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"Wir wissen nicht, was wir tun sollen"

Bericht über eine Tagung zum Nahostkonflikt in der Ev. Akademie Arnoldshain

Vom 13. bis 15. April 2007 fand in der Ev. Akademie Arnoldshain (Taunus) eine interessante Tagung statt. Das Thema der Tagung lautete: "Wir wissen nicht, was wir tun sollen (2. Chr. 20, 12) - Verantwortung für den Frieden im Nahen Osten – Lernen von InnovatorInnen". Ulrich Schwemer hat den folgenden Tagungsbericht verfasst.



Am Ende der Tagung standen Emotionen. Nachdem man sich anderthalb Tage lang mit Fra-gen des Nahostkonfliktes beschäftigt hatte, manche Infragestellung der eigenen Position hatte hinnehmen müssen, zugleich aber auch versucht hatte, anderen eine neue Sicht der Situation im Nahen Osten zu vermitteln, reichte ein gelungener Gottesdienst mit sehr klei-nen Nuancen bei Liedern oder Texten, die Verletzlichkeit aufzuzeigen, die je nach persönli-cher Biographie und persönlichen Kontakten in Israel/Palästina beim Hören auf fremde Positionen wahrzunehmen war. Hier wurde deutlich, was die gesamte Tagung lang, wenn auch im Hintergrund , gegenwärtig war: Der Konflikt zwischen Israel und Palästina fordert zu eigener Stellungnahme heraus, führt zu Parteinahme und zu äußerster Wachsamkeit gegenüber anderen Positionen.

In der ev. Akademie Arnoldshain hatten sich von Freitagabend, 13. April bis Sonntagmittag, 15. April bis zu 80 Personen unter dem Tagungsthema: „Wir wissen nicht, was wir tun sollen (2. Chronik 20,12) - Verantwortung für den Frieden im Nahen Osten - Lernen von InnovatorInnen“ versammelt. Zu dieser Tagung hatten neben dem „Dietrich-Bonhoeffer-Verein“ (Vorsitzender Dr. Karl Martin) die „Martin-Niemöller-Stiftung“ (Vorsitzender Prof. D. Martin Stöhr) und der „Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau“ (Vorsitzende Pfarrerin Gabriele Zander) eingeladen.

Neben Referaten sollten im Verlauf der Tagung auch Organisationen zu Wort kommen, die in der einen oder anderen Weise an Friedens- und Konfliktfragen arbeiten. Vor allem waren Gruppen vertreten, die mit eigenen Friedensinitiativen vor Ort tätig sind.

Eröffnet wurde die Tagung mit einem Vortrag von Prof. Dr. Martin Stöhr, Bad Vilbel, von der „Martin-Niemöller-Stiftung“ zum Thema „Frieden statt Sicherheit - Lernen aus der Friedensethik Dietrich Bonhoeffers“. Der Referent zeigte auf, wie sich Bonhoeffers Friedensethik mit seiner Biographie verband. Schon lange vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten war Bonhoeffer auf die Friedensfrage gestoßen. Bonhoeffer sieht sehr früh die Gefahr des aufsteigenden Nationalsozialismus. Er weiß: „Gnade ist nicht billig zu haben, Nachfolge ist teuer.“ Ihn hat sie das Leben gekostet, denn als er keine öffentlichen Möglichkeiten der Einwirkung auf das NS-Regime sah, ging er in den politischen Widerstand. Für ihn galt: Die Kirche hat nicht nur das Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu greifen.

Zugespitzt auf das Tagungsthema fragt der Referent nach dem Verhältnis von Frieden und Sicherheit. Bonhoeffers These lautet: Friede ist das Gegenteil von Sicherheit. Denn das Bedürfnis nach Sicherheit bewirke Misstrauen voreinander. Gründend auf den Überlegungen Bonhoeffers fordert der Referent eine konziliare Begegnung der betroffenen Konfliktparteien, um ihre „tatkräftige Verantwortung, frei von politischen Rücksichtnahmen auf ihre eigenen Nationen und Ökonomien, wahrnehmen zu können.“

Dr. Bruno Schoch, Frankfurt/Main von der „Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktfor-schung“ trug eine „Politische Analyse und Hintergründe des Nahostkonflikts“ vor. Als Ausgangspunkt setzt er den UNO-Beschluss über die Zweistaatlichkeit in Israel/Palästina voraus. Es gilt, sich bewusst zu machen, dass wesentliche Wurzeln des aktuellen Konfliktes Ergebnisse des Kolonialismus seien. Als weitere Elemente benennt der Referent den Einfluss des religiösen Fundamentalismus und die Holocausterfahrung der überlebenden Juden. Insgesamt ist festzuhalten: Der Nahostkonflikt ist nicht der Mutterkonflikt im Nahen Osten. An ihm entscheidet sich aber die Glaubwürdigkeit der westlichen Politik und der UNO.

