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Wirtschaftliche Unterstützung für den Nahen Osten und Nordafrika

Datenblatt zu der Rede, die Präsident Obama am 19. Mai gehalten hat


Im Folgenden dokumentieren wir das Datenblatt zu der Rede, die Präsident Obama am 19. Mai 2011 gehalten hat. Das Datenblatt datierte bereits vom 18. Mai. Die Übersetzung ins Deutsche besorgte der Amerika Dienst.

Datenblatt

Die Revolutionen im Nahen Osten und Nordafrika (Middle East and North Africa, MENA) bieten die historische Gelegenheit, die Hoffnungen der Menschen auf lange verwehrte politische Freiheit und wirtschaftliche Chancen zu erfüllen. Eine Modernisierung der Wirtschaft ist der Schlüssel, um ein starkes Fundament für Wohlstand aufzubauen und den Menschen die Früchte des demokratischen Wandels zu bringen. Die Menschen in der Region werden ihren eigenen Weg zu Demokratie und Wohlstand gehen und politische Maßnahmen und Programme ihren Umständen anpassen. Dieser Prozess kann Jahre dauern, wie im Falle des Wandels in Mittel- und Osteuropa. Die Vereinigten Staaten haben von Anfang an und werden weiterhin während des gesamten Prozesses denjenigen ihre Unterstützung für wirtschaftliche Modernisierung und Entwicklung anbieten, die sich für den Übergang zur Demokratie entscheiden.

Die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas sind vielfältige Gesellschaften mit verschiedenen Eigenschaften und Volkswirtschaften. Diese Region mit einer Bevölkerung von mehr als 400 Millionen Menschen umfasst auch Länder, die täglich 18 Millionen Barrel Öl exportieren, aber auch Länder, die von den Ölimporten ihrer Nachbarn abhängig sind. Die Volkswirtschaft Saudi-Arabiens ist mit ihrem Volumen von 440 Milliarden US-Dollar 14-mal so groß wie die jemenitische Wirtschaft. Diese Länder verbindet ihr unerschlossenes Potenzial, dessen Freisetzung den Menschen dort breitere wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen kann.

Die Einnahmen aus Öl und Gas haben einige Länder vermögend gemacht und ihnen ermöglicht, ehrgeizige Infrastrukturprogramme zu finanzieren. Einige der Länder, die kein Öl exportieren, konnten mehr ausländische Direktinvestitionen anziehen und so ihr wirtschaftliches Wachstum beschleunigen. Doch die wirtschaftlichen Reformen in der Region gehen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit voran und die Korruption stellt eine weit verbreitete Herausforderung dar. Trotz großer Vorkommen natürlicher Ressourcen und eines beeindruckenden Potenzials des Humankapitals wuchs die Wirtschaft in der Region nicht so schnell wie die Märkte der Schwellenländer, und es haben auch nicht so viele Menschen davon profitiert.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt und mehr als 4 Millionen Menschen strömen jährlich auf den Arbeitsmarkt. Damit stehen der Nahe Osten und Nordafrika vor einer demographischen Herausforderung. Die Arbeitslosenzahlen sind in der gesamten Region hoch, insbesondere unter den aufbegehrenden jungen Menschen. In Ägypten liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei geschätzten 30 Prozent. Um der wachsenden Nachfrage nach Arbeitsplätzen – eine treibende Kraft der Revolution – gerecht werden zu können, werden deutliche strukturelle Veränderungen und wirtschaftliche Reformen notwendig sein.

Seit Anbeginn des Wandels trafen sich Vertreter der US-Regierung mit den Menschen in der Region, um die massiven Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, besser zu erfassen. So wie sich der Wandel selbst in der Region entwickelt, entwickelt sich auch unsere Unterstützung. Der Präsident hat eine neue ökonomische Vision dargelegt, bei der es darum geht, die Länder zu unterstützen, die sich dem Wandel hin zur Demokratie verpflichtet haben, und eine Reihe von Initiativen angekündigt, die darauf abzielen, wirtschaftliche Chancen auszuweiten.

Diese Initiativen sind so gestaltet, dass sie sowohl kurzfristige wirtschaftliche Stabilitätsanforderungen als auch die langfristigen Anforderungen an eine wirtschaftliche Modernisierung erfüllen. Diese beiden Zielsetzungen schließen sich nicht gegenseitig aus – die Vereinigten Staaten werden jetzt Hilfe bereitstellen, um die Bedürfnisse der zukünftigen Generationen zu decken. Unser Ansatz basiert auf vier zentralen Säulen: Unterstützung für ein besseres Wirtschaftsmanagement, Unterstützung für wirtschaftliche Stabilität, Unterstützung für eine Modernisierung der Wirtschaft und die Entwicklung eines Rahmenwerks für die Integration von Handel und Investitionen.

Unterstützung für ein besseres Wirtschaftsmanagement. Wir werden konkrete Unterstützungsmaßnahmen anbieten, um eine bessere Formulierung und Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik zu fördern. Das werden wir neben unseren Anstrengungen für die Demokratisierung tun. Wir werden uns nicht nur auf die Förderung wirtschaftlicher Grundlagen, sondern auch auf Transparenz und die Korruptionsprävention konzentrieren. Wir werden unsere bilateralen Programme nutzen, um die Vorbereitungen für wirtschaftliche Reformen zu fördern; das umfasst auch die Zusammenarbeit und technische Unterstützung unserer Regierung, Universitäten und Thinktanks mit regionalen Regierungen, die Reformen eingeleitet haben, sowie mit den Menschen vor Ort und mit Nichtregierungsorganisationen. Wir werden die Kenntnisse und das Fachwissen internationaler Finanzinstitutionen mobilisieren, um die gewachsenen Reformen zu unterstützen, die zur Übernahme von mehr Verantwortung führen werden.

Unterstützung für wirtschaftliche Stabilität. In Ägypten und Tunesien hat der Übergang begonnen. Die wirtschaftlichen Aussichten beider Länder waren vor den jüngsten Ereignissen positiv, während sie sich jetzt mit einer Reihe wirtschaftlicher Veränderungen konfrontiert sehen. Die Vorhersagen für das Wirtschaftswachstum wurden nach unten korrigiert und liegen nun bei einem Prozent oder noch niedriger. Die internationalen Reserven sind geschrumpft und die Haushaltsdefizite gewachsen. Die Tourismusbranche, wichtiger Arbeitgeber und Einnahmequelle, ist zum Erliegen gekommen, und ausländische Direktinvestitionen werden dieses Jahr signifikant abnehmen. Ägypten erwartet für die kommenden zwölf Monate ein Haushaltsdefizit von zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts. Tunesien erwartet ein Haushaltsdefizit von 5% des Bruttoinlandsprodukts. Wenn wir die richtigen Maßnahmen umsetzen, um die Stabilisierung zu unterstützen, kann das die langfristigen Aussichten für diese Länder verbessern. Wenn wir nicht handeln, riskieren wir eine wirtschaftliche Unbeständigkeit, die den politischen Wandel unterminieren kann.

Die Vereinigten Staaten haben Initiativen geschaffen, die den Stabilisierungsprozess unterstützen und das Fundament für langfristigen Wohlstand legen sollen. Wir aktivieren die finanzielle Unterstützung internationaler Finanzinstitutionen sowie der Nachbarländer Ägyptens und Tunesiens, um bei der Deckung kurzfristiger finanzieller Erfordernisse zu helfen. Wir begrüßen Ägyptens und Tunesiens Engagement im IWF sehr und sehen dem gemeinsamen Aktionsplan, der von multilateralen Entwicklungsbanken für das Gipfeltreffen der G8 ausgearbeitet wird, erwartungsvoll entgegen.

Wir werden auch auf bilateraler Ebene helfen. In Reaktion auf zahlreiche Anfragen der ägyptischen Regierung und der ägyptischen Bevölkerung werden die Vereinigten Staaten Ägypten durch eine Umschuldungsvereinbarung einen Schuldenerlass von bis zu einer Milliarde US-Dollar einräumen und diese Umschuldung so umsetzen, dass Ägypten diese Mittel in die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung des Unternehmertums investieren kann. Darüber hinaus werden wir Ägypten durch Kredite in Höhe von bis zu einer Milliarde US-Dollar für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten und die Schaffung von Arbeitsplätzen helfen, in die Bevölkerung des Landes zu investieren und wieder Zugang zu den globalen Kapitalmärkten zu erhalten. Wir werden dies durch unsere Gesellschaft für Privatinvestitionen in Übersee (Overseas Private Investment Corporation, OPIC) tun.

Unterstützung für wirtschaftliche Erneuerung. Uns ist bewusst, dass die Modernisierung der Wirtschaftssysteme des Nahen Ostens und Nordafrikas eine stärkere Privatwirtschaft erfordert. Daher verpflichten wir uns, mit unseren internationalen Amtskollegen zusammenzuarbeiten und so eine Neuausrichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zu unterstützen, damit diese wiederum die Länder in der Region unterstützt. Diese Bank spielte bei der Demokratisierung und dem wirtschaftlichen Übergang in Mittel- und Osteuropa eine entscheidende Rolle und kann im Nahen Osten und Nordafrika ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. Die Internationale Finanz-Corporation wird ihre Investitionen erhöhen, um die Privatwirtschaft in den Transformationsländern zu stärken. Wir sind außerdem bestrebt, ägyptisch-amerikanische und tunesisch-amerikanische Unternehmensfonds einzurichten, um Investitionen in die Privatwirtschaft anzuregen, Projekte und Maßnahmen zu fördern, die wettbewerbsfähige Märkte stärken, und öffentlich-private Partnerschaften zu fördern. Wie von US-Außenministerin Clinton in Kairo angekündigt, wird die Gesellschaft für Privatinvestitionen in Übersee finanzielle Unterstützung in Höhe von bis zu zwei Milliarden Dollar für die Privatsektoren im Nahen Osten und Nordafrika zur Verfügung stellen.

