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"Das Familienoberhaupt muß die Initiative ergreifen"

Namibische Politiker fordern für deutsche Kolonialverbrechen Entschuldigung von höchster Stelle. Ein Gespräch mit Ignatius Shixwameni


Ignatius ­Shixwameni ist Abgeordneter der namibischen Oppositionspartei APP. Mit einer Parlamentsdelegation traf er am 7. März in Berlin Vertreter der Links­fraktion, über deren Antrag auf Anerkennung und Wiedergutmachung der Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika heute im ­Bundestag abgestimmt wird.


Ihre Partei war 2006 noch nicht im Parlament vertreten, als die Resolution verabschiedet wurde, die von der Bundesprepublik eine Entschuldigung für den Völkermord an den Herero 1904 und Wiedergutmachung fordert. Unterstützen Sie die Resolution?

Die Position unserer Partei ist eindeutig, wir unterstützen die Forderungen der Herero, Nama und San nach Wiedergutmachung voll. Die deutsche Regierung muß sich auf höchster Ebene beim namibischen Volk und den betroffenen Volksgruppen entschuldigen. Entweder der Bundespräsident oder die Bundeskanzlerin sollten dies schriftlich tun und eingestehen, daß das, was damals geschah, Völkermord war.

Die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul entschuldigte sich 2004 in Namibia bei der Gedenkfeier zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg. Warum reicht das in Ihren Augen nicht?

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Wenn zwei benachbarte Familien Streit haben, dann schickt man nicht eines der Kinder, um der anderen Familie eine Entschuldigung auszusprechen, sondern das Familienoberhaupt. In den meisten Fällen wäre das hier der Vater. Das Familienoberhaupt muß die Initiative ergreifen und sagen: Es tut mir leid, was unsere Familie getan hat. In diesem Fall ist es dasselbe, Namibia wurde von den kaiserlichen deutschen Soldaten schweres Unrecht angetan, unsere Bevölkerung wurde traumatisiert und umgebracht. Warum schickt Deutschland eines seiner Kinder, um sich zu entschuldigen, warum nicht den Bundespräsidenten? Warum fehlt der Mut zu sagen: Wir als Deutsche erkennen an, daß wir schweres Unrecht getan haben?

Inwieweit belastet dieses Problem das Verhältnis der beiden Länder?

Es ist der Dorn im Fleisch der Beziehungen. Jedes Mal, wenn die Deutschen mit der namibischen Regierung sprechen, sind sie vorsichtig, weil sie fürchten, daß Namibia die Sache anspricht, als ob es die einzige zu besprechende Sache wäre. Die Bundeskanzlerin, die jetzt ihre zweite Amtszeit hat, hat nie Interesse an einem Besuch gezeigt. Das zeigt, die Beziehungen sind auf einem niedrigen Stand. Also laßt uns diesen Dorn herausziehen.

Sie waren jahrelang Mitglied der regierenden SWAPO, eine Weile sogar Vizeminister. Heute sind Sie Vorsitzender der oppositionellen All Peoples Party. Auf welchen Gebieten versagt die SWAPO Ihrer Meinung nach?

Die SWAPO hat sich weit von dem entfernt, wofür sie als sozialistisch orientierte Organisation stand. Sie hängt im wesentlichen dem Kapitalismus an und fördert die Interessen der großen Unternehmen und einer neuen Elite, der Kompradorenbourgeoisie. Die SWAPO beteiligt sich am Ausverkauf unserer Rohstoffe zum Nutzen multinationaler Konzerne. Wir hatten ein Wirtschaftswachstum im neoliberalen Sinn: Ohne Arbeitsplätze zu schaffen. Das Geld landet in den Taschen der Reichen. Die Arbeitslosenquote ist mittlerweile offiziell auf 51,2 Prozent gestiegen! Die Quote armer Haushalte wird amtlich auf 49 Prozent beziffert. Die sozialen Probleme, die es zur Unabhängigkeit gab, haben sich verschärft.

Ihre eigene Partei versteht sich als sozialistisch?

Ja. Wir wollen dem sozial-ökonomischen Defizit etwas entgegensetzen und uns grundsätzlich von der Idee des freien Marktes lösen. Wir halten einen Kurswechsel für nötig, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht die Märkte. Der Staat muß eine stärkere Rolle spielen. Nehmen Sie das Beispiel der Privatschulen, die bei uns wie Pilze aus dem Boden schießen, weil die staatlichen Schulen nicht gut funktionieren. Ähnlich ist es im medizinischen Bereich. Für die Mehrheit der Bevölkerung eine schreckliche Situation.

Die namibische Regierung will das von der EU forcierte Wirtschaftsabkommen EPA (Economic Partnership Agreement) nicht unterzeichnen, weil die Öffnung des Landes für den freien Handel große Nachteile brächte. Sehen Sie das auch so?

Die Zustimmung zu EPA wäre ein Desaster, deshalb unterstützen wir die Regierung in ihrem Widerstand. Unser Land hat keine subventionierte Wirtschaft und Landwirtschaft. Wenn Namibia das Abkommen in der vorliegenden Form unterzeichnen würde, wären wir ein Abladeplatz für subventionierte Produkte aus der EU. Einheimische Betriebe würden dadurch zerstört.

Interview: Rolf-Henning Hintze *

* Aus: junge Welt, 22. März 2012


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