"Es ist ein Konflikt, der wie kaum ein anderer seit seiner Entstehung eine internationale Dimension hat"
Thesen zur Zuspitzung des Nahost-Konfliktes durch den Libanon-Krieg
Von Norman Paech *
1. Der Waffenstillstand zwischen Hisbollah und Israel hat zwar die Kriegshandlungen
gestoppt, bietet aber noch keine Garantie für ein Ende der Gewalt an der israelischlibanesischen
und den palästinensischen Grenzen. Die drei gefangenen israelischen Soldaten
sind immer noch nicht entlassen, die israelische Armee hat sich erst teilweise aus dem
Südlibanon zurückgezogen und interveniert fast täglich im Gaza-Streifen mit tödlichen
Folgen. Nicht nur die zeitliche Nähe der Überfälle und Gefangennahme der israelischen
Soldaten und die gleichartige unverhältnismäßige militärische Reaktion der israelischen
Armee sprechen für den politischen Zusammenhang beider Ereignisse. Auch die bekannte
politische Unterstützung der Hisbollah für die palästinensischen Forderungen und die Hamas
legt den Schluss nahe, dass der Überfall der Hisbollah eine Reaktion auf das israelische
Vorgehen im Gaza-Streifen ist. Die in Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats beschlossenen
UN-Truppen sollen allerdings nur die libanesisch-israelische Grenze befrieden – zu einer
Lösung der Ursachen für die immer wieder aufbrechende Gewalt tragen sie nicht bei.
2. Israel beruft sich für seine Kriegsmaßnahmen auf sein Recht auf Selbstverteidigung gem.
Art. 51 UN-Charta. Zwei Umstände sprechen allerdings eher gegen als für diese Ansicht: Die
Tötung und Gefangennahme israelischer Soldaten sind zwar eindeutig völkerrechtswidrig,
gehören aber zu den seit Jahren bekannten Grenzzwischenfällen, wie sie von beiden Seiten
immer wieder verübt werden. So weist z.B. der offizielle Bericht des UN-Generalsekretärs
über die Tätigkeit von UNIFIL auf „permanente provokative Grenzverletzungen“ der
israelischen Luftwaffe im ersten Halbjahr 2006 hin. Derartige Zwischenfälle – allerdings
kaum in einer Häufung wie zwischen dem Libanon und Israel - sind typisch für gefährdete
Grenzen wie z.B. zwischen Nord- und Südkorea oder Indien und Pakistan. Sie stellen im
Allgemeinen keine Angriffshandlung dar, wie sie in der Aggressionsdefinition der UNO
(Resolution 3314 (XXIX) v. 14. Dez. 1974) als Voraussetzung für ein militärisches
Verteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta definiert ist. Die angemessene Form der
Regulierung derartiger Zwischenfälle sind Verhandlungen, Austausch von Gefangenen und
Kompensationsleistungen. Zum zweiten hat der US-amerikanische Journalist Seymour Hersh
auf der Basis umfangreicher Kontakte zur US-Administration und CIA aufgedeckt, dass der
Krieg gegen den Libanon mit Zustimmung der US-Administration bereits lange geplant und
vorbereitet worden ist. Die verbreitete Annahme, dass es sich um einen Angriffskrieg gegen
den Libanon gehandelt habe, erhält immer größere Plausibilität. Zumindest kann dieser Krieg
nicht allein dem vorgegebenen Ziel gedient haben, die beiden gefangenen israelischen
Soldaten zu befreien.