Entwicklung eines Rahmenwerks für die Integration von Handel und Investitionen. Abzüglich der Ölexporte exportiert die MENA-Region, die eine Bevölkerung von fast 400 Millionen Menschen hat, ungefähr die gleiche Menge von Waren wie die Schweiz, wo weniger als acht Millionen Menschen leben. Darüber hinaus sind die regionalen Handelsstrukturen wenig integriert, denn die Region bezog nur 13 Prozent ihrer Importe aus anderen Ländern der Region. Im Gegensatz dazu bezogen asiatische Entwicklungsländer mehr als 25 Prozent ihrer Importe von regionalen Partnern. Die Vereinigten Staaten werden eine umfassende Partnerschaftsinitiative für Handel und Investitionen im Nahen Osten und in Nordafrika einführen. In Zusammenarbeit mit der Europäischen Union werden wir schrittweise Initiativen einführen, die eine Ausweitung des Handels innerhalb der Region ermöglichen, auf bestehenden Abkommen aufbauen und eine bessere Integration amerikanischer und europäischer Märkte fördern und die Ländern Türen öffnen, die sich zur Annahme hoher Standards für Reformen und die Liberalisierung des Handels verpflichten, um ein regionales Handelsabkommen auszuarbeiten.

Hintergrund: Die wirtschaftliche Situation in Ägypten und Tunesien

Die ägyptische Wirtschaft ist in den letzten fünfzehn Jahren jährlich um durchschnittlich über fünf Prozent gewachsen. Dieses Wachstum hatte jedoch keine verbesserten Bedingungen für die ägyptische Bevölkerung zur Folge. Ägypten ist ein Land der mittleren bis unteren Einkommensstufe, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt ca. 2800 US-Dollar. Die Inflationsrate liegt deutlich über dem regionalen Durchschnitt und Ägypten ist von chronischen Strukturproblemen geprägt, darunter eine hohe Jugendarbeitslosigkeit (34 %) und Langzeitarbeitslosigkeit bei erstmals Arbeitssuchenden.

Der Übergang stellt Ägypten vor eine Reihe wirtschaftlicher Probleme, die das Land finanziell noch angreifbarer machen. Vor den jüngsten Unruhen wurde ein Anstieg des BIP von 5,5 Prozent vorausgesagt und das Staatsdefizit auf 8,4 Prozent geschätzt. Durch den Einbruch in der Tourismusbranche, die über fünf Prozent des BIP ausmacht und mehr als zehn Prozent der Arbeitskräfte beschäftigt, und durch den Rückgang ausländischer Direktinvestitionen wurden die Wachstumsprognosen auf rund ein Prozent nach unten korrigiert und es wird erwartet, dass das Defizit auf über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukt anwachsen wird. Verringerte Tourismuseinnahmen und ausländische Direktinvestitionen werden sich außerdem nachteilig auf die Beschäftigung auswirken.

Tunesien, das mit einer Pro-Kopf-Basis von 4400 US-Dollar reicher ist als Ägypten, hatte vor der Revolution ebenfalls gute Konjunkturaussichten. Es wird jedoch erwartet, dass die Revolution kurzfristig Druck auf die Wirtschaft ausüben wird. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wird in diesem Jahr gegen null tendieren und die Rücklagen sind seit dem Ausbruch der Unruhen um rund eine Milliarde zurückgegangen. Nach den relativ geringen Staatsdefiziten der vergangenen Jahre wird nun erwartet, dass das tunesische Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwachsen wird (von drei Prozent im Jahr 2010). Wie in Ägypten wirken sich die Tourismuseinnahmen und ausländischen Direktinvestitionen, gekoppelt mit Arbeitnehmerprotesten und erhöhten Sozialausgaben, ungünstig auf die kurzfristigen Konjunkturaussichten aus. Die Stabilisierung dieser Wirtschaften nicht zu unterstützen, könnte die Demokratisierungsbemühungen untergraben.

* Originaltext: Factsheet: Economic Support for the Middle East and North Africa
siehe: http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2011/05/18/factsheet-economic-support-middle-east-and-north-africa

Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten
http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/



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