Auf aktuelle Fragen des Nahostkonfliktes, auf mögliche Perspektiven eines Friedensvertrages ging Dr. Reiner Bernstein, München, „Israelisch-Palästinensische Friedensinitiative“ ein. Sein Thema lautete: „Ein realistischer Weg zum Frieden - die ‚Genfer Initiative’“. In diesem Papier haben Israelis und Palästinenser in einem äußerst schmerzvollen Prozess, der mehrfach vor dem Abbruch stand, im Dezember 2003 einen Entwurf für einen möglichen Friedensvertrag erarbeitet, der alle offenen Fragen anspricht, u.a. ob es sich um Kompensation für Flüchtlinge handelt, den Status Jerusalems oder den Zugang zum Tempel.

Bernstein legte konkrete Handlungsanregungen vor. Es gehe vor allem um Einflussnahme auf die öffentliche Meinung und die Politik und um die kleinen Schritte, die die politischen Parteien dazu bringen, im Blick auf den Nahostkonflikt eindeutige Positionen zu beziehen. Er regt für den Nahen Osten eine Versöhnungskonferenz nach südafrikanischem Vorbild vor.

In die Richtung der „kleinen Schritte“ könnten die vielfältigen Organisationen weisen, die am Nachmittag über ihre Initiativen berichteten: unter ihnen fanden sich „Europäische Juden für einen gerechten Frieden (EJJP)“, die „Jüdisch-palästinensische Dialoggruppe München“, eine neu gegründete „Deutsche Initiative für den Nahen Osten (DINO)“, eine Vertreterin des „Netzwerkes Ökumenisches Begleitprogramm“ des ÖRK in Genf, die Friedenssiedlung in Israel „Newe Schalom/Wahat al Salam“, die Nahostkommission von „Pax Christi“, die „Sarah-Hagar-Initiative“ und das „Bendorfer Forum für Ökumenische Begegnung und interreligiösen Dialog e.V.“ sowie die Organisation „PeaceWomen across the Globe“

Eindrücklich war die Bandbreite und das enorme freiwillige Engagement, das alle Initiativen auszeichnet, wobei der Hintergrund recht unterschiedlich ist, ob z.B. das „Ökumenische Be-gleitprogramm“, das in den besetzten Gebieten an Brennpunkten durch Anwesenheit seiner Mitglieder auf das Handeln der Konfliktparteien einwirken will, durch den ÖRK in Genf abgesichert wird oder eine Siedlung wie „Newe Schalom/Wahat al Salam“, hervorgegangen aus einer geistlichen Idee eines Dominikanerpaters, nun mit der Friedensschule und aktivem gemeinsamem Leben von Juden und muslimischen wie christlichen Arabern vor allem sich selbst trägt oder durch Freundeskreise unterstützt wird. Leider nicht vertreten war die auch eingeladene „Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste“, die noch einmal eine ganz andere Variante des Friedensdienstes hätte einbringen können.

Den insgesamt sehr positiven Eindruck der Tagung verstärkten ein ergreifendes Friedenskonzert mit der Jüdin Irith Gabriely (Saxophon und Klarinette), dem Moslem Riad Kheder (Trommeln und Uth) und dem Christen Hans-Joachim Dumeier am Flügel und der schon erwähnte Gottesdienst am Sonntagmorgen, der die Thematik der Tagung noch einmal aufnahm und sich so auch auf das schwierige Gebiet der Ausgewogenheit begab. Dieser Gottesdienst war ein wichtiger Teil dieser Tagung, die so viele Ausweglosigkeiten aufgezeigt hatte. Im Loben Gottes und im Gebet konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Gefühle, ihre Hoffnungen und Ängste ausdrücken.

Ulrich Schwemer, Heppenheim


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