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Kampf um die neue Landkarte in Nahost

USA geraten im Kampf gegen die Terrormilizen in Irak und Syrien in Konflikt mit regionalen Verbündeten

Von Karin Leukefeld *

Der britische Premier David Cameron und Irans Präsident Ruhani haben bei einem historischen Treffen in New York über IS beraten. Dies würde Ruhani auch mit den USA tun, wenn die denn wollten.

Die britisch-iranischen Beziehungen entspannen sich offenbar. Das Gespräch in den Räumen der britischen UN-Vertretung war das erste Treffen eines britischen Regierungschefs mit einem iranischen Staatsoberhaupt seit der Islamischen Revolution im Iran 1979. In der US-Administration gibt es ähnliche Bestrebungen wie in London; noch aber verhindert vor allem die Israel-Lobby im US-Kongress einen substanzielle Normalisierung der Beziehungen zwischen Teheran und Washington.

Für ihn sei nicht »klar«, was die USA und ihre Koalition wirklich wollten, sagte der iranische Präsident Hassan Ruhani in einem CNN-Interview. »Handeln sie unter öffentlichem Druck zu Hause«, oder »wollen sie ein greifbares, wirkliches Ziel in der Region erreichen«? Viele Fehler seien gemacht worden, so Ruhani. Alle zusammen »haben uns dahin geführt, wo wir heute stehen«.

US-Präsident Barack Obama erläuterte derweil im UN-Sicherheitsrat sein Vorhaben. Mit einer «breiten Koalition« wolle man das «Netzwerk des Todes« niederreißen, und die ganze Welt sei aufgefordert, »sich diesem Streben anzuschließen«. Die nun erfolgten Luftangriffe seien »erst der Anfang« eines langen Krieges, erläuterte Pentagonsprecher John Kirby.

Die »New York Times« veröffentlichte vor einem Jahr eine neue Karte der Region unter dem Titel: »Wie aus fünf Staaten 14 werden könnten«. Darauf wird gezeigt, wie durch den Krieg in Syrien das Land selbst als auch Irak entlang ethnischer und religiöser Linien auseinanderbrechen oder auseinandergebrochen werden könnten. Zwischen Irak und Syrien könnte demnach ein »Sunnitisches Kernland« entstehen, die nordirakischen Kurden könnten ihr »Kurdistan« dann bis Aleppo ausdehnen.

Die Terrormiliz Islamisches Staat (IS) hat mit ihrem – von der Türkei, Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten unterstützten – Vormarsch die Kernerarbeit für diese Aufspaltung Syriens und Iraks schon gemacht. Weil man ihnen aber nicht die lukrativen Ölquellen von Kirkuk und die Ölquellen Syriens überlassen will, werden Luftangriffe geflogen, um die Organisation zu schwächen.

Die Türkei fordert derweil eine »Pufferzone« entlang ihrer Grenze zu Syrien und Irak, die von den nordirakischen Kurden kontrolliert werden könnte. Mit dem dort herrschenden Chef der Autonomieregierung, Masud Barzani, pflegt Ankara gute Beziehungen. Die syrischen Kurden, die in den vergangenen drei Jahren eine unabhängige Position gegenüber jeder militärischen Konfrontation in Syrien einnahmen und weder der syrischen Regierung noch den regierungsfeindlichen Kampfverbänden zuneigten, werden nun durch die IS-Angriffe geschwächt.

Die Türkei nimmt Flüchtlinge aus den umkämpften Gebieten von Kobane (arabisch Ain al-Arab) auf und fordert dafür Unterstützung von der »internationalen Gemeinschaft«. Gleichzeitig lässt Ankara Kämpfer und Waffen weiter nach Syrien und Irak einsickern, was den Islamischen Staat stärkt. Um von diesen Kämpfern nicht angegriffen zu werden, fordert Ankara eine Flugverbotszone, die von den bereits stationierten Patriot-Raketenabwehrsystemen aus Deutschland, den Niederlanden und den USA geschützt werden soll.

Im Nordosten Syriens könnte – so der neokonservative US-amerikanische Terrorismus- und Nahost-Experte Walid Phares auf Fox News – ein »sicherer Hafen« für syrische Kurden, Christen und andere Minderheiten entstehen, die von dort aus »gegen IS kämpfen können«. Die USA wollen in dem Gebiet »moderate Kämpfer« stationieren, die in Saudi-Arabien – und auf dessen Kosten – ausgebildet und bewaffnet werden. Die vom Westen anerkannte oppositionelle Nationale Koalition für Syrien mit Sitz in Istanbul soll sich dort etablieren und – mit finanzieller Unterstützung des Westens – eine eigene Regierung bilden.

Über die Kreditanstalt für Wiederaufbau kontrolliert die Bundesregierung zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten einen »Wiederaufbaufonds Syrien«. Dieser dient einem »gemeinschaftlichen Finanzierungsmechanismus der Mitgliedsstaaten der Freunde Syriens zur zivilen Unterstützung der Nationalen Koalition«. Die anderen drei Staaten, die auf der erwähnten Landkarte aufgeteilt werden, sind Jemen, Libyen und Saudi-Arabien nach dem Ende der dortigen Monarchie.

* Aus: neues deutschland, Freitag 26. September 2014


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