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Unnötige Not

Dürrekatastrophe in Namibia: 400000 Menschen vom Hungertod bedroht, weil Umverteilungsprogramme fehlen

Von Herbert Jauch, Windhuk *

Namibia erlebt derzeit die schlimmste Dürre der letzten 30 Jahre. Etwa ein Drittel der 2,2 Millionen Einwohner sind direkt betroffen. Nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) haben derzeit 778000 Menschen nicht genug zu essen. 400000 von ihnen sind vom Hungertod bedroht. Die Regierung hat einige Notmaßnahmen wie die Verteilung von Nahrungsmitteln, die zeitweilige Erlaubnis, lebende Schafe, Ziegen und Rinder in die Nachbarländer zu verkaufen, damit sie nicht verenden, und das Abschießen von Wild als Fleischquelle ergriffen. Zusätzlich werden vom Roten Kreuz Spenden gesammelt und Lebensmittel verteilt. Auch einige Kirchen sind gegen die Auswirkungen der Dürre aktiv geworden, beispielsweise durch die Auszahlung von Bargeld in einigen Regionen.

Unvermeidbar war das nicht. Namibia ist zwar eines der trockensten Länder der Welt, hat allerdings wichtige Bodenschätze, eine sehr fischreiche Küste und genügend Ressourcen, um seinen Einwohnern ein Leben ohne Armut zu sichern. Offiziell ist die Republik im Südwesten Afrikas in der Kategorie der Länder mit höherem mittleren Einkommen klassifiziert. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verdienst liegt bei umgerechnet 3500 Euro pro Jahr. Mit einem Gini-Koeffizienten von 0,6 ist die Einkommensungleichverteilung allerdings eine der weltweit höchsten. Von daher war Namibias größte Herausforderung schon vor der Dürre die gerechtere Verteilung der vorhandenen Ressourcen.

Die offiziellen Statistiken bezeugen zwar Fortschritte, was die Armutsbekämpfung angeht, und auch ein Teil der kommerziellen Farmen des Landes ist in nun im Besitz schwarzer Namibier. Aber fundamentale Ungleichheiten sind geblieben. Die nördlichen Landesteile bestehen überwiegend aus kommunalen Farmen. Die Lage dort hat sich für die Mehrheit der Kleinbauern weiter verschärft. Schuld ist die illegale Einzäunung von Land durch die Eliten, einschließlich einiger Politiker. Nach einigen guten Regenjahren hat auch der Viehbestand in den kommunalen Gebieten zugenommen, und nun stehen viele der dortigen Farmer vor dem Zwangsverkauf ihrer Tiere weit unter dem normalen Marktpreis. Wenn sich die Regenlage wieder verbessert, werden sie neue Tiere für ein Vielfaches dieses Preises kaufen müssen.

Dabei gäbe es für Namibia nachhaltige Möglichkeiten, Armut und Ungleichheit zu bekämpfen. Bereits im Jahr 2002 hatte eine von der namibischen Regierung einberufene Steuerkommission einen Weg vorgeschlagen, wie die Probleme systematisch angegangen werden könnten. Sie schlug die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens vor, das nicht unter zehn Euro pro Person im Monat liegen sollte. Dieses sollte allen Einwohnern von der Geburt bis zum Erreichen des 60. Lebensjahres zustehen. Ab einem Alter von 60 Jahren gibt es eine Sozial­rente von etwa 50 Euro pro Monat. Das Geld hätte fast allen Haushalten in Namibia über die Armutsgrenze geholfen und wäre somit auch zu einer Art Versicherung für Katastrophenfälle wie der jetzigen Dürre geworden.

Bislang hat die Regierung das Grundeinkommen allerdings abgelehnt, trotz der in einem Dorf mit großem Erfolg durchgeführten Pilotphase. Auch sonstige systematische Umverteilungsprogramme blieben aus, und so klafft die soziale Kluft weiter tief auseinander. Jahreshaushaltseinkommen variieren zwischen durchschnittlich etwa 30000 Euro in den deutschsprachigen Haushalten der ehemaligen kaiserlichen Kolonie und weniger als 1000 Euro in den ärmsten Haushalten. Armut und Arbeitslosigkeit treffen Frauen durchschnittlich wesentlich härter als Männer, und die momentane Dürre wird die Lage weiter verschärfen. Die Katastrophe zeigt, daß die Herausforderung für Namibia nicht nur darin besteht, einem großen Teil der Bevölkerung das Überleben zu ermöglichen. Mittel- bis langfristig muß vor allem eine Lösung für die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten des Landes gefunden werden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. August 2013


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