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Zwischen Rumpeldiplomatie und Außenwirtschaftspolitik

Westerwelle besuchte an Pfingsten vier Staaten des Nahen Ostens - Kanzlerin Merkel bereitet Geschäfte mit den wohlhabenden Golfstaaten vor

Zuerst besuchte der deutsche Außenminister vier Nachbarstaaten Israels (Jordanien, Libanon, Syrien, Ägypten), dann flog Bundeskanzlerin Merkel mit einem Wirtschaftstross ebenfalls in den Nahen Osten. Ihre Ziele: die wirtschaftlich interessanten nGolfstaaten Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien, Katar und Bahrain.
Außenpolitik im ersten Fall als Rumpeldiplomatie, im zweiten Fall als Außenwirtschaftspolitik. Lesen Sie hierzu die folgenden Artikel.



Werben um Damaskus

Westerwelle in Nahost: "Vertrauen zur arabischen Region aufbauen"

Von Karin Leukefeld *


Mit politischen Gesprächen in Syrien hat Außenminister Guido Westerwelle seine Pfingsttour durch vier Staaten des Nahen Ostens abgeschlossen. Nach den Stationen Libanon, Ägypten und Jordanien traf er am Pfingstsonntag in Damaskus mit Präsident Baschar Al-Assad und Außenminister Walid Al-Mou'allem zusammen. Offizielles Ziel seiner Reise sei gewesen, »Vertrauen zwischen Deutschland und der arabischen Region« aufzubauen und für die von den USA vermittelten indirekten Gespräche zwischen der Palästinenserbehörde und Israel zu werben, hieß es. Syrien sei ein wichtiger Faktor für die regionale Stabilität im Nahen Osten, das mache das Land zu einem unerläßlichen Gesprächspartner.

Insbesondere das »Nahostquartett«, das von den USA, Europa, Rußland und der UNO gestellt wird, drängt darauf, daß aus den indirekten israelisch-palästinensischen Gesprächen eine neue Runde von direkten »Friedensverhandlungen« wird. Alle bisherigen Versuche, sie wieder in Gang zu bringen, waren in den vergangenen Monaten an der Haltung Israels gescheitert, das darauf bestand, seine Siedlungsbauvorhaben in Ostjerusalem und im Westjordanland fortzusetzen. Ohne Veränderung dieser Position dürfte es auch schwierig bleiben, die palästinensische Seite einzubinden.

Ähnliches gilt für Versuche, Sy­rien dazu zu bringen, wieder mit Israel zu verhandeln. Die Gespräche zwischen Tel Aviv und Damaskus waren im Dezember 2008 mit Beginn des Gazakrieges abgebrochen worden. Syrien aber blieb bisher skeptisch, zumal Israel keine Kompromißbereitschaft zeigt. Es ist weder bereit, die 1967 besetzten Golanhöhen an Damaskus noch die Scheeba-Höfe an den Libanon zurückzugeben. Außerdem baut es weiter Siedlungen auf besetztem palästinensischen Land und verstößt damit gegen internationales Recht.

Westerwelle sagte, Deutschland unterstütze die Wirtschaftsreformen in Syrien und wolle einen »ehrlichen politischen Dialog« fortsetzen. Die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens mit Syrien werde von Deutschland unterstützt. Ohne Namen zu nennen, forderte er von seinen Gastgebern, »sich von radikalen Kräften zu distanzieren«. Allerdings dürfte klar sein, daß Westerwelle die islamischen Organisationen Hisbollah im Libanon und die Hamas im Gazastreifen meinte.

Von Israel verbreitete Meldungen, Syrien habe Scud-Raketen an die Hisbollah geliefert, hatten vor einigen Wochen für Unruhe gesorgt, wurden allerdings von der UNO-Mission im Südlibanon, UNIFIL, als nicht zutreffend bezeichnet. Außenminister Walid Al-Mou'allem sagte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Westerwelle, Syrien habe keine Scud-Raketen an die Hisbollah geliefert, während Israel nicht aufgehört habe, sich weiter zu bewaffnen. Syrien werde nicht »die Polizei für Israel spielen«. Mou'allem kritisierte auch das aktuelle Großmanöver Israels und sagte, Israel schlage die Kriegstrommel.

