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Bundesdeutsche Verantwortung im Nahen Osten

Wo bleibt der nachhaltige Aufruf zur Beendigung der Kampfhandlungen?

Von Hans Voß *

Die gegenwärtigen Kriegshandlungen im Nahen Osten geben den Blick frei auf angestrebte Veränderungen der politischen Landkarte in diesem Raum. Israel, gefördert und unterstützt von seinem Hauptverbündeten, den USA, unternimmt alles, um potenzielle Feinde dauerhaft auszuschalten. Auch die deutsche Außenpolitik ist an dieser Unternehmung beteiligt.

Sicher, die Sympathien der Bundesregierung lagen schon immer auf der Seite Israels. Die Begründungen sind bekannt. Aber es gab auch stets das Bemühen, ein ausgewogenes Verhältnis zu beiden Seiten zur Schau zu stellen. Dafür stand die Pendeldiplomatie Joschka Fischers. Selbst wenn in der Sache dadurch kaum etwas bewegt werden konnte, erschien die Bundesrepublik vielerorts doch als ein Staat, der in Notzeiten als Vermittler herangezogen werden konnte.

Die Bundesregierung ist im Begriff, diesen Nimbus zu verlieren. Dazu hat zunächst beigetragen, dass Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier zu den ersten westlichen Politikern gehörten, die Front gegen die frei gewählte Hamas-Regierung in Palästina bezogen. Statt die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und auf einen geduldigen Verhandlungsprozess zu setzen, wie einst zu Zeiten Yasser Arafats, wurden Ultimaten gestellt und Wirtschaftsanktionen verhängt. Ansätze von Veränderungen in der Haltung der Hamas zu Israel wurden ignoriert.

Musste das die israelische Regierung nicht als einen Freibrief betrachten, durch militärische Aktionen die Hamas-Strukturen zu zerschlagen? Die Entführung eines israelischen Soldaten hielt dazu als Vorwand her. Israel musste sich im Vorgehen auch dadurch bestärkt sehen, dass sich die Bundesrepublik zusammen mit anderen EU-Staaten im neu gebildeten Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen einer Resolution widersetzte, die mehrheitlich den unangemessenen israelischen Rachefeldzug verurteilte.

Ähnlich verständnisvoll verhielt sich die Bundesregierung, als sich die Regierung Israels anschickte, Libanon mit Krieg zu überziehen. Wenn auch die Hisbollah in Libanon durch Entführungen und Raketenbeschuss der israelischen Seite den willkommenen Vorwand für ein massives Eingreifen bot (man muss sich fragen, ob ein solches Eingreifen nicht sogar provoziert werden sollte), ist alles, was danach geschah, nicht mehr mit legitimer Selbstverteidigung zu vereinbaren. Massenweise Vertreibungen, Zerstörung der Infrastruktur eines souveränen Landes, Tötung unschuldiger Zivilisten – das alles hat mit dem Recht auf Selbstverteidigung nichts zu tun.

Jetzt wäre es eigentlich Pflicht der Bundesregierung gewesen, sich nachdrücklich für eine Beendigung der Kampfhandlungen einzusetzen. Doch nichts Vergleichbares geschah. Der USA-Argumentation folgend, wurde erklärt, die Zeit für eine Waffenruhe sei noch nicht reif. Erst müsse die Hisbollah die gefangenen Soldaten herausgeben und den Raketenbeschuss einstellen, bevor weiter gehende Schritte erfolgen könnten. Wiederum in Übereinstimmung mit den USA reiste Außenminister Steinmeier erst zu einer Erkundungsreise in den Nahen Osten, als seine Kollegin Condoleezza Rice dazu ihre Zustimmung signalisierte. Konkrete Vorstellungen hatte Steinmeier nicht in der Tasche.

Was das deutsche Zögern besonders bedenklich erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass in Libanon Tausende deutsche Staatsbürger unmittelbar von den Kriegshandlungen betroffen sind. Zwar unterstützte die Bundesregierung deren Ausreise. Aber wo blieb der Ruf nach Humanität, nach Einhaltung der Menschenrechte, zumindest aber nach gefahrloser oder organisierter Heimreise? Hätte die deutsche Regierung ähnlich zurückhaltend gehandelt, wenn deutsche Staatsbürger beispielsweise in Serbien oder Belarus ähnlichen Torturen ausgesetzt gewesen wären? Inzwischen ist Condoleezza Rice im Nahen Osten eingetroffen. Angeblich plädiert sie nunmehr für einen Waffenstillstand. Doch hat sich an den Vorbedingungen dafür nichts geändert. Unverändert wird an der Kapitulation der Hisbollah festgehalten, und die Bundesregierung unterstützt diese Position.

Aufrufe zur Beendigung der Kampfhandlungen sucht man in ihren Stellungnahmen vergeblich. Stattdessen fokussiert sich die Diskussion in Deutschland auf die Frage, ob deutsche Soldaten unter Umständen an einer Friedenstruppe beteiligt sein sollten, die im südlichen Libanon stationiert werden sollte. Damit haben deutsche Politiker endlich wieder einen Gegenstand gefunden, über den sich trefflich streiten lässt. Ausgeblendet ist im Augenblick die Frage, wie man zu einem Ende des Krieges kommt, welchen Status Libanon künftig haben soll und wie das menschliche Leid kompensiert wird, das der Krieg ausgelöst hat.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juli 2006


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