Der Nahost-Konflikt und die Medien
Eine Kritik von Dr. Viktoria Waltz* (Universität Dortmund)
Wussten Sie, dass die deutschen Journalistlnnen in der Region, natürlich
akkreditiert in Israel, eine Verpflichtung unterschreiben, nichts gegen
die Interessen und die Sicherheit Israels zu schreiben? Ahnen Sie, dass
das einer Selbstverpflichtung zum Maulkorb gleichkommt? Würden Sie
denken, daß deutsche Journalisten und Medien derart ‚käuflich' oder
einschüchterbar sind, dass sie Tatsachen unterschlagen, zu späten
Nachtzeiten senden, ja alles tun, um die Wahrheit nicht allzu
schrecklich zu übermitteln und sowieso eher aus israelischen denn aus
palästinensischen Quellen schöpfen und damit weder dem Neutralitätsgebot
noch dem Informationsgebot nachkommen? Nicht, weil man aus dem
Faschismus nichts gelernt hätte, sondern weil man nicht zulassen will,
was nicht sein darf?
In Palästina ist die Hölle los, jedes Kind weiß inzwischen, dass es nur
eine Lösung geben kann: Rückzug der Israelis aus allen besetzten
Gebieten und zwei Staaten in den Grenzen von 1947/48, was schon einen
palästinensischen Verzicht auf 2/3 des einst von ihnen belebten Landes
Palästina bedeutet. Und was tun unsere Medien und unsere Politiker?
Sie fordern seit einem Jahr Gewaltverzicht von den Palästinensern zu
allererste von denen also, die vor allem ihr Recht auf Unabhängigkeit
nach mehr als 50 Jahren einklagen, sie, die nicht für den deutschen
Massenmord an den europäischen Juden verantwortlich sind. Sind
Regierung und Medien derart verstrickt und selbst imperial gepolt, dass
es auch ihnen im Nahen7Mittleren Osten nur um die Sicherung des
Schmier-Öls für die europäische/amerikanische Wohllebens-, Industrie-
und Rüstungsmaschinerie geht - koste es was es wolle?
Die Palästinenserlnnen fragen sich heute, wo bleiben die deutschen
Joumalistlnnen, warum kommen sie zu keiner unserer Pressekonferenzen?
Warum erfahren die Deutschen am allerwenigsten in ihren normalen
Infortmationsquellen etwas über die Beweggründe, Hintergründe der
Palästinenser, über die groß angelegten Menschenrechtsverletzungen und
Genfer Konventionsverletzungen jetzt und seit 50 Jahren, auch während
des sogenannten Friedensprozesses bis zur Initfada? Warum sehen wir nur
weinende Israelinnen, aber niemals palästinensische Trauernde und
Verzweifelte? Gibt es sie nicht auch? Warum hören wir nie etwas über
die Beweggründe der Selbstmordattentäter? Weil sie immer gleich
erschossen werden, damit sie gar nicht erst sprechen können, aus welchem
Lager und welchem Teil Palästinas sie ursprünglich kommen, was ihren
Vätern, Müttern, Geschwistern und Freunden so lange sie zurückdenken
können geschah und in den letzten 50 Jahren? Warum auch erfahren wir
nicht in den Abendnachrichten, dass in Italien 100.000 Menschen für
Palästina auf die Strasse gingen? Warum hören wir kaum eine fundierte
Kritik und zweifelnde, Partei nehmende Stellungnahme gegen Unrecht,
während in den europäischen und auch den amerikanischen Medien
Hintergründe und Aufdeckungen jede Menge zu erhalten sind: Clintons
Wahlkampf durch die Israelische Arbeiterpartei mit-finanziert, Bush's
Wahlkampf durch den Likud Block- fast die Hälfte der amerikanischen
Regierungsmitglieder sind Dopppelstaatler, Israelis und Amerikaner,
Peace Now berichtet über die Tätowierungen von palästinensischen
Gefangenen und schreit: sind wir Nazis geworden? Spielen Regierung und
Medien das Spiel Sharons mit?
Sharon weigert sich, internationale Beobachter ins Land zu lassen. Soll
niemand berichten können
-
dass er nicht die 'Infrastruktur des Terrors', sondern die
'Infrastruktur zum Leben' zerstört?
-
Dass seine Soldaten inzwischen ein halbe Million Olivenbäume mit den
Wurzeln ausgerissen haben?
-
Dass im Umkreis aller Stützpunkte und Kolonien von fast einem
Kilometer kein Halm mehr übriggelassen wird, die Erde 'rasiert' worden
ist?
-
Dass seine Behörden 50.000 Tonnen Chemie- und Militärabfälle in einer
Mulde bei Beit Lahia in 30 Meter Tiefe versenkt haben und der gesamte
unterirdische Wasservorrat Gazas vor der Vergiftung steht?
-
Dass seine Soldaten die Wasserleitungen, Telefonleitungen und
Elektroleitungen in Ramallah zerstören und selbst Krankenhäuser
angreifen und die Menschen darin töten?
-
Dass seine Blockade so weit geht, dass die Milch für die Kinder im
Krankenhaus bereits fehlt?
-
Dass seine Soldaten in den Flüchtlingslagern die Menschen in einem
Raum zusammenfercben, und von dort aus den Fenstern - gedeckt durch
Möbel, durch Leichen und durch lebendige Jugendliche - gezielt Menschen
abschießen?
-
Dass Kühe und Schafe zu Hunderten abgeschossen werden?
- Dass keine 'palästinensische' Strasse mehr intakt ist?
- Dass bei der jüngsten Offensive mit 20.000 Soldaten allein in den
Lagern bei Bethlehem, Deheisheh und Alda an einem Tag rund 800 Männer
gezwungen worden, sich vor den Soldaten zu versammeln, Oberkörper
freimachen mussten, den Kopf verbunden bekamen, darauf später Nummern
gestempelt, die danach in die Hand 'tätowiert' wurden und sie dann in
unbekannte Gegenden mit Lastwagen abtransportiert und in fernen Lagern
konzentriert wurden?
-
Dass seit Beginn der Intifada 10.000 Menschen in israelische
Gefängnisse verschleppt wurden, allein 2.000 im Rahmen der ersten Tage
der Großoffensive, und dass etwa ein Drittel davon Jugendliche sind?
- Dass Spezialtruppen sich mit UN- und palästinensischen Ambulanzen
'bewaffnen', um unerkannt' in die Flüchtlingslager zu gelangen und dort wahllos zu
töten - auch Ärzte, Helfer und Verletzte?
Warum hören wir davon fast nichts? Warum wird nicht Empörung ganz
laut? Warum wird auch auf Interventionen und Hinweise der Zuhörerlnnen
oder Leserlnnen nicht reagiert? Warum interviewt niemand
palästinensische Menschen und Persönlichkeiten, um der Wahrheit
wenigstens ein wenig näher zu kommen, oder höchstens 'mal Hannan
Ashrawi, und manchmal auch erst nachts um 24 Uhr? Und wenn die
Journalisten inzwischen Angst bekommen haben, haben sie nicht Telefon
und Intemet wie andere Menschen auch und können sie sich nicht rundum
informieren? Wollen die Headquarters die Nachrichten gar nicht, wie man
sich erzählt unter Joumalistlnnen im Lande? Machen sie sich nicht
mit-schuldig?
Die Informationen stammen aus einem Gespräch von Dr. Viktoria Waltz mit
dem palästinensischen Umweltminster Dr. Jusuf Abu Saflye aus Beit Lahla,
Gazastreifen am 10.03.02. Diese Informationen wurden von ihm auf der
Weltumweltkonferenz bekannt gemacht und führten zu dem Beschluss, dass
die UN mit Herrn Töpfer an der Spitze eine Erkundungsreise in die Region
durchführen sollen. "I hope he will make it", so Dr. Abu Safiye. Die
Information über das Tätowieren von Palästinensischen Gefangenen wurde
bereits am 8. März von Präsident Arafat gegeben und von den arabischen
Medien ausgestrahlt, Hannan Ashrawi informierte darüber in einem ca.
23.30 gesendeten Unterview mit dem WDR Köln am 9. März, am 13.3. gibt es
eine Meldung in Ha'aretz dazu.
* Dr. Viktoria Waltz hat sich im Rahmen ihrer Dozenten-Tätigkeit an der
Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung, auf die
israelisch/zionistische Siedlungspolitik und Planung spezialisiert und
dazu veröffentlicht. Zwischen 1997 und 2000 war sie
Regierungs-Beraterin des palästinensischen Wohnungsbauministeriums in
Gaza und Ramallah, seit 2001 betreut sie die Partnerschaft ihrer
Fakultät mit der Birzeit Universität.
Das Manuskript wurde am 13. März 2002 abgeschlossen.
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