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"Letzter Sargnagel" für Friedensgespräche?

Israels Premier Netanjahu weist Bedingungen von Palästinenserpräsident Abbas zurück

Von Oliver Eberhardt *

Vor dem Zentralrat der PLO hat der palästinensische Präsident Mahmud Abbas die Bedingungen für weitere Verhandlungen festgelegt. Israels Regierung wies sie umgehend als unerfüllbar zurück.

An diesem Montag (28. April) wird Israel für einen Moment zum Stillstand kommen. Unter dem eindringlichen Ton der Luftsirenen wird ein Großteil des Landes für einen Moment innehalten, um der Opfer des Holocausts zu gedenken.

Schon am Tag zuvor machte sich Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu daran, aus dem Gedenktag ein politisches Symbol zu machen. »Die Hamas versucht, einen neuen Holocaust zu starten«, sagte er in seiner traditionellen Ansprache zu Beginn der wöchentlichen Kabinettssitzung. Kurz zuvor hatte der palästinensische Präsident Mahmud Abbas die Schoah als das »furchtbarste Verbrechen der modernen Geschichte« bezeichnet, was Netanjahu als Steilvorlage nutzte: »Anstatt die Weltöffentlichkeit zu beruhigen, sollte Abbas das Einheitsabkommen mit der Hamas absagen.« Und gleich eine Drohung folgen ließ: »Der Hauptunterschied zwischen der Hilfslosigkeit der Juden im Holocaust und den Juden heute ist, dass wir ein starkes Land mit einer starken Armee haben, die sie verteidigen kann.«

Doch die markigen Worte des Premiers täuschen. Netanjahu ist weitgehend isoliert. Im Ausland. Aber auch im Inland. Selbst in seinem eigenen Likud-Block mahnt man mittlerweile recht offen, man solle sich doch erst einmal anschauen, wie die neue palästinensische Regierung aussehen wird. Und auch: Wie sich die Hamas dabei verhalten wird. Vor allem aber: Ein Großteil der Koalition möchte, dass die Verhandlungen mit den Palästinensern fortgesetzt werden. Die Bedingungen dafür hat Mahmud Abbas in seiner Rede vor dem Zentralrat der Palästinensischen Befreiungsorganisation ebenfalls vorgestellt. Man würde drei Monate lang weiter verhandeln, wenn dabei als allererstes die Grenzen Palästinas festgelegt werden würden. Außerdem müsste ein kompletter Baustopp im Westjordanland und in Ostjerusalem verhängt werden und die vierte und letzte Gruppe von Gefangenen, die eigentlich bereits Ende März hätte entlassen werden sollen, nun freigelassen werden.

Netanjahu wies dies als »letzten Sargnagel« für die Friedensverhandlungen zurück. Abbas wisse, dass Israels Regierung diese Forderungen nicht akzeptieren werde, erklärte er, nur um kurz darauf ausgerechnet vom Chef seines größten und wichtigsten Koalitionspartners, Jair Lapid von der Zukunftspartei, brüskiert zu werden: Es sei bekannt, dass seine Fraktion wie auch die beiden Kleinparteien Kadima und HaTnuah, die Partei von Justizministerin und Chefverhandlerin Zippi Livni, für die Gefangenenfreilassung sei. Wie auch der Baustopp werde die Sache ausschließlich von der Siedlerpartei Jüdisches Haus, die ebenfalls Teil der Koalition ist, blockiert. Lapid: »Ich lehne es ab, dass jedes Mal, wenn wir in den Verhandlungen weiter kommen, neue Baupläne an Orten veröffentlicht werden, von denen bekannt ist, dass sie nicht unter unserer Kontrolle bleiben werden.«

Derzeit hofft man im Lager Netanjahus noch darauf, dass man die USA und die Europäische Union zur Einstellung der Finanzhilfen an die Palästinenser bewegen kann, falls es tatsächlich zur Einheitsregierung kommt. Doch die Chancen dafür sind gering.

Zwar sagte eine Sprecherin des US-amerikanischen Außenministerium, man sei »enttäuscht«, und im Kongress wirbt die Israel-Lobby für Sanktionen. Doch das Weiße Haus arbeitet ebenso hart daran, dies zu verhindern. Die EU-Außenbeauftrage Catherine Ashton erklärte zudem, die Aussöhnung der Palästinenser unter Leitung von Abbas sei eine wichtige Voraussetzung für die Zweistaatenlösung.

Denn: Seit ihrer Machtübernahme im Gaza-Streifen im Sommer 2007 hat sich die Hamas dort stark gewandelt – sie ist pragmatischer geworden. Zudem hat sie mittlerweile enorme Schwierigkeiten, ihre Macht dort aufrechtzuerhalten, nachdem Ägypten Anfang März den Finanzfluss an die Organisation stoppte.

Und eine andere Lösung als eine Integration der Hamas in die PLO hat bislang keiner der Beteiligten anzubieten.

