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Nicht alles kaputt im Nahostscherbenhaufen

Die israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen sind offiziell gescheitert – aber doch nicht beendet

Von Oliver Eberhardt *

Die Friedensverhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde sind gescheitert. Im Verborgenen geht die Suche nach einem Ausweg dennoch weiter.

Auch zwischen Jordan und Mittelmeer sind Sagen und Tun zwei Handlungen, die sich gerne mal widersprechen, jedenfalls wenn Politiker involviert sind. Man sagt das eine, oft auch mal laut bis sehr laut, und tut dann, wenn niemand hinschaut, doch etwas ganz anderes.

Ganz besonders auffällig ist das im Moment. Offiziell sind die Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde gescheitert; weil die im Westjordanland regierende Fatah eine große Koalition mit der den Gazastreifen dominierenden Hamas bilden will, sagt Israels Regierung. Weil Israel immer und immer wieder gerade dann, wenn man in den Verhandlungen irgendwo hingekommen sei, neue Siedlungsbauten angekündigt, und darüber hinaus auch die letzte Gruppe von 29 palästinensischen Häftlingen nicht frei gelassen habe, moniert die palästinensische Führung.

Doch während sich beide Seiten öffentlich gegenseitig die Schuld zuschieben, Sanktionen verhängt wurden und mit Anträgen auf Mitgliedschaft in UNO-Organisationen gedroht wird, sprechen im Verborgenen beide Seiten weiterhin miteinander und suchen nach einem Ausweg.

Denn beiden ist sehr bewusst: Irgendwie muss es weiter gehen. Denn in der Palästinensischen Autonomiebehörde spitzen sich die Dinge zu. Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich ständig, die Arbeitslosigkeit erreicht von Monat zu Monat neue Höchststände. Für Aufregung hat in Israel auch die Drohung von Präsident Mahmud Abbas gesorgt, die Autonomiebehörde einfach abzuwickeln: Irgend jemand müsste dann die Verantwortung für Millionen Palästinenser übernehmen – ein Unterfangen, das mehrere hundert Millionen Euro im Jahr kosten würde. Und Europäische Union und Vereinigte Staaten haben bereits klar gestellt, dass man Israel keinesfalls die Besatzung des Westjordanlandes finanzieren wird. Die Finanzhilfen an die Palästinenser seien immer schon als Übergangslösung bis zur Etablierung eines überlebensfähigen Staates gedacht gewesen.

Im Raume steht auch die Frage, was mit dem Gazastreifen passieren soll. Die Hamas ist kaum noch dazu in der Lage, ihre Macht dort aufrecht zu erhalten, und im Grunde sind sich sowohl israelische als auch US-amerikanische Sicherheitsexperten darin einig, dass eine Einheitsregierung unter Führung der Fatah die beste, wenn nicht gar die einzige Lösung ist. »Die einzige Alternative wäre eigentlich nur, die Hamas-Führung dort zu akzeptieren, zu stärken und den Dialog mit ihr zu suchen«, heißt es in einer Analyse der israelischen Zeitung »Jedioth Ahronoth«. Doch das sei aus israelischer Sicht kein gangbares Szenarium: »Die Ablehnung der Hamas ist politischer Konsens.«

Und so zeigt ein genauer Blick auf die Liste der israelischen Sanktionen, dass sie vor allem dazu dienen, die Rechte zu beruhigen, ohne deren Stimmen Regierungschef Benjamin Netanjahu keine Mehrheit mehr hätte: Sozialabbau und die Debatte um den Wehrdienst für ultraorthodoxe Juden haben dazu geführt, dass ein Großteil der Opposition zwar einen Friedensvertrag mit den Palästinensern unterstützen würde, aber ansonsten nicht mal in der Nähe von Netanjahu gesehen werden möchte.

So hat Israel beispielsweise die Überweisungen aus den Zoll- und Mehrwertsteuereinnahmen an die Autonomiebehörde nicht – wie angedroht –, vollständig eingestellt: Tatsächlich werden von den umgerechnet gut 100 Millionen Euro im Monat etwa 35 Millionen für die Lieferung von Elektrizität und Wasser abgezogen – Geld, das Israel in der Vergangenheit meist gestundet hat.

Auch die Blockade von palästinensischen Bauprojekten in Gebieten unter vollständiger israelischer Kontrolle betrifft nahezu ausschließlich Vorhaben, die sich noch in der frühen Planungsphase befinden; die Planungen gingen dennoch weiter, heißt es bei der Autonomiebehörde.

»Uns war sehr bewusst, dass die Unterzeichnung der internationalen Konventionen und die Einheitsregierung mit der Hamas zu einer scharfen Reaktion aus Israel führen würden«, sagt ein enger Mitarbeiter von Abbas: »Tatsächlich sind die Sanktionen aber gemäßigter ausgefallen, als wir erwartet hatten.«

* Aus: neues deutschland, Samstag 3. Mai 2014


Israel straft

Totaler Baustopp für Palästinenser in den besetzten Gebieten. Jüdische Siedlungen expandieren wie noch nie

Von Knut Mellenthin **


Premier Benjamin Netanjahu hat am Donnerstag angekündigt, daß er den Charakter Israels als »jüdischer Staat« grundrechtlich festschreiben lassen will. Damit wäre wenigstens teilweise der Absurdität abgeholfen, daß Israel zwar von den Palästinensern verlangt, als »jüdischer Staat« anerkannt zu werden, aber sich selbst offiziell gar nicht so definiert. Israel hat keine Verfassung, sondern nur eine laufend ergänzte Sammlung von sogenannten »basic laws«.

Was das Wort »jüdisch« und der Begriff »jüdischer Staat« bedeuten, ist in Israel heftig umstritten. Netanjahu versicherte aber, die vom ihm angekündigte Festschreibung werde Israels nicht-jüdischen Bürgern – rund ein Fünftel der Bevölkerung sind arabischer Abstammung – keinen Schaden zufügen. »Der Staat Israel wird stets die volle rechtliche Gleichheit aller seiner Bürger bewahren«, versprach der Regierungschef. In Wirklichkeit ist der zionistische Staat davon aber schon heute sehr weit entfernt. Beispielsweise gilt für Juden ein völlig anderes Einwanderungsrecht als für Nicht-Juden. Der arabische Bevölkerungsteil ist außerdem weitgehend vom Landerwerb ausgeschlossen. Araber werden nicht zum Kriegsdienst eingezogen. Gleichzeitig sind ihnen aber viele Chancen verschlossen, die mit einer abgeleisteten militärischen Dienstpflicht verbunden sind.

Die israelische Friedensorganisation Peace Now veröffentlichte am Dienstag einen Bericht über die zionistische Bautätigkeit in den besetzten Gebieten. Daraus geht hervor, daß Netanjahus Regierung in den vergangenen neun Monaten den Bau von 13851 neuen Wohnungen für jüdische Siedler in den besetzten Gebieten genehmigte – ein absoluter Rekord in der israelischen Geschichte. Gleichzeitig wurden 4868 Siedlerwohnungen neu gebaut. Netanjahu hatte offenbar den Schutz der »Friedensgespräche« mit den Palästinensern genutzt, um fast ohne jeden internationalen Protest die Annektion der besetzten Gebiete voranzutreiben. Die von den USA erzwungenen Pseudo-Verhandlungen hatten Ende Juli 2013 begonnen. Die damals gesetzte Neunmonatsfrist für deren Dauer lief am Dienstag ab.

Während die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten expandieren und sich oft auch illegal auf arabisches Land ausdehnen, besteht schon seit einem Monat für die palästinensische Bevölkerung der »Area C« absolutes Bauverbot. Dies Gebiet umfaßt rund 60 Prozent der besetzten Westbank und wird ausschließlich von Israel regiert. Dort werden nun generell, wie israelische Stellen Ende April bestätigten, keine neuen Baugenehmigungen für Nicht-Juden mehr erteilt. Damit sollen die Palästinenser dafür bestraft werden, daß Präsident Mahmut Abbas bei der UNO den Beitritt zu 15 internationalen Verträgen und Konventionen beantragt hat.

Schon vorher bekamen Palästinser nur in Ausnahmefällen und unter großen Schwierigkeiten eine offizielle Baugenehmigung. Da aber Wohnraum dringend benötigt wird, werden viele Häuser »illegal« errichtet. 373 Bauten ließ Israel nach eigenen Angaben im vorigen Jahr abreißen. Am Dienstag rückten mehrere hundert israelische Soldaten mit Bulldozern im Dorf Khirbet al-Tawil auf der Westbank an. Sie zerstörten eine vor sechs Jahren errichtete Moschee, ein dreistöckiges Wohnhaus, Ställe und einen Gemeinschaftsbrunnen. Rund 30 Menschen wurden obdachlos gemacht. Viele »illegale« Bauten dulden die Besatzungsbehörden einige Jahre lang. Die Bulldozer rücken jedoch immer dann an, wenn Bau- und Ackerland für jüdische Siedlungen benötigt wird.

Die Weigerung der Israelis, neue Baugenehmigungen in der Area C zu erteilen, ist Teil eines umfangreichen Pakets wirtschaftlicher Strafmaßnahmen. Diese richten sich insbesondere gegen den Versuch von Fatah und Hamas, lange bestehende Meinungsverschiedenheiten und Feindseligkeiten zu überwinden. Zu den Sanktionen gehört, daß ein Programm »eingefroren« wurde, durch das Teile der Area C in Ackerland für Palästinenser umgewandelt werden sollten.

** Aus: junge Welt, Samstag 3. Mai 2014


Despite impasse, UN chief urges continued focus on Middle East peace efforts ***

1 May 2014 – Secretary-General Ban Ki-moon today appealed to Israelis and Palestinians to exercise prudence and avoid unilateral steps that would diminish the prospects of resuming negotiations after the latest downturn in the Middle East peace process.

“It is incumbent upon the parties to convince each other anew that they are partners for peace,” Mr. Ban urged in a statement from his spokesperson, calling also on the international community “to uphold its long-stated commitment” to realizing a comprehensive peace settlement.

He highlighted the Security Council debate on 29 April, stating “now is the time for the international community and the parties alike to reflect on how to preserve the prospects for a two-state solution”.

During that meeting, Robert Serry, the UN Special Coordinator for the Middle East Peace Process, warned the 15-member Council that the current “political stalemate” endangered what many see as perhaps the last chance to achieve the long-sought two-State solution.

Meanwhile, he said, the deadline expired for the nine-months of direct negotiations between Israelis and Palestinians, held under the auspices of United States Secretary of State John Kerry.

The talks had been ongoing since last August, resumed after the previous series of talks ended in September 2010 when Israel refused to extend its freeze on settlement activity in the occupied Palestinian territory.

“The Secretary-General appeals to all concerned to use this time constructively to find a meaningful path forward,” his spokesperson noted.

*** UN News Centre, 1 May 2014; http://www.un.org




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