Am Verhandlungstisch ist meist Endstation
Washington hat weder eine Vision noch ein Konzept, um den Frieden im Nahen Osten zu befördern
Von Oliver Eberhardt *
Der US-amerikanische Außenminister
John Kerry wird am Montag
erneut im Nahen Osten erwartet.
Dort soll er nach Präsident Barack
Obamas Jerusalemer Rede
den Friedensprozess wieder in
Gang bringen – eine schwierige
Aufgabe. Die Hürden sind dieselben
wie immer. Nach Jahren des
Stillstands mangelt es zudem an
Visionen für die Zukunft.
Es klingt so einfach: »Ich möchte
meine Verwandten in Dschenin
besuchen«, schrieb ein
Achtjähriger aus Bethlehem in
einem Schulaufsatz über das
Thema »Träume«; »dass die
Soldaten nach Hause gehen«,
wünschte sich eine Mitschülerin.
Auf der anderen Seite, in Israels
Schulen, berichten die
Lehrer derweil, dass die Schüler
häufiger fragen, warum die Verhältnisse
in Palästina so sind,
wie sie sind, seit US-Präsident
Barack Obama vor kurzem während
seines Besuches in Israel
darüber gesprochen hat, wie die
Kinder auf der anderen Seite leben.
Fragen, auf die die Lehrer
keine zufriedenstellenden Antworten
haben, weil das, was so
einfach scheint, tatsächlich unbeschreiblich
schwierig ist:
Schwierig, weil der Weg von
Bethlehem nach Jericho an dem
durch Mauer und Kontrollposten
vom Westjordanland abgetrennten
Ost-Jerusalem vorbei
durch viele Checkpoints führt.
Schwierig aber auch, weil es
längst keine verständliche Begründung
dafür gibt, warum das
so ist.
Das müsse so sein, um die Sicherheit
israelischer Staatsbürger
zu schützen, sagen die Sprecher
der israelischen Regierung.
Doch beim Militär verweigert
man offiziell den Kommentar
und klagt inoffiziell darüber,
dass dieses System aus Kontrollposten,
das mit dem Beginn der zweiten Intifada unter dem
sozialdemokratischen Premierminister
Ehud Barak seinen Anfang nahm, Truppen binde und dennoch nur die Aggressionen
weiter schüre.
Und dies ist nur ein kleiner,
vielleicht sogar der kleinste Teil
des Problems, vor dem US-Außenminister
John Kerry zurzeit steht. Ihn und seine
Diplomaten hat nach der Rede
Obamas in Jerusalem die Aufgabe
ereilt, den Friedensprozess
wieder in Gang zu bringen, doch die
Fragen, die im Raum stehen, sind
dieselben geblieben,
die sie immer schon waren: Siedlungen,
Flüchtlinge, Grenzen, Jerusalem
– Streitpunkte mit tiefer emotionaler
Bedeutung für beide Seiten.
Und dann der Punkt: Sicherheit
für den jüdischen Staat.
Daran ist in der Vergangenheit
am Ende doch alles gescheitert.
Immer wieder touren Kerry und sein Tross zurzeit durch den
Nahen Osten. Am Montag wird das Team wieder in Jerusalem
und Ramallah erwartet. Und vor allem an letzterem Ort fragt man
sich, was denn nun anders geworden
sein könnte, nach all den teils euphorischen Reaktionen
auf Obamas Worte vor den israelischen
Studenten.
Denn eine Vision ist auch
heute noch ebenso wenig zu erkennen
wie die Fähigkeit, eine
durchzusetzen. Kerry sei zurzeit
in der Phase, in der er die Optionen
auslote, nach »Fenstern
der Gelegenheit« suche, von denen
man überzeugt sei, dass es
sie gebe, sagt Victoria Nuland,
die Sprecherin des Außenministeriums.
»Die Gespräche mit den Beteiligten sind bisher sehr
positiv verlaufen.« Nun gehe es zunächst einmal darum, Vertrauen
aufzubauen. In »zwei, vielleicht drei« Monaten wolle
Kerry einen Plan vorlegen, der »hoffentlich« beide Seiten an den
Verhandlungstisch zurückbringen werde.
Nur: Selbst wenn das passieren sollte, ist nicht gesagt,
dass das einen Fortschritt bringen
würde. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass am Verhandlungstisch
meist Endstation ist – es war in Madrid Anfang der
90er Jahre so, und es war in Camp David 2000 so, und
später auch in Annapolis. Wenn Abkommen unterzeichnet wurden,
wie in Oslo, oder dann in Wye 1998, wurden sie stets nur
teilweise umgesetzt. Und in den vergangenen Jahren war sogar
bereits vorher Schluss.
So hat das sogenannte Nahost-Quartett, ein Gremium aus
Vereinten Nationen, USA, Europäischer
Union und Russland, der Welt zwar eine »Straßenkarte
zum Frieden« und Großbritanniens
Expremier Tony Blair einen Job verschafft. Doch
was in den gut zehn Jahren seines
Bestehens genau passiert ist,
können weder die Sprecher der
vier beteiligten Staaten und Organisationen
noch Blair selbst erklären.
Und dennoch: Das Weiße Haus sieht das Wye-Abkommen,
in dem sich Israel, grob umrissen, dazu verpflichtete, einen
Teil von Gebiet C (unter vollständiger
israelischer Kontrolle) im Gegenzug für ein effektives
Vorgehen gegen militante Gruppen an die Palästinensische Autonomiebehörde
zu übergeben, nicht als kompletten Reinfall. Immerhin habe Israel tatsächlich Gebiete an die Palästinenser übergeben, bevor die weitere
Umsetzung abgebrochen wurde, sagt ein Sprecher Obamas.
Der verweist zudem darauf, dass sich die Vorzeichen,
die damals dazu geführt haben, dass die Vereinbarungen nicht
zu Ende geführt wurden, nun geändert hätten: Der damalige
Palästinenserpräsident Yasser Arafat sei tot, die palästinensische
Politik, die palästinensischen Institutionen seien gereift,
besser dazu in der Lage, Vereinbarungen auch umzusetzen.
»Möglicherweise waren die Erwartungen an die Fähigkeiten
der damals noch jungen Autonomiebehörde
zu hoch.« Und dann: »Netanjahu hat damals in
seiner ersten Amtszeit gezeigt, dass er ein Verhandlungspartner ist und dass er auch bereit ist, notwendige Schritte zu unternehmen.«
Würde er es noch einmal machen? »Ich bin fest davon
überzeugt, dass der Premierminister
an Fortschritten im Friedensprozess interessiert
ist«, sagt Zippi Livni, Justizministerin
und in der Regierung für Verhandlungsfragen zuständig:
»Meine Partei und ich wären nicht in die Regierung eingetreten,
wenn wir das Gefühl gehabt hätten, ein Feigenblatt zu sein.«
Könnte er überhaupt? Im
Grunde ja. Zwar sitzt auch die
Siedlerpartei HaBajit HaJehudi
in der Regierung und erklärt seit
Obamas Rede immer wieder, Israels
Wähler hätten sich gegen
die Zweistaatenlösung entschieden,
indem sie sich für diese
Regierung entschieden haben.
Doch ein Blick auf die politische
Landschaft zeigt ein anderes
Bild. Tatsächlich lehnen
nur HaBajit HaJehudi sowie
Teile von Netanjahus Parteienbündnis
Likud / Jisrael Beitenu
Verhandlungen und Zweistaatenlösung
ab. Eine sehr bequeme Mehrheit im Parlament ist
mindestens für Verhandlungen,
eine hauchdünne Mehrheit sogar
für die Anerkennung eines
Staates Palästina, seit die ultraorthodoxe
Partei Schas, die bisher im rechten Spektrum verortet
wurde, vor einigen Wochen für ein Friedensabkommen
Position bezog.
Nur: Momentan ist das nicht
mehr als ein Schlagwort ohne
Inhalt. Denn der Weg nach Palästina
führt über Grenzen, über
die bisher noch kein gangbarer
Weg gefunden ist. Ideen, entwickelt
von Universitäten, Politikern
und Nichtregierungsorganisationen,
gibt es zwar viele, und jeden
Tag kommen neue hinzu. Komplette
Grenzverläufe wurden so schon
entwickelt. UndKonzepte für getrennte
Verwaltungen in Ost- und West-Jerusalem,
ohne die Stadt physisch zu teilen,
sind sogar auf beiden Seiten
bereits als machbar anerkannt.
Keine Überlegungen gibt es
allerdings für das palästinensische
Recht auf Rückkehr. Israel
möchte seine jüdische Bevölkerungsmehrheit
schützen, Palästina
pocht auf die Beseitigung
eines historischen Unrechts. Es
ist ein hoch emotionaler Streitpunkt,
dessen Art der Beilegung
einen erheblichen Anteil daran
hätte, ob die Bevölkerung ein
Abkommen unterstützt.
Und für die Siedlungen sind gar
keine Lösungen in Sicht: Bei einem
Abkommen müssten selbst,
wenn die großen Siedlungsblöcke
erhalten blieben, mehrere
Hunderttausend Menschen umziehen.
Das ist zunächst einmal
ein gigantisches logistisches
Problem. Innerhalb kürzester
Zeit müssten Tausende Häuser
gebaut und dabei der Lebensstil
der Menschen gesichert werden.
Denn nach der Räumung
Gazas 2005 war genau dies der
Punkt, der die Stimmung in der
israelischen Öffentlichkeit zum
Kippen brachte. Die Menschen
wohnen teils noch heute in
Wohnwagen.
Doch das politische Risiko
finge schon bei der Räumung an.
Es ist zu erwarten, dass viele
Siedler nicht freiwillig gehen
werden. Und Juden, die von Soldaten
aus ihren Häusern getragen
werden, sind erst recht großen Teilen
der Öffentlichkeit nicht zu
verkaufen – nicht in Israel. Und
auch nicht in den Vereinigten Staaten,
wo ein erheblicher Teil sowohl
der christlichen als auch der jüdischen
Wählerschaft eine tiefe Verbundenheit
mit dem jüdischen Staat verspürt.
Würde es ein US-amerikanischer Politiker, möglicherweise
mit Ambitionen auf die Präsidentschaft, versuchen?
Gegenwärtig scheint es wahrscheinlicher,
dass sich die derzeitige Nahost-Mission am Ende
auf die Dinge des Alltags konzentriert
haben wird: eine Verbesserung der wirtschaftlichen
Lage in Palästina. Und vielleicht
auch auf den Abbau der Checkpoints.
* Oliver Eberhardt, Jahrgang 1973, hat in London
Nahostwissenschaften studiert und in Jerusalem in Kriminalwissenschaften
promoviert, nachdem er zuvor das journalistische Handwerk als Lokaljournalist im
Rhein-Main-Gebiet gelernt hatte. Seit zehn Jahren berichtet er
über Israel und Palästina und versucht, das Akademische mit dem Journalistischen zu verbinden.
Aus: neues deutschland, Samstag, 6. April 2013
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