3. Unabhängig davon, ob man den Krieg als Verteidigung oder Angriff ansieht, in beiden
Fällen muss das humanitäre Völkerrecht der Genfer Konventionen von 1949 und der
Zusatzprotokolle von 1977 eingehalten werden. Oberster Grundsatz ist die Schonung von
Zivilisten und zivilen Einrichtungen. Dagegen hat Hisbollah mit ihrem wahllosen
Raketenbeschuss von Wohngebieten in Israel verstoßen, selbst wenn es zunächst nur die
Antwort auf die israelischen Angriffe war. Auch die israelische Armee hat mit ihrer
systematischen und gezielten Zerstörung von Wohngebieten, Infrastruktur- und
Versorgungseinrichtungen gegen das absolute Verbot verstoßen. Kaum eines der
angegriffenen und zerstörten Gebäude und Einrichtungen im Libanon, ob Wasserwerke,
Brücken oder Landstraßen, konnte als „feindliches Ziel“ definiert werden, welches
angegriffen werden durfte. Der Begriff Kollateralschaden ist auf alle diese Zerstörungen
deshalb nicht anwendbar. Wie die israelische Zeitung Haaretz am 14. September berichtete,
bekam die Armee noch in den letzten Tagen des Krieges den Befehl, den Südlibanon durch
Raketen und Artillerie mit Streubomben ziellos zu „überfluten“. Haaretz und amnesty
international gehen davon aus, dass über eine Million Bomblets über dem Südlibanon
niedergegangen sind, die seitdem immer wieder Opfer unter der Zivilbevölkerung
hervorrufen. Diese Art der Kriegführung ist völkerrechtlich verboten. Auch die Zerstörung
des Wasserwerkes und der Angriff auf Universität und öffentliche Einrichtungen im Gaza-
Streifen sind völkerrechtswidrig, wie auch immer man den staatsrechtlichen Status dieses
Gebietes nach dem Abzug der israelischen Siedler definiert. Noch heute werden fast täglich
gezielte Tötungen und Zerstörungen von Wohngebäuden berichtet.
4. Die Mitglieder des UNO-Sicherheitsrat haben sich nicht in ihrer gemeinsamen Resolution
1701 auf die einhellige Verurteilung dieser schweren und offenkundigen Verletzungen des
humanitären Völkerrechts verständigen können. Um einen gemeinsamen Aufruf zum
Waffenstillstand und die Entsendung von UNO-Truppen überhaupt zu erreichen, haben sie
auf die Verurteilung der massiven Verbrechen verzichtet. Dies ist nicht die einzige Schwäche
der Resolution. Ihr Verdienst, dass sie den Waffenstillstand besiegelt, wird dadurch getrübt,
dass sie darauf verzichtet, die Stationierung von Truppen südlich der Grenze auf israelischem
Gebiet zu fordern, um eine wirklich neutrale Pufferzone zwischen Libanon und Israel zu
errichten. Die jetzige Stationierung ist einseitig gegen die Souveränität des Libanon und die
Hisbollah gerichtet, selbst wenn Ministerpräsident Siniora und Hisbollah der Resolution
zugestimmt haben. Die Seeblockade und –kontrolle von Waffenlieferungen allein in den
Libanon unterstreichen diese Einseitigkeit. Dies entspricht den Forderungen der israelischen
Regierung, deren Armee jedoch weiterhin unbegrenzt und unkontrolliert mit Waffen jeder Art
von den Staaten im UNO-Sicherheitsrat aber auch der NATO beliefert wird. Der notwendige
und begrüßenswerte Stopp von Waffenlieferungen in diese hochexplosive Region ist daher
einseitig und fordert geradezu zu seiner Durchbrechung heraus. Insbes. die deutsche
Bundesregierung verstärkt mit der Marinemission und der gleichzeitigen Lieferung von UBooten
und dem Angebot von „Dingo“-Panzerwagen den Eindruck der Einseitigkeit und
mangelnden Neutralität der UNO-Mission. Sie trägt mit ihrem Einsatz überhaupt nicht zur
Lösung des Problems bei, sondern macht sich selbst zum Teil des Problems. Der Einsatz wird
viel Geld kosten aber kaum die Waffenlieferungen verhindern können, da diese künftig den
unkontrollierten Landweg wählen werden – und sie wird die mögliche Mittlerrolle
Deutschlands schwächen.
