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Wie soll man da herauskommen?

Die Annapolis-Konferenz ist ein Witz - obwohl ganz sicher kein lustiger

Von Uri Avnery

Wie eine Menge politischer Initiativen hat auch diese – nach Analyse vorhandener Anzeichen - mehr oder weniger zufällig begonnen. George Bush war dabei, eine Rede vorzubereiten. Er suchte nach einem Thema, das dieser ein wenig Substanz verleihen könnte. Etwas, das die Aufmerksamkeit von seinem Fiasko im Irak und Afghanistan ablenken würde. Etwas Einfaches, Optimistisches und etwas, das problemlos geschluckt würde.

So kam irgendwie die Idee eines „Treffens“ von führenden Politikern zustande, die den israelisch-palästinensischen „Prozess“ in Gang bringen könnte. Eine internationale Konferenz ist immer etwas Schönes – sie sieht im Fernsehen gut aus, sie liefert haufenweise Phototermine, sie strahlt Optimismus aus. Wir treffen uns - also sind wir.

So hat Bush die Idee eines „Treffens“ ausgesprochen, um Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zu fördern.

Ohne vorausgehende strategische Planung, ohne sorgfältige Vorbereitungen, ohne auch nur irgend etwas. Deshalb ging Bush in seiner Rede nicht in die Details: kein klares Ziel, keine Agenda, keine Ortsangabe, kein Datum, keine Liste der Beteiligten. Nur ein ätherisches Treffen. Allein diese Tatsache zeugt vom Mangel an Ernsthaftigkeit des ganzen Unternehmens.

Das mag die Leute schockieren, die nie aus der Nähe gesehen haben, wie Politik tatsächlich gemacht wird. Es ist kaum zu fassen, mit welch unerträglicher Leichtfertigkeit oft Entscheidungen getroffen werden, mit welcher Unverantwortlichkeit führender Politiker und auf welch willkürliche Art und Weise wichtige Prozesse in Gang gebracht werden.

VON DEM MOMENT an, in dem diese Idee geboren wurde, konnte sie nicht mehr zurückgerufen werden. Der Präsident hat gesprochen, die Initiative läuft. Es gibt ein Sprichwort: Ein Dummer wirft einen Stein ins Wasser, ein Dutzend Weise können ihn nicht zurückholen.

Einmal angekündigt, ist das „Treffen“ zu einem wichtigen Unternehmen geworden. Die Experten aller Parteien begannen hektisch, sich auf das vage definierte Ereignis vorzubereiten. Jede Seite versuchte dieses, in die für sie selbst günstigste Richtung zu steuern.
  • Bush und Condoleeza Rice wollten ein eindrucksvolles Ereignis, um zu beweisen, dass die USA sich sehr um Frieden und Demokratie bemühen und dass sie dabei Erfolge haben, wo der große Henry Kissinger nur Fehlschläge einstecken musste. Jimmy Carter war es nicht gelungen, den israelisch-ägyptischen Frieden auch zu einem israelisch-palästinensischen Frieden zu machen. Bill Clinton war in Camp David gescheitert. Wenn Bush Erfolge nachweisen könnte, wo all seine illustren Vorgänger Fehlschläge erlitten hatten, würde das nicht beweisen, wer der Größte von allen ist?
  • Ehud Olmert benötigt dringend einen durchschlagenden politischen Erfolg, damit die Erinnerung an sein elendes Scheitern im 2. Libanonkrieg verblasst, und um sich selbst von den Dutzenden ihn wegen Korruption verfolgenden Untersuchungen zu befreien. Seine Ambitionen sind grenzenlos: er möchte beim Händeschütteln mit dem König von Saudi Arabien photographiert werden. Bis jetzt ist keinem israelischen Ministerpräsidenten dieses Kunststück gelungen.
  • Mahmoud Abbas möchte der Hamas und den rebellischen Fraktionen seiner eigenen Fatah-Bewegung beweisen, dass er dort Erfolge vorweisen kann, wo der große Yasser Arafat scheiterte – als gleicher Partner unter den Weltführern akzeptiert zu werden.
Dies könnte deshalb eine große, fast historische Konferenz werden, wenn …

WENN NICHT all diese Hoffnungen Hirngespinste wären. Keine davon haben irgendeine Substanz. Aus dem einzigen Grund: keiner der drei Partner hat Kapital zu seiner Verfügung.