* Aus: neues deutschland, Montag 28. April 2014

Abbas muss sich entscheiden zwischen Frieden und Hamas

Dokumentiert: Die Mitteilung der israelischen Botschaft in Berlin

Stellungnahme zur Vereinbarung zwischen Fatah und Hamas

Nach der Vereinbarung zwischen Fatah und Hamas sagte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, Mahmoud Abbas müsse sich entscheiden zwischen Frieden mit Israel und einer Einigung mit der Hamas, einer mörderischen Terrororganisation, die zur Vernichtung des Staates Israel aufruft, und die sowohl von den Vereinigten Staaten, als auch der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft wird.

Zu bedenken ist hierbei zum einen, dass die Terrororganisation Hamas mehr als 10.000 Raketen und Mörsergranaten auf Israel abgeschossen und Selbstmordattentäter in israelische Städte geschickt hat.

Die Hamas ist verantwortlich für den Tod hunderter israelischer Zivilisten. Präsident Abbas stellt sich an die Seite des Hamas-Präsidenten Ismail Haniyeh, der dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht und sagt, dass „Palästina vom Meer bis zum Fluss, von Rosh Hanikra bis Rafah reicht. Wir werden Israel nicht anerkennen.“ Die Hamas lehnt sämtliche Aufrufe seitens des Quartetts (USA, EU, Russland und UN) ab, den Terror gegen Israel zu stoppen und den Staat Israel und vorangegangene Vereinbarungen zwischen der PA und Israel anzuerkennen.

Zu bedenken ist zum zweiten, dass das Abkommen zwischen Fatah und Hamas geschlossen wurde, während sich Israel intensiv um eine erfolgreiche Fortführung der Verhandlungen, unter Leitung des US-amerikanischen Außenministers John Kerry, bemühte. Immer wieder hat die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in den vergangenen Monaten die Verhandlungen gefährdet, indem sie einseitige Schritte unternahm: zunächst durch den Anschluss an 15 internationale Organisationen, dann durch die Drohung, die PA aufzulösen, und schließlich durch die Vereinbarung mit der Hamas.

Die israelische Regierung hat als Reaktion auf diesen Schritt seitens der Palästinensischen Autonomiebehörde beschlossen, die Verhandlungen vorerst auszusetzen, bis geklärt wurde, welche Richtung der Präsident der PA, Mahmoud Abbas, einschlägt. Israel will weiterhin eine friedliche Lösung des Konflikts erreichen, die auf einer Zwei-Staaten-Lösung beruht und die es beiden Völkern, Israelis und Palästinensern, ermöglicht, friedlich Seite an Seite zu leben.

(Botschaft des Staates Israel, 25.04.2014)



Pragmatiker

Von Oliver Eberhardt **

Welche Rolle wird Ismail Hanija, derzeit Chef der Hamas-Regierung im Gaza-Streifen, künftig in der palästinensischen Politik spielen? Demnächst soll in den Autonomiegebieten wieder eine Einheitsregierung gebildet werden; sein Kabinett dürfte damit obsolet werden. Als sicher gilt jedoch, dass der 52-jährige auch künftig großen Einfluss haben wird. So wird vermutet, dass der Vater von 13 Kindern gemeinsam mit zwei weiteren Funktionären die Führung der Organisation in Gaza bildet, wobei die Hamas Details geheim hält, nachdem mit Scheich Ahmed Jassin und Abd al-Aziz ar-Rantisi die beiden letzten Anführer von Israels Sicherheitskräften getötet worden sind.

Hanija gilt als Pragmatiker, der die militanten Kräfte auf Abstand hält und maßgeblich für die Umgestaltung der Hamas in eine politische Kraft in Palästina verantwortlich war. So setzt er sich seit Jahren für die Integration in die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO ein; zudem hat er sich bereits 2006, gegen den massiven Widerstand des damals in Damaskus ansässigen Politbüros für die Waffenstillstandslinie von 1949 (67er-Grenze) als Grenze Palästinas ausgesprochen und für den Fall eines Rückzugs die Anerkennung Israels in Aussicht gestellt – was er nach heftigen Protesten in das Angebot eines dauerhaften Waffenstillstandes umwandelte. Andererseits erklärte er aber auch immer wieder, die Hamas werde niemals das »zionistische Gebilde« anerkennen.

Hanija, der Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre mehrere Jahre in israelischen Gefängnissen saß, wurde nach den palästinensischen Parlamentswahlen Anfang 2006, die die Hamas-Wahlliste »Wechsel und Reform« gewann, zum Regierungschef ernannt; der Schritt führte zu internationalen Sanktionen. Als Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ihn dann im Juni 2007 absetzte und den Posten unter Umgehung des Parlaments an Salam Fajad vergab, kam es in Gaza zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kämpfern der Hamas und Kräften der Autonomiebehörde, die am Ende unterlag, und dort seitdem keinen Einfluss hat.

** Aus: neues deutschland, Montag 28. April 2014


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