5. Die Bundesregierung begründet ihren umstrittenen militärischen Beitrag vornehmlich mit
der Existenzsicherung Israels, die in der Resolution 1701 nicht einmal erwähnt wird. Diese
Zielsetzung steht allerdings als Verantwortung aus der deutschen Geschichte für alle
deutschen Parteien außer Frage. Zweifelhaft ist jedoch, ob die Beteiligung an der
Marinemission der richtige Beitrag ist. Die Grenzzwischenfälle bedrohen in keinem Fall die
Existenz Israels. Es ist die bei weitem stärkste Militärmacht in der Region und besitzt als
einzige Atomwaffen. Es steht unter dem besonderen und immer wieder versicherten Schutz
der USA, der europäischen Staaten aber auch Russlands. Sodann folgt aus der deutschen
Geschichte und der Gründung des Staates Israel auch eine Verantwortung für die Existenz der
Palästinenser, u.zw. in der gleichen Form eines lebensfähigen souveränen Staates. Von dieser
Verantwortung ist außer finanziellen Leistungen und Wiederaufbauhilfen für zerstörte
Infrastruktur bisher wenig zu merken gewesen. Die einseitige Betonung der Verantwortung
für Israel hat den Friedensprozess und die Bildung eines lebensfähigen palästinensischen
Staates in keiner Weise gefördert. Sie verkennt vollkommen, dass für die Existenz und
Sicherheit Israels die Existenz eines lebensfähigen palästinensischen Staates wichtiger und
entscheidender ist, als die immer wieder gezeigte einverständliche Nachsicht gegenüber der
Verfestigung der Besatzung durch ungebremsten Siedlungsbau und die Ansiedlung neuer
Bewohner, die Annexion Jerusalems und der Golan-Höhen, sowie die Errichtung einer neuen
Grenze durch Mauer und Zaun auf palästinensischem Gebiet mit all ihren verheerenden
Folgen für die im Raum der Barriere lebenden Palästinenser.
6. Was für Israel gilt, muss auch für die einen palästinensischen Staat gelten: eindeutig
definierte, sichere Grenzen, frei von Übergriffen mit Terror und Gewalt, Anerkennung des
politischen Systems und seiner Repräsentanten. Es gibt keine Alternative zu der Zwei-
Staaten-Lösung, d.h. der Errichtung eines souveränen palästinensischen Staates als
gleichberechtigter Nachbar Israels. Denn die frühe Vision eines säkularen demokratischen
Staates Palästina, in dem alle Völker und Religionen friedlich miteinander leben können, ist
durch die zahlreichen Kriege und dauernde Gewalt gründlich zerstört worden. Dies ist
mittlerweile von den meisten Parteien und politischen Bewegungen in Israel und Palästina
anerkannt. Der Weg zu einem palästinensischen Staat kann nur mittels Verhandlungen
beschritten werden. Dazu ist die Anerkennung Israels durch Hamas genauso notwendig, wie
die Anerkennung der gewählten Vertreter und Verhandlungspartner auf der palästinensischen
Seite, sei es die PLO oder die neu gewählte Regierung, durch die israelische Regierung. Die
vielzitierte Charta der Hamas, die in drastischen Worten die Zerstörung Israels propagiert, ist
insoweit vollkommen inakzeptabel und muss ebenso revidiert werden wie es seinerzeit mit
der Charta der PLO geschehen ist. Basis der Verhandlungen muss das für alle Parteien gleiche
Völkerrecht und die bindenden Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats sein: insbes. die Res.
242 von 1967, die den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten fordert, und die Res. 338
von 1973, die das Rückkehrrecht der Palästinenser nach Israel anerkennt. In Resolution 273
vom 11. Mai 1949 wurde Israel explizit zur Anerkennung der UNO-Charta verpflichtet und
aufgefordert, alle Resolutionen der UNO in Bezug in Bezug auf Palästina zu respektieren –
eine Verpflichtung, die Israel leider in der Folgezeit nicht einlöste. Die Forderungen nach
Vorleistungen der Palästinenser ohne konkrete Gegenangebote wie Anerkennung der
gewählten Regierung, Stopp des Boykotts und des Siedlungsbaus, müssen seitens der
Palästinenser als einseitige Verzichtserklärungen verstanden werden. Schlimmer: Die
gleichzeitige Ansiedlung von über 14.000 Menschen auf der Westbank als 8.000 Siedler aus
dem Gaza-Streifen abgezogen wurden, hat die Hoffnung auf eine endgültige Öffnung des
Weges zu einem eigenen Staat wieder verschüttet.
7. Sichere Grenzen sind für beide Staaten konstitutive Voraussetzung ihrer Existenz. Das
verlangt nicht nur den Stopp aller gewaltsamen Übergriffe auf das andere Territorium. Es
fordert vor allem den Abriss oder Rückbau der Mauer- und Zaunanlage auf israelisches
Gebiet. Der Verlauf der Grenzanlage ist vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag für
völkerrechtswidrig erklärt worden. Eine Regelung der bestehenden und gleichermaßen
völkerrechtswidrigen Siedlungen ist ebenfalls eine zentrale Voraussetzung für die Zwei-
Staaten-Lösung. Diese ist in verschiedener Weise denkbar, sei es in Form des vollständigen
Rückzugs wie aus dem Gaza-Streifen, des teilweisen Rückzugs und kompensatorischer
Gebietsabtretungen oder des vollständigen Verbleibs unter palästinensischer Souveränität, wie
er bereits vor Jahren von der PLO und dann auch von der Genfer Initiative vorgeschlagen
wurde.