Bush ist bankrott. Um in Annapolis Erfolg zu haben, hätte er enormen Druck auf Israel ausüben müssen, um es zu zwingen, die nötigen Schritte zu machen: der Errichtung eines echten palästinensischen Staates zuzustimmen, Ost-Jerusalem aufzugeben, die Grüne Linie als Grenze wieder herzustellen (einen geringfügigen Landtausch mit eingeschlossen), eine Einverständnis erzielende Formel zum Flüchtlingsproblem zu finden.

Aber Bush ist überhaupt nicht in der Lage, auch nur den leichtesten Druck auf Israel auszuüben, selbst wenn er es gewollt hätte. In den USA hat die Wahlkampagne schon begonnen, und die zwei großen Parteien stehen wie Bollwerke gegen irgendwelchen Druck auf Israel. Die jüdische und die christlich-fundamentalistische Lobby werden gemeinsam mit den Neo-Cons nicht erlauben, dass ein Wort der Kritik über Israel geäußert wird.
  • Olmert ist sogar in einer noch schwächeren Position. Seine Koalition hält nur, weil es in der gegenwärtigen Knesset keine Alternative gibt. Sie schließt Elemente mit ein, die man in anderen Ländern als faschistisch bezeichnen würde. (Aus historischen Gründen lieben die Israelis diesen Terminus nicht.) Er wird von seinen Partnern daran gehindert, auch nur den winzigsten Kompromiss zu schließen – selbst wenn er wirklich ein Abkommen erreichen wollte.
    In der vergangenen Woche nahm die Knesset eine Gesetzesvorlage an, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordert, wenn die Grenzen von Groß-Jerusalem irgendwie verändert werden sollen. Das bedeutet, dass Olmert nicht einmal eines der am Rande liegenden palästinensischen Dörfer, die 1967 an Jerusalem angeschlossen wurden, aufgeben kann. Seine Koalitionspartner erlaubten ihm auch nicht, sich auch nur den Kernproblemen zu nähern.
  • Mahmoud Abbas kann sich nicht von den Bedingungen entfernen, die Yasser Arafat - dessen Todestag in dieser Woche begangen wurde - festgelegt hat. Wenn er davon nur ein wenig abrückte, würde er stürzen. Er hat schon den Gazastreifen verloren und kann auch die Westbank verlieren. Auf der andern Seite, wenn er mit Gewalt drohte, würde er alles verlieren, was er bekommen hat: die Gunst von Bush und die Kooperation mit den israelischen Sicherheitskräften.
Die drei Poker-Spieler werden sich an einen runden Tisch setzen und so tun, als würden sie ein Spiel beginnen – während keiner von ihnen einen Cent hat, um ihn auf den Tisch zu legen.

DER MAJESTÄTISCHE Berg scheint von Minute zu Minute kleiner zu werden Es ist gegen die Naturgesetze: je mehr wir uns ihm nähern, um so kleiner sieht er aus. Was für viele zuerst wie ein veritabler Mount Everest aussah, wurde danach zu einem gewöhnlichen Berg, dann zu einem Hügel, und jetzt sieht er kaum noch wie ein Ameisenhaufen aus – und selbst dieser schrumpft zusammen .

Zuerst sollten sich die Teilnehmer mit den „Kernproblemen“ befassen. Dann wurde angekündigt, dass eine wichtige Absichtserklärung angenommen werden wird, dann wurde nur mehr eine Sammlung leerer Phrasen vorgeschlagen. Nun ist selbst dies zweifelhaft.

Keiner der drei führenden Politiker träumt noch von einem echten Ergebnis. Was sie jetzt hoffen, ist, den Schaden so gering wie möglich zu halten – doch wie kommt man aus solch einer Situation heraus?

Wie gewöhnlich ist unsere Seite bei dieser Aufgabe die kreativste. Schließlich sind wir Experten beim Bau von Straßensperren, Mauern und Zäunen. In dieser Woche wurde ein größeres Hindernis geschaffen als die Große Mauer Chinas.

Ehud Olmert verlangte, dass die Palästinenser vor den Verhandlungen, „Israel als jüdischen Staat“ anerkennen müssten. Ihm folgte sein Koalitionspartner, der ultra-rechte Avigdor Lieberman, der vorschlug, überhaupt gar nicht erst nach Annapolis zu gehen, bevor nicht die Palästinenser diese Forderung im voraus erfüllten.

