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"Wir haben das Messer der EU im Nacken"

Namibische Politiker haben Vorbehalte gegen von Europäischer Union forciertes Handelsabkommen EPA. Ein Gespräch mit Arnold Tjihuiko *


Arnold Tjihuiko ist Abgeordneter der Herero-Partei NUDO im namibischen Parlament. Vergangenen Woche war er auf Delegationsreise in Berlin.

Wie beurteilen Sie die Weigerung der namibischen Regierung, das von der EU mit Nachdruck geforderte Economic Partnership Agreement, kurz EPA, zu unterzeichnen?

Die Art, wie dieses Abkommen Namibia aufgezwungen werden soll, halte ich für sehr unfair. Wenn man Partnerschaft will, muß man die Ansichten beider Partner berücksichtigen, beide müssen Vorteile haben, EPA ist aber ein schädliches Abkommen. Es zerstört Strukturen, die Namibia geschaffen hat, um Arbeitslosigkeit und Armut zu bekämpfen, insbesondere Kleinunternehmen. Wenn die Europäer Demokratie und Fortschritt in Afrika wollen, können sie uns nicht ein Programm aufzwingen, das unser Land in Schwierigkeiten bringt. Ich sehe EPA als Konzept, das uns Afrikaner am Fortschritt hindern soll und uns zurückwirft. Ich appelliere an die Europäer, dies ernsthaft zu überdenken. Wir exportieren Fleisch, Fisch und Weintrauben nach Europa, aber jetzt haben wir das Messer im Nacken: Entweder ihr unterzeichnet 2014 oder wir stoppen die Importe. Was soll das? Ich habe unseren damaligen Handelsminister Hage Geingob für den Mut gelobt, das Abkommen nicht zu unterzeichnen. In dieser Frage stehe ich zu 100 Prozent hinter ihm.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Premierminister Geingob bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr zum Nachfolger von Staatspräsident Pohamba gewählt. Hat Pohamba es geschafft, dringende Probleme, wie beispielsweise die extreme Einkommensungerechtigkeit, ansatzweise zu lösen?

Pohamba ist ein sehr guter Mensch, er hat ein weiches Herz. Er hat viel getan, um Frieden und Demokratie im Land zu bewahren, aber bei Problemen wie Arbeitslosigkeit und Korruption hat er nicht viel erreicht. Bei den Aufgaben, die er zu Prioritäten erklärt hat – Schaffung von Arbeitsplätzen, Erziehung, Bekämpfung von Armut und Korruption – hat es keine echten Fortschritte gegeben.

In welcher Lage befinden sich das Erziehungs- und das Gesundheitswesen?

Unser Erziehungswesen ist in chaotischem Zustand. Wir wissen nicht, wo wir anfangen sollen und was die Ziele sind. Auch im Gesundheitswesen gibt es haufenweise Probleme. Schlecht ist beispielsweise, daß sich die Regierung auf Ärzte aus Kuba verläßt, die in der Regel die Sprache hier nicht beherrschen. Unsere Gesundheitsinstitutionen leiden unter Managementproblemen. Selbst unsere Minister können ihre Kinder nicht in staatliche Krankenhäuser schicken, das sagt doch eine Menge.

Ist man, wenn man ein gutes Krankenhaus braucht, gezwungen, in eine Privatklinik zu gehen?

Ja, und dort muß man enorm viel bezahlen, die meisten können sich das nicht leisten. Ich persönlich habe eine teure Zusatzversicherung abgeschlossen, die mir die Behandlung in einem Privatklinikum ermöglicht. Es ist ein Jammer, daß man von privaten Krankenhäusern abhängt, die sich viele nicht leisten können.

Was halten Sie von dem Dokument der SWAPO-Regierung mit dem Namen »Vision 2030«? Demnach soll Namibia 2030 so weit entwickelt sein, daß es anderen Ländern Entwicklungshilfe geben kann.

Das ist ein Traum auf Papier. Eine ­Vision zu haben, wird von allen unterstützt. Wenn man Ziele hat, kann man Mechanismen entwickeln, um die Ziele zu erreichen. Die Ziele der »Vision 2030« fanden breite Unterstützung, aber es fehlen die Vehikel, um diese zu erreichen. Es bleiben nur noch gut 15 Jahre, doch bisher sind wir nicht vorangekommen: Chaos im Bildungswesen, hohe Arbeitslosigkeit, große Probleme im Gesundheitswesen. Wir sind bisher nicht in der Lage, Ärzte und Wissenschaftler bei uns auszubilden, wir importieren Krankenschwestern aus Kenia und Ärzte aus Kuba. Das Lied, das die SWAPO-geführte Regierung angestimmt hat, klingt zwar gut, aber die Ziele werden wir nie erreichen.

Ein Thema, das Ihrer Delegation besonders am Herzen lag, war die Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama sowie Möglichkeiten einer Wiedergutmachung. Namibias Parlament hat das 2006 einstimmig gefordert. Brachten Ihre Gespräche Ergebnisse?

Verglichen mit früheren Gesprächen gab es eine etwas veränderte Einstellung – man hat uns mit Interesse zugehört. Für mich war es eine Bewegung in die richtige Richtung, doch ich würde nicht sagen, daß wir sehr erfolgreich waren. Ich habe aber den Eindruck, daß die deutschen Politiker begonnen haben, die Realitäten besser zu verstehen.

Interview: Rolf-Henning Hintze

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 27. März 2013


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