8. Das Scheitern aller bisherigen Verhandlungsversuche von Madrid über Oslo, Camp David
bis Taba beruht in den Augen der Palästinenser auf der letztlich unzureichenden
Berücksichtigung ihres Grundinteresses an einem eigenen unabhängigen Staat mit einem
zusammenhängenden lebensfähigen Territorium. Der inzwischen wieder zurückgezogene sog.
Konvergenz-Plan von Ministerpräsident Olmert dokumentiert die israelische Vorstellung von
einer neuen Grenzziehung, die wohl kaum mit den palästinensischen Interessen in Einklang
gebracht werden kann. Sie beansprucht die drei großen Siedlungsblöcke Ariel, Ma’ale
Adumim und Gush Etzion sowie das Westufer des Jordan und verlangt damit einen weiteren
erheblichen territorialen Verzicht von den Palästinensern. Übrig bleibt neben dem
abgetrennten Gazastreifen ein zerklüftetes Restterritorium, welches nicht lebensfähig ist. Gibt
es aber keine materielle Sicherheit für die Palästinenser, so gibt es auch keine für Israel. Die
zusätzlichen Gebietsansprüche Israels können auch nicht mit militärischen Sicherheitsgründen
gerechtfertigt werden, da keine Grenze im Nahen Osten militärisch wirksam zu sichern ist.
9. Die berechtigte Forderung nach Verzicht auf jegliche Gewalt und Terror hat zu
berücksichtigen, dass individuelle, d.h. nichtstaatliche Akte der Gewalt und des Widerstandes
solange kaum verhindert werden können, wie die rechtswidrige Besatzung des
Westjordanlandes und der Golan-Höhen fortdauert. Besatzung und Widerstand sind insofern
zwei Seiten derselben Medaille. Eine vollständige Kontrolle einzelner Akte ist unmöglich.
Selbst der israelische Staat hat das Attentat auf Ministerpräsident Rabin und den Anschlag auf
die Moschee in Hebron, bei dem 1994 29 Palästinenser von einem Siedler erschossen wurden,
nicht verhindern können. Nur wenn sich die Perspektive für eine gerechte Lösung der Siedler-
und Territorialfrage klärt, werden auch die Chancen steigen, dass Gewalt und Terror
verschwinden. Palästinenser weisen nicht zu Unrecht darauf hin, dass der Anteil ihrer zivilen
Opfer von israelischen gezielten Tötungen und Entführungen zehnmal so hoch ist, wie der der
israelischen Opfer von palästinensischen Raketenangriffen und Selbstmordattentaten.
10. Das Flüchtlingsproblem ist Gegenstand mehrerer UNO-Resolutionen gewesen, die ein
Rückkehrrecht der Palästinenser in ihre Heimat anerkennen. Bereits am 11. Mai 1949 hat
Israel bei seiner Aufnahme in die UNO der Resolution 194 der Generalversammlung vom 11.
Dezember 1948 zugestimmt, die das Rückkehrrecht der geflohenen oder vertriebenen
Palästinenser bestätigte. Dies war Bedingung für die Aufnahme Israels in die UNO. Das
Rückkehrrecht ist das individuelle Recht eines jeden Flüchtlings und Vertriebenen, auf dem
die Palästinenser bestehen und ohne dessen Anerkennung es keine Lösung geben wird. Hier
besteht großer Verhandlungsbedarf über eine „gerechte Regelung“, wie es in Res. 242 des
UNO-Sicherheitsrats heißt. Denn es gehört offensichtlich zu einer von den europäischen
Staaten und den USA geteilten Grundbedingungen der israelischen Politik, die jüdische
Mehrheit in Israel nicht durch eine massenhafte Rückkehr der Palästinenser zu gefährden.
