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"Es reicht"

Jemen, Bahrain, Jordanien, Syrien, Ägypten: Hunderttausende protestieren in arabischen Ländern nach den Freitagsgebeten für mehr Rechte und bessere Lebensbedingungen

Von Karin Leukefeld *

Wieder ein »Tag des Zorns« bzw. ein »Tag der Ehre«: Am Freitag protestierten erneut Hunderttausende Menschen in Nordafrika und der arabischen Welt gegen Mißstände in ihren Ländern oder gegen ihre Regierungen. Sie forderten Reformen und bessere Lebensbedingungen. Die größten Menschenmassen waren im Jemen auf den Straßen, wo Zehntausende dem Aufruf zu einem »Tag des Rücktritts« gefolgt waren und einmal mehr Präsident Ali Abdullah Saleh aufforderten, sein Amt zu verlassen. Seit nunmehr sieben Wochen kampieren Tausende Menschen auf dem Platz nahe der Universität in Sanaa. Die Proteste haben auch andere Teile des Landes erreicht. Am Freitag vor einer Woche waren auf dem Platz Sicherheitskräfte massiv gegen die Demonstranten vorgegangen und hatten 52 Menschen getötet und mehr als 600 verletzt.

Saleh hält derweil weiter an seinem Amt fest. Am Donnerstag abend (24. März) erklärte er vor Tausenden Anhängern, er sei zum Rücktritt bereit, sobald ein »fähiger Nachfolger« gefunden sei. Ausländischen Journalisten wurde inzwischen mit der Ausweisung gedroht. Sollten sie weiter »die Fakten verdrehen und übertreiben« bei ihrer Berichterstattung über die Proteste werde man ihnen ihre Akkreditierung entziehen, sagte das Informationsministerium.

Stammesführer, die ebenfalls nach dem Massaker vom Freitag letzter Woche (18. März) ihre Solidarität mit der Jugendbewegung erklärt hatten, haben derweil sieben Militärbasen der Zentralen Sicherheitskräfte östlich von Sanaa in der Provinz Shabwa eingenommen. Das berichtete am Freitag die Yemen Times in ihrer englischen Onlineausgabe. Damit hätten sie vier der 17 Distrikte unter ihre Kontrolle gebracht, in Habban und Saeed befinden sich wichtige Ölförderanlagen.

Auch in Bahrain sollten die Proteste am Freitag mit einem »Tag des Zorns« weitergehen. Trotz des gewaltsamen Niederschlagens und dem Einmarsch ausländischer Truppen in dem kleinen Inselstaat wollten Menschenrechtsaktivisten wieder für ihre Forderungen nach einem Umbau der Monarchie und für mehr politische Rechte auf die Straße gehen. Die Proteste sollten an neun verschiedenen Orten in ganz Bahrain stattfinden, hieß es. Das vor einer Woche verhängte Kriegsrecht untersagt allerdings alle öffentlichen Versammlungen.

In Jordanien hatten Hunderte Demonstranten bereits am Donnerstag (24. März) im Zentrum der Hauptstadt Amman, am Platz des Innenministeriums, eine Zeltstadt aufgebaut, wo sie mit einem unbefristeten Sitzstreik für politische Reformen protestieren. Neben mehr persönlichen und politischen Rechten fordern sie den Rücktritt von Ministerpräsident Marouf Al-Bakhit und ein neues Wahlgesetz. Der ehemalige Armeegeneral Al-Bakhit war von König Abdullah II. erst vor wenigen Wochen ernannt worden. Weitere Forderungen sind die Auflösung des Parlaments und des gefürchteten Geheimdienstes, einem engen und brutalen Partnerdienst westlicher Geheimdienste. Bei den Demonstranten handelt es sich Beobachtern zufolge vor allem um Studierende und Universitätsabsolventen, die trotz ihres Abschlusses keine Arbeit finden. »Es reicht«, sagte ein arbeitsloser Soziologe ausländischen Journalisten. Der König müsse nicht abtreten, »aber er soll uns zuhören«. Jordanien solle »nicht länger ein Polizeistaat sein, der vom Geheimdienst regiert wird«.

Auch in Syrien protestierten erneut viele Menschen für mehr Rechte und bessere Lebensbedingungen, manche Quellen sprechen von Hunderten, andere von Tausenden. Dabei konzentrierten sich die Proteste offenbar auf Damaskus und Deraa, im Süden des Landes. Per Internet war zu einem »Tag der Würde« aufgerufen worden, vor allem um sich mit der Bevölkerung von Deraa zu solidarisieren. Dort waren bei Protesten in der vergangenen Woche Dutzende Menschen getötet worden. Eine Sprecherin des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad kündigte an, man arbeite an einem Gesetz, um den Ausnahmezustand zu beenden, außerdem werde ein neues Gesetz für die Zulassung neuer Parteien vorbereitet. Alle Personen, die in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden waren, wurden am Donnerstag freigelassen. Die Regierung leitete eine Untersuchung ein.

Die Ägypter protestierten am Freitag (25. März) gegen das neue Demonstrationsrecht, das am Mittwoch von der Regierung erlassen worden war. Danach sind alle Streiks, Demonstrationen und Sitzstreiks verboten, die private oder staatliche Unternehmen beeinträchtigen. Wer dazu aufruft oder dagegen verstößt, kann mit einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr oder einer hohen Geldbuße bestraft werden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, wozu auch Demonstrationen gehören, war als eine Kernforderung von der Revolution des 25. Januar durchgesetzt worden. Die Freitagsproteste in Kairo fanden an der Universität, auf dem Tahrir-Platz und vor dem Gebäude des staatlichen Rundfunks und Fernsehens statt. Bereits am Freitag morgen waren dort drei Personen festgenommen worden.

In der nordirakischen Kurdenmetropole Sulaimaniya war es bereits am vergangenen Mittwoch zu neuen Protesten gegen die korrupte Regierungsführung der großen kurdischen Parteien gekommen. Irakischen Medienberichten zufolge sollen die Sicherheitskräfte der kurdischen Parteien gegen die Demonstranten massiv vorgegangen sein, mindestens eine Person wurde getötet, zehn sollen verletzt worden sein.

* Aus: junge Welt, 26. März 2011


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