem aber seit 2007 mit der neuen RDP. Beide wurden von Dissidenten aus der SWAPO initiiert.

SWAPO hat immer noch den Nimbus der siegreichen Befreiungsbewegung. Sie findet Unterstützung in allen Bevölkerungsgruppen. Das gilt begrenzt auch für COD und RDP. Die kleineren Parteien sind zumeist ethnisch orientiert. Nach wie vor dominiert die Politikergeneration des Befreiungskampfes, das kann sich nach der Wahl ändern. In der SWAPO zeigte Präsident Hifikepunye Pohamba einen neuen Politikstil – gemäßigt, auf Versöhnung orientiert. Er sprach auch solche Probleme wie Korruption an und beriet sich über den Führungskreis der eigenen Partei hinaus. Damit nahm er der RDP, die auch aus Frust über den Führungsstil seines Vorgängers Sam Nujoma entstanden war, Wind aus den Segeln. Nujoma selbst agiert aus dem Hintergrund, auch mit politischen Querschüssen wie unkontrollierten Attacken gegen weiße Namibier oder westliche Ausländer. Sein tatsächlicher Einfluss ist umstritten.

Programmatisch unterscheiden sich Namibias Parteien wenig. Der COD, durch interne Machtkämpfe geschwächt, wird wohl seine Position als Oppositionsführer an die RDP verlieren. Die RDP unter dem früheren Außenminister Hidipo Hamutenya, einst ein populärer SWAPO-Führer, erhofft sich Unterstützung auch in der neuen schwarzen Mittelschicht. Noch wichtiger ist jedoch, ob es ihr gelingt, die ethnische Machtbasis der SWAPO bei den Ovambos, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellen, aufzubrechen und sich erfolgreich als langfristige Alternative zur SWAPO zu präsentieren. Hamutenya kommt wie Pohamba aus der größten Ovambo-Gruppe, den Kwanyamas.

Rund 1,18 Millionen Wähler können sich für ein Dutzend Parteien entscheiden – in 998 Wahllokalen oder bei 536 mobilen Wahlteams, die weit über 2000 Einzelsiedlungen im extrem dünn besiedelten Land aufsuchen. 30 Prozent der Wahlberechtigten sind Neuwähler. Erstmals spielen elektronische Medien eine größere Rolle im ansonsten verhaltenen Wahlkampf. Zur Wahlkultur Namibias gehören auch zivilgesellschaftliche Wahlbeobachter, erstmals auch solche der Kirchen. Umstritten ist die parteipolitische Bindung mancher Gruppen, eine wurde deshalb ausgeschlossen. Am Wahlergebnis ist vor allem das Abschneiden der Opposition interessant. Darüber hinaus konzentriert sich das Interesse auf die politische Weichenstellung in der alten und wohl auch neuen Regierungspartei SWAPO.

** Aus: Neues Deutschland, 27. November 2009


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