Besonders in dieser Frage sind die Staaten der EU, und Deutschland vor allem, gefordert,
durch Kompensations- und Hilfsangebote die konkreten Fragen einer Rückkehr bzw. ihrer
Alternativen zu lösen.
11. Der politische Weg zu zwei Staaten kann nur gemeinsam beschritten werden. Das setzt
voraus, dass sich die frei gewählten Repräsentanten jeder Seite zum Zweck der Verhandlung
wechselseitig anerkennen. Es ist zudem ein Grundprinzip des Völkerrechts, dass jedes Volk
selbstbestimmt über sein politisches und wirtschaftliches System entscheiden kann. Die
Anerkennung dieses Selbstbestimmungsrechts bedeutet, dass auf Mittel des Boykotts, der
Blockade und Intervention zur Änderung des Systems verzichtet wird.
12. Die von Israel und der EU genannten Vorbedingungen für einen Dialog: Anerkennung des
Existenzrechts Israels, Einstellung aller Gewalt und Anerkennung der vertraglich bisher
getroffenen Übereinkommen, sind von Präsident Abbas und der PLO – den legitimierten
Verhandlungspartnerin der Israelis – bereits erfüllt worden. Es wird jetzt Sache der
palästinensischen Seite sein, auch die Hamas zu diesem Schritt zu bewegen. Eine
Verweigerung von Verhandlungen unter Berufung auf die noch nicht von Hamas
ausgesprochene Anerkennung erweckt eher den Eindruck des Vorwands, um mangelnde
Verhandlungsbereitschaft zu verdecken. Sie erinnert stark an die schließlich unter dem Druck
der internationalen Öffentlichkeit aufgegebene Weigerung, mit der PLO zu verhandeln. Dem
verbreiteten Vorwurf, dass es sich bei Hamas um eine Terrororganisation handele, wird von
palästinensischer Seite mit dem Vorwurf des Staatsterrorismus seitens der israelischen
Regierung begegnet. Beide Vorwürfe verweisen zwar auf die reale Situation der
gegenseitigen Gewalt, erschweren aber die Versuche zur Deeskalation und stehen einer
konstruktiven Bereitschaft zu einer politischen Lösung im Wege.
13. Der Konflikt ist nie auf Araber und Juden im ehemaligen Mandatsgebiet Palästina
beschränkt gewesen. Es handelt sich auch nicht lediglich um einen arabisch-israelischen
Konflikt. Es ist ein Konflikt, der wie kaum ein anderer seit seiner Entstehung eine
internationale Dimension hat. Denn hinter der jüdischen Siedlung und dem israelischen Staat
standen immer die europäischen Staaten und die USA, während das palästinensische Volk
seine Unterstützung aus den arabischen Staaten und von der damaligen Sowjetunion bezog.
Deshalb sollte, trotz aller Fehlschläge in der Vergangenheit, ein erneuter Versuch zu einer
internationalen Konferenz nach dem Vorbild der KSZE unter Einschluss aller relevanten
politischen Kräfte gestartet werden. Die Teilnahme der palästinensischen Seite würde
gleichzeitig eine implizite Anerkennung Israels bedeuten. Dieser Vorschlag ist zwar immer
wieder gemacht worden, niemand hat jedoch bisher ernsthafte Schritte unternommen. Er
würde wie die 1973 in Helsinki begonnene Konferenz einen langen Verhandlungsprozess
eröffnen, der von den in der 1975 verabschiedeten KSZE-Schlussakte festgehaltenen
Prinzipien geleitet werden müsste:
-
Souveräne Gleichheit, Achtung der Souveränität innewohnenden Rechte
- Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt
- Unverletzlichkeit der Grenzen
- Territoriale Integrität der Staaten
- Friedliche Regelung von Streitfällen
- Nichteinmischung in innere Angelegenheiten
- Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-,
Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit
- Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker
- Zusammenarbeit zwischen den Staaten
- Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben.
Der Vorschlag der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, eine solche Konferenz unter
Schirmherrschaft der UNO nach Berlin einzuberufen, trägt der deutschen Verantwortung in
diesem Konflikt bei weitem mehr Rechnung, als die gegenwärtige Konzentration aller
politischen und finanziellen Mittel auf einen Einsatz der Marine vor der Küste des Libanon.
Berlin, 21. 9. 2006
* Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg, Emeritierter Hochschullehrer für Völkerrecht; MdB Fraktion DIE LINKE
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