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Kerrys geheime Abmachungen

Die Zeichen im Nahen Osten deuten auf ein Rahmenabkommen Israels mit Palästina

Von Oliver Eberhardt *

Gehen die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern in die heiße Phase? Die Signale sprechen dafür: Beide Seiten pokern um das maximal Mögliche.

Ein »geradezu historischer Moment«, sei es gewesen, sagt jemand, der dabei war: »Ich habe Netanjahu nie zuvor so gestresst erlebt«, berichtet der Abgeordnete des Likud-Blocks. Zum allerersten mal habe der sonst so selbstsichere Regierungschef während der Sitzung der Likud-Fraktion am Montag durchscheinen lassen, unter welch starkem Druck er steht, wie ratlos er ist: »Er macht keinen Hehl mehr daraus, dass er nicht weiß, welche Antwort er den Amerikanern geben soll. Und dass es kaum noch eine Hoffnung gibt, mehr rauszuholen, als derzeit auf dem Tisch liegt.«

Was das genau ist, das kann auch heute niemand so genau sagen. Sowohl Israelis als auch Palästinenser schweigen sich dazu aus; auf der israelischen Seite wissen nur die Minister des Sicherheitskabinetts, einer Art innerem Kreis, worum es geht. Und auf der palästinensischen Seite ist es völlig unklar, wer eingeweiht ist und wer nicht.

Die Details, die unter der Hand verraten werden, lassen darauf schließen, dass das US-Außenministerium, das nach Angaben von Diplomaten an der US-Botschaft in Tel Aviv immerhin 170 Leute dafür abgestellt hat, durchaus nach kreativen Lösungen sucht. So steht beispielsweise die Idee im Raum, auf jordanischem Gebiet entlang der Grenze zum künftigen Palästina eine Beobachtertruppe zu stationieren, um damit dem israelischen Bedürfnis nach Sicherheit und der palästinensischen Forderung nach der kompletten Übergabe des Jordantals Rechnung zu tragen. Ein jordanischer Regierungssprecher sagte, man sei dazu durchaus bereit. Nur die israelische Seite ziert sich; das Jordantal sei ebenso wie Orte, die wichtig für das Judentum sind, also vor allem Hebron, nicht verhandelbar.

Doch insgesamt herrscht hüben wie drüben die Ansicht vor, dies sei »keine alleinige Angelegenheit zwischen Israelis und Palästinensern mehr«, wie ein Berater von Palästinas Präsident Mahmud Abbas zusammenfasst. Kerry habe »uns die Sache aus den Händen gerissen«, ist aus dem Hause Netanjahu zu hören.

Zwar ist Kerry ohne erkennbare Ergebnisse abgereist. Doch er wird zurückkommen, schon nächste Woche, und auf beiden Seiten weiß man: Irgendwann wird er ein Rahmenabkommen mitbringen. »Wenn es soweit ist, wird es beiden Seiten nahezu unmöglich sein, dem zu entkommen«, kommentierte die Zeitung »Jedioth Ahronoth« am Dienstag.

Denn sowohl die USA als auch die Europäische Union haben schon vor Wochen klar gestellt, dass man nun Ergebnisse sehen will. »Sollte das wieder mal nicht passieren, dürfte die Welt, wie die Führungen beider Seiten sie kennen, aufhören zu existieren«, so ein EU-Diplomat. Die bisherige Doktrin, dass ein Staat Palästina nur auf der Grundlage eines Verhandlungsergebnisses entstehen kann, würde wohl aufgegeben werden; beide Seiten müssten mit sehr erheblichen finanziellen Einbußen rechnen. Hinzu käme, dass selbst Länder, die bislang auf der Seite Israels gestanden haben, künftig Vorstößen der Palästinenser, Mitglied in internationalen Organisationen zu werden, nicht mehr widersprechen dürften.

Auf der israelischen Seite sind im Parlament vermutlich mittlerweile maximal 35 Abgeordnete von 120 gegen einen Deal. Selbst Außenminister Avigdor Lieberman, bisher ein scharfer Kritiker der Verhandlungen, sagte Anfang der Woche, dies sei das beste Ergebnis, das Israel bekommen könne. Allerdings plädierte er auch dafür, die überwiegend von Arabern bewohnten Gebiete im Dreiländereck Israel-Jordanien-Palästina an die Palästinenser zu übergeben – was die dortige Bevölkerung ebenso wie die Mehrheit des Parlaments aber ablehnt.

Israels Linke findet derweil sehr scharfe Worte für Benjamin Netanjahu: Der Premier benehme sich wie ein »visionsloser Geschäftsführer«, kritisiert Jitzhak Herzog, Chef der Sozialdemokraten. Er müsse sich nun entscheiden. Er habe ein Mandat für ein Abkommen; die Linke werde ihn unterstützen: »Es ist nicht die Frage, ob die politische Unterstützung da ist; die Frage ist, ob er das Rückgrat hat.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 8. Januar 2014


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