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Neue Hoffnung für Palästina?

Von Norman Paech

KOMMENTAR

Wieder eine Zeit der Hoffnung, ja der Euphorie: ein neuer Anfang, ein neuer Präsident der Palästinenser für den Frieden im Nahen Osten, eine Absage an den Weg der Gewalt. Wie immer in Zeiten der Aussichtslosigkeit verzichtet man für einen Augenblick auf die Erfahrung der Jahre und klammert sich an den kleinsten Strohhalm, der einen von der eigenen Verantwortung zum Handeln befreien könnte. Man setzt seine Hoffnung in einen frisch gewählten Präsidenten Mahmud Abbas, der die Erfolglosigkeit der Intifada eingestanden hat. Man vertraut plötzlich dem israelischen Premier Ariel Scharon, der allein Arafat zum Hindernis eines jeden Friedensplans erklärt hat und alle Siedler aus dem Gaza-Streifen und vier isolierte Siedlungen im Norden der Westbank abziehen will. Und man hofft auf eine neue Nah-Ost-Konferenz, die Tony Blair wieder ins Spiel gebracht hat. Nur bei Präsident Bush bleibt man offensichtlich nüchtern und erhofft sich gar nichts.

Doch was ist realistischerweise nach diesen Wahlen zu erwarten, die wie die Wahlen in Afghanistan und im Irak zum Fetisch des Neubeginns erhoben werden? Abbas mag der konziliantere Gesprächspartner im Vergleich zu Arafat sein, und vielleicht bekommt er die viel kritisierten Zustände in der Autonomiebehörde besser in den Griff. Doch auch er wird nicht die Gewalt aus den palästinensischen Reihen stoppen können, wenn Scharon den Mauerbau, die gezielten Tötungen und seine Siedlungspolitik fortsetzt. In den drei zentralen Verhandlungspunkten über einen palästinensischen Staat: Jerusalem, die Siedlungen und die Flüchtlinge hat Abbas genauso wenig Spielraum wie Arafat, da ihnen dieser bereits weitgehend von den Israelis genommen worden ist.

Bei Scharon ist man offensichtlich immer wieder geneigt zu vergessen, mit wem es die Palästinenser zu tun haben. Sein Plan ist klar: er opfert den Gaza-Streifen sowie einige unbedeutende Siedlungen in der West Bank. Dafür wird er die Kontrolle über die großen Siedlungen nicht aufgeben und sich jene 16 Prozent der West Bank aneignen, die durch die Mauer auf allen Seiten von dem palästinensischen Restgebiet noch abgeschnitten werden. Man erinnere sich an Scharons engsten Freund Dov Weissglas, der im Oktober 2004 in der Zeitung Haaretz ganz offen den Rückzugsplan Scharons als die Beerdigung des Projektes eines Palästinensischen Staates bezeichnet hat. Er war es auch, der den Brief für Präsident Bush entwarf, mit dem dieser die Intentionen Scharons billigte und die Legitimität der Siedlungen unterstrich. Und Peres? Er kann und will höchstens kosmetische Änderungen an diesen Plänen vornehmen.

Scharons kategorischer Imperativ war immer: keine Verhandlungen, um nicht in seiner Politik der Annexion und des Schaffens von Fakten aufgehalten zu werden. Daher sein Terror, der den Terror der Palästinenser wie ein Pawlow'scher Effekt hervorruft. Abbas steht also in seinen Gesprächen vor der gleichen Quadratur des Kreises, an der schon Arafat in Camp David gescheitert ist. Er kann Scharons Plan nicht annehmen, denn der ist in den Worten von Dov Weissglas vergiftet: »Der Plan liefert die Menge von Formaldehyd, die notwendig ist, damit kein politischer Prozess mit den Palästinensern entstehen kann.« Was Ephraim Sneh, Labor-Mitglied in der Knesset, mit dem Satz kommentierte: »Formaldehyd ist jene Flüssigkeit, in der tote Körper aufbewahrt werden.« Wenn nicht die USA und die EU sich endlich von ihren Illusionen befreien, bleibt uns nur, Mahmud Abbas eine gute Gesundheit zu wünschen, denn es geht wiederum nur ums Überleben.

* Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg, emeritierter Hochschullehrer, Völkerrechtler. Den Besuchern unserer Website durch zahlreiche Beiträge bekannt.

Der Beitrag von Norman Paech erschien am 15. Januar 2005 als "Gastkolumne" in der Tageszeitung "Neues Deutschland"


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