Präsident Assad betonte, Syrien sei ernsthaft um einen gerechten, allumfassenden Nahostfrieden im Rahmen der UN-Resolutionen bemüht und unterstrich die Bedeutung der nationalen palästinensischen Versöhnung. Für neue Gespräche mit Syrien verlasse man sich auf eine türkische Vermittlung. Zuvor hatte Assad die westliche Haltung gegenüber Israel kritisiert. Es dürfe nicht zugelassen werden, daß Israel sich nicht an internationale Abkommen halte und der Region mit neuem Krieg drohe.

Der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, Wolfgang Gehrke forderte derweil von Westerwelle und der Bundesregierung, Israel zu drängen, »besetztes Gebiet zurückzugeben - den Golan an ­Syrien und die Scheeba-Farmen an den Libanon«. Eine »aktive Vermittlerrolle« schließe »einseitige Parteinahme aus«.

* Aus: junge Welt, 25. Mai 2010


Westerwelle ermahnt Damaskus zum Dialog

Gespräche in Jordanien, Libanon, Syrien, Ägypten **

Bundesaußenminister Westerwelle hat Israel und die Palästinenser zu direkten Friedensverhandlungen aufgerufen. An der Politik Syriens äußerte er Kritik.

Auf seiner bislang längsten Nahostreise hat Außenminister Guido Westerwelle in der arabischen Welt um Unterstützung für den Friedensprozess geworben. Der FDP-Vorsitzende kam am Sonntag auch mit Syriens Präsident Baschar al-Assad zusammen. Er appellierte an Syrien, den Einstieg in Friedensverhandlungen nicht zu blockieren. Westerwelle sagte nach dem Treffen mit Assad in Damaskus: »Wir ermutigen Syrien, sich konstruktiv in diesen Prozess einzubringen.« Dafür sei der Verzicht auf Gewalt eine »fundamentale Frage«. Syrien wird von westlichen Ländern vorgeworfen, die Hisbollah-Miliz in Libanon mit sogenannten Scud-Raketen zu versorgen. Der syrische Außenminister Walid al-Muallim wies solche Vorwürfe erneut zurück.

Syrien sei für eine »konstruktive Lösung« in der Konfliktregion unerlässlich, sagte Westerwelle: »Wer den Friedensprozess im Nahen Osten unterstützen will, der muss auch das Gespräch mit Syrien suchen.« Im Gegenzug erwarte Deutschland von Syrien aber auch, »dass es bereit ist, die moderaten Kräfte zu unterstützen«.

Zuvor war Westerwelle mit Ägyptens Präsident Husni Mubarak und dem jordanischen König Abdullah II. zusammengekommen. Ziel der Bundesregierung sei es, so Westerwelle, »diejenigen zu unterstützen, die auf Ausgleich setzen«. Man wolle eine Zwei-Staaten-Lösung - mit Israel und einem eigenen Palästinenserstaat. Westerwelle hatte in Libanon angedeutet, dass Berlin zu einer Verlängerung des deutschen Marineeinsatzes gegen »islamische Waffenschmuggler« bereit sei. Bei einem Besuch des Bundeswehrkontingents vor der libanesischen Küste lobte der FDP-Chef die Arbeit der annähernd 240 Soldaten.

** Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2010


Zweifelhafter Auftritt

Von Roland Etzel ***

Der deutsche Außenminister besuchte am Wochenende die vier Nachbarstaaten Israels, und manche seiner Äußerungen, die er in Beirut und Damaskus tat, wird - die Gastfreundschaft ist im Orient ein hohes Gut - freundliche Verwunderung ausgelöst haben. Westerwelle schaffte es, Syrien in Libanon zum Verzicht auf Gewalt zu ermahnen, ohne auch nur zu erwähnen, dass die letzte massive Gewaltanwendung in Libanon maßgeblich von Israel ausging. Auch bei seiner Sorge, der Einstieg in neue Friedensverhandlungen könne blockiert werden, sah er die Quertreiber in Damaskus.

Dass Westerwelle ausschließlich Hamas, Hisbollah, Iran und Syrien erwähnte, wenn er von Störfaktoren in Nahost sprach, wird ihm beim nächsten Besuch in Israel hohes Lob eintragen. In diesem Fall ist das kein Grund zur Genugtuung. Trotz unzweifelhafter Präferenzen für die Position der dortigen Regierungen haben sich seine Vorgänger Fischer und Steinmeier nie zu derartiger politischer Schlagseite hinreißen lassen. Die arabischen Gastgeber konnte Westerwelles nahöstliche Irrlichterei nicht mehr überraschen, hatte er sie doch bereits von Berlin aus angekündigt. Aber man beobachtet den Sturzflug der Reputation des deutschen Außenministers genauer, als diesem lieb sein mag. Entsprechend wird der Stellenwert seiner Meinung eingeordnet. Und so hat auch ein zweifelhafter politischer Auftritt noch das Zeug zu einer guten Nachricht.

*** Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2010 (Kommentar)


Kanzlerjet düst in die Golfstaaten

Angela Merkel mit Wirtschaftsgefolge auf der Suche nach lukrativen Investitionsgelegenheiten

Von Karin Leukefeld ****


Mit einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation ist Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in die Golfstaaten aufgebrochen. Vier Tage lang wird die deutsche Handelskarawane die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien, Katar und Bahrain besuchen und über neue Geschäfte, Energielieferungen und Iran sprechen, hieß es in Berlin.

»Die Golfstaaten haben ein Interesse an einem starken Europa«, sagte Ministerialdirektor Christoph Heusgen der Deutschen Welle. Gerade in der Wirtschaftskrise hätten sich deren Investitionen als »besonders hilfreich« erwiesen. Mit von der Partie im Kanzlerjet sind Spitzenmanager von Siemens, Deutsche Bahn, Linde und Eon-Ruhrgas, die auf Milliardengeschäfte spekulieren. Bis 2020 sollen die Golfstaaten einen Außenhandelsüberschuss von sechs Milliarden Dollar erwirtschaften. Der deutsche Export in die Region hatte sich bis 2008 verdreifacht, schrumpfte im Krisenjahr 2009 aber wieder zusammen.

Die Golfstaaten gehören zu den finanzstärksten Ländern weltweit, in Katar wird ein Wirtschaftswachstum von 18 Prozent für 2010 erwartet. Projekte im Wert von 2,8 Milliarden USDollar seien ausgeschrieben, hieß es beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Dabei gehe es um Wohnungsbau, Strom- und Wasserversorgung, aber auch um Recycling, Müllentsorgung und Kläranlagen. Offen ist auch noch ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Staaten des Golfkooperationsrates (Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate), das aber vermutlich wegen dem durch die Wirtschaftskrise geschwächten Euro noch einige Zeit auf sich warten lassen wird. Saudi Arabien als Mitglied der G 20 Runde dürfte für Kanzlerin Merkel ein wichtiger Ansprechpartner in Sachen Finanztransaktionssteuer sein, ein Thema, das auf dem nächsten G 20 Treffen weit oben auf der Tagesordnung steht. Saudi-Arabien ist für eine solche Abgabe.

Zwar stehen wirtschaftliche Abkommen und Verkäufe eindeutig an erster Stelle des Besuchsprogramms, es solle aber auch politisch diskutiert werden, so die Kanzlerin. Ganz vorne stehen dabei Iran und sein Atomprogramm, welches Israel mit allen Mitteln verhindern will.

Der Nahe Osten bleibt ein Pulverfass. Die USA haben große Mengen Waffen vor allem an Saudi- Arabien geliefert. Frankreich verkauft munter seine Atomtechnologie in den Golfstaaten und auch Deutschland ist im Sicherheitsbereich in der Polizei- und Soldatenausbildung präsent. Katar und die Emirate (UAE) treten allerdings für einen Dialog mit Iran ein, die Golfstaaten bis auf Saudi-Arabien verfügen über enge wirtschaftliche Beziehungen mit dem Nachbarstaat.

Zum offiziellen Programm der Kanzlerinnenreise gehört neben Vorträgen in der König Abdullah Universität für Wissenschaft und Technik (KAUST) und dem Islamischen Museum (Doha, Katar) auch ein Besuch in Masdar (VAE), der ersten CO2-freien Stadt der Welt. Hier ist auch der Sitz von IRENA, der internationalen UN-0rganisation für Erneuerbare Energien. In Saudi-Arabien wird Frau Merkel sich für die Befreiung von zwei deutschen Geiselkindern im Jemen bedanken. Über den Verbleib der Eltern, den jüngsten Sohn und einem befreundeten britischen Ingenieur ist nichts bekannt.

**** Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2010


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