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Arabische Demokratien vom Atlantik bis zum Golf?

Gibt es Indizien für demokratische Veränderungen in der arabischen Welt oder versuchen die USA lediglich , sich aus ihrem Irak-Fiasko medial zu retten?

Von Karin Kneissl*

Der israelische Soziologe Meron Benvenisti warnte vor Monaten zu Recht vor einem „media spin“ rund um die nun wöchentlich vielbeschworene Demokratisierungswelle in den arabