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KSZE – Modell für den Nahen Osten?

Von Hans Voß *

Konferenz nach europäischem Vorbild könnte zur Befriedung der Spannungsregion beitragen Mit der Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung in dieser Woche rückt eine Frage in die internationale Aufmerksamkeit, die bereits seit einiger Zeit diskutiert wird: Kann eine Konferenz nach dem Muster der KSZE im Nahen Osten Frieden stiften?

Auch wenn entsprechende Vorstellungen kaum präzisiert werden, erscheinen sie vielen bedenkenswert. Schließlich ist es in Europa trotz aller politischen und ideologischen Gegensätze doch auch gelungen, eine tragfähige Basis für das Miteinander zu gestalten. Wenn man die KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) als Institution betrachtet, die langfristig angelegt die Beziehungen der Teilnehmerstaaten in friedliche und geordnete Bahnen lenkte, dann kann dieses Staatenforum durchaus als Vorbild herangezogen werden.

Natürlich sollte man sich davor hüten, die KSZE als »Idylle« zu betrachten. Schon der Einstieg in die Ausarbeitung der Schlussakte von Helsinki, des KSZE-Gründungsdokuments, war alles andere als einfach. Er erfolgte nach jahrelangem Ringen erst, als wesentliche politisch-rechtliche Voraussetzungen geschaffen worden waren. Dazu zählte das Vertragssystem der BRD mit der UdSSR und anderen Staaten des Warschauer Vertrages, einschließlich der DDR, sowie das Vierseitige Abkommen über Westberlin. Zunächst musste also eine umfassende Anerkennung des Status quo in Europa erfolgen, bevor mit der Schlussakte von Helsinki die berühmten zehn Prinzipien festgeschrieben wurden, die den gegenseitigen Beziehungen zu Grunde liegen sollten. Sollte man im Nahen Osten einen ähnlichen Weg zur Konferenz beschreiten wie in Europa? Sollten zunächst Voraussetzungen wie abgeschlossene Staatenbildung, gegenseitige Anerkennung und Abzug ausländischer Interventionstruppen geschaffen sein, bevor man sich an den Konferenztisch setzt? Das wäre zwar wünschenswert, erscheint aber als wenig zweckmäßig, weil Junktims geschaffen würden, die den gesamten Entspannungsprozess blockieren könnten. Außerdem könnte sich ja der Einstieg in die Nahost-Konferenz parallel zu anderen Verhandlungsebenen vollziehen.

Daher scheint es praktikabler, die Konferenz selbst zur Lösung der Statusfragen zu nutzen. Die Konferenzbildung könnte damit beginnen, dass die Staaten des Nahen Ostens, die dazu bereit sind, sich bei einem Gründungstreffen auf jene Prinzipien verständigen, die künftig die gegenseitigen Beziehungen bestimmen sollten. Es würde sich im wesentlichen um jene Grundsätze handeln, die in der Schlussakte von Helsinki verankert sind. Durch die Festschreibung solcher Prinzipien wäre es möglich, sich der Beseitigung der Krisenherde zuzuwenden, die zu diesem Zeitpunkt noch fortbestehen. Dabei steht die Schaffung eines unabhängigen, lebensfähigen Staates der Palästinenser im Vordergrund. Alle Partner müssten sich zudem gegenseitig anerkennen, zumindest die Existenzberechtigung von Partnern nicht länger in Frage stellen. Gelänge das, wäre es möglich, sich weitergehenden Problemen zuzuwenden, darunter dem gegenseitigen Gewaltverzicht und Nichtangriffsgarantien. Auch die wirtschaftliche, kulturelle und ethnische Zusammenarbeit würde an Bedeutung gewinnen. Im Interesse der Kontinuität des Vorgehens scheint es unabdingbar, die Konferenz zu einer Dauereinrichtung zu machen.

Sicher wäre es zweckmäßig, wenn die Initiative zur Konferenzbildung aus der Region kommen würde. Damit wäre der mögliche Vorwurf entkräftet, es handele sich um eine von außen aufgezwungene Entwicklung. Dennoch bleibt eine enge Bindung zu Staaten außerhalb der Region unerlässlich. So wird das Nahostquartett zur Klärung der Palästinafrage gebraucht. Die Befriedung Iraks ist ohne den Abzug der Interventionstruppen nicht denkbar. Zu übersehen ist auch nicht, dass die europäischen Staaten angesichts ihrer geografischen Nachbarschaft ein besonderes Interesse an einem friedlichen Nahen Osten haben. Daraus erwuchs der Gedanke, die Konferenz dauerhaft in Berlin anzusiedeln.

Aber ob sich im Nahen Osten überhaupt eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit durchsetzen lässt, ob dabei Erfahrungen der KSZE genutzt werden können, steht in den Sternen. Es hängt vom Willen der Staaten der Region ab, einen solchen Weg zu beschreiten. Dieser Wille muss erst noch geweckt werden.

* Aus: Neues Deutschland, 19. März 2007


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