Prüfen wir kurz diese Forderung:

Von den Palästinensern wird nicht verlangt, dass sie den Staat Israel anerkennen. Sie haben dies schließlich schon beim Oslo-Abkommen getan – trotz der Tatsache, dass Israel noch nicht das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat mit der Grünen Linie als Grenze anerkannt hat.

Nein, die Regierung Israels verlangt noch viel mehr: die Palästinenser müssen jetzt anerkennen, dass Israel ein „jüdischer Staat“ ist.

Verlangen die USA als „ christlicher oder angelsächsischer Staat“ anerkannt zu werden? Hatte Stalin verlangt, die USA mögen die Sowjetunion als „kommunistischen Staat“ anerkennen? Hat Polen je verlangt, als „katholischer Staat“ oder Pakistan als „islamischer Staat“ anerkannt zu werden? Gibt es überhaupt einen Präzedenzfall eines Staates, der die Anerkennung seines heimischen Regimes gefordert hatte?

Die Forderung ist per se lächerlich. Aber dies kann leicht durch eine Analyse ad absurdum geführt werden.

Was ist ein „jüdischer Staat“? Das wurde bis jetzt nie definiert. Ist es ein Staat mit einer Mehrheit jüdischer Bürger? Ist es der „Staat des jüdischen Volkes“ – und meint damit auch die Juden in Brooklyn, Paris und Moskau? Ist es „ein Staat, der der „jüdischen Religion gehört“ - und wenn es so ist, wie gehört er dann auch den säkularen Juden? Oder gehört er vielleicht nur den Juden, die dem Rückkehrgesetz entsprechen – d.h. „Personen, die eine jüdische Mutter haben und nicht zu einer anderen Religion konvertiert sind“?

Diese Fragen sind noch nicht geklärt worden. Wird von den Palästinensern erwartet, etwas anzuerkennen, was selbst in Israel noch ein umstrittenes Thema ist?

Entsprechend der offiziellen Doktrin ist Israel ein „jüdischer und demokratischer Staat“. Was sollen die Palästinenser tun, wenn – nach demokratischen Regeln - eines Tages meine Meinung übernommen wird und Israel ein „israelischer Staat“ wird, der allen seinen Bürgern gehört – und ihnen allein? (Schließlich gehören die USA allen ihren Bürgern, einschließlich den Hispano-amerikanern, den Afroamerikanern und selbstverständlich den amerikanischen Ureinwohnern.)

Der Haken ist natürlich, dass diese Formel für Palästinenser unakzeptabel ist, weil dies die anderthalb Millionen Palästinenser, die israelische Bürger sind, in ihren Rechten verletzen würde. Die Definition „jüdischer Staat“ macht sie – bestenfalls - automatisch zu Bürgern zweiter Klasse. Wenn Mahmoud Abbas und seine Kollegen diese Forderung annehmen würden, dann würden sie ihren eigenen Verwandten ein Messer in den Rücken stoßen.

Olmert & Co wissen das natürlich. Sie stellen diese Forderung nicht, damit diese akzeptiert wird. Sie stellen diese Forderung, damit sie nicht angenommen wird. Mit diesem Trick hoffen sie, jede Verpflichtung los zu sein, bedeutsame Verhandlungen erst zu beginnen.

Außerdem müsste Israel – nach der verstorbenen Road Map, die angeblich von allen Seiten angenommen wurde – alle Siedlungen auflösen, die nach dem März 2000 errichtet wurden, und der Ausbau in allen anderen eingestellt werden. Olmert ist nicht in der Lage, dies zu tun. Gleichzeitig müsste Mahmoud Abbas die „Terror-Infrastruktur“ zerstören. Abbas kann das genau so wenig, so lange es keinen unabhängigen palästinensischen Staat mit einer gewählten Regierung gibt.

Ich stelle mir vor, wie Bush sich nachts in seinem Bett wälzt und die Ghostwriter verflucht, die ihm diesen elenden Satz über das Treffen in den Mund legten. Auf ihrem Weg zum Himmel werden sich seine Flüche mit denen von Olmert und Abbas vermischen.

ALS DIE führenden Politiker der jüdischen Gemeinschaft in Palästina dabei waren, am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeitserklärung zu unterschreiben, war das Dokument noch nicht fertig. Wie sie da vor den (Kamera-) Augen der Weltöffentlichkeit und der Geschichte saßen, mussten sie ein leeres Blatt unterzeichnen. Ich fürchte, dass so etwas Ähnliches in Annapolis geschehen wird.

Und dann werden alle in ihre jeweiligen Länder zurückkehren – und einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstoßen.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)


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