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Zweierlei Erinnerung

Larissa Förster über den deutschen Kolonialkrieg gegen die Hereros

Von Ulrich van der Heyden *

Zu den bekanntesten bewaffneten Widerstandsaktionen unterjochter Völker gehört der Krieg der Herero gegen die deutsche Kolonialmacht im heutigen Namibia. Seit 1966 der DDR-Historiker Horst Drechsler sein Buch zur Kolonialherrschaft über das damalige Deutsch-Südwestafrika geschrieben hat – wurde von der UNESCO in mehrere Sprachen übersetzt –, befaßten sich ost- und westdeutsche Historiker mit diesem unrühmlichen Kapitel. Nun hat sich eine neue Generation historisch orientierter Forscherinnen und Forscher der Thematik angenommen. Zu den engagiertesten gehört Larissa Förster, die mit dem Band »Postkoloniale Erinnerungslandschaften. Wie Deutsche und Herero in Namibia des Kriegs von 1904 gedenken« ihre Dissertation einem breiten Publikum vorstellt. Bekannt wurde sie als Kuratorin der in Köln und Berlin 2004/2005 mit großem Erfolg gezeigten Ausstellung »Namibia-Deutschland: eine geteilte Geschichte. Widerstand, Gewalt, Erinnerung«.

In ihrer vorliegenden kenntnisreichen Arbeit will Förster nicht diesen Krieg selbst untersuchen, sondern die unterschiedliche Rückschau auf ihn. Denn es gibt zwei Erinnerungskulturen, die sie detailliert und souverän einer umfangreichen Analyse unterzieht. Deren Praktiken bestehen in Namibia gut einhundert Jahre nicht isoliert voneinander, sondern sie befinden sich in einem steten Konflikt, der von Interaktionen genauso wie von Konkurrenz und Konfrontation geprägt ist.

Der Schwerpunkt der übersichtlich geordneten Arbeit liegt auf den deutschsprachigen sowie den hererosprachigen Namibiern. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Verfasserin dem Umgang mit Erinnerungsorten, wie Friedhöfen, Schlachtfeldern und den Erinnerungsritualen. Dabei stehen die Gedenkfeiern, die beide Bevölkerungsgruppen seit den 1920er Jahren regelmäßig begehen, im Fokus. Sie stellt deren Entstehung und Wandel dar und entdeckt zahlreiche Verflechtungen im kolonialen wie im postkolonialen Kontext. Als Quellen dienen ihr eigene Feldforschungen in Namibia und neuere Fachliteratur in beeindruckendem Umfang.

Das Buch bietet nicht nur eine hervorragende theoretische Auseinandersetzung mit kolonialen bzw. postkolonialen Erinnerungskulturen, die weit über den Herero-Krieg Bedeutung haben wird, sondern es ist ohne Zweifel als ein Meilenstein der deutschsprachigen Postcolonial studies zu begreifen.

Larissa Förster: Postkoloniale Erinnerungslandschaften - Wie Deutsche und Herero in Namibia des Kriegs von 1904 gedenken. Campus Verlag, Frankfurt a.M./New York 2010, 391 Seiten, 39,90 Euro

* Aus: junge Welt, 15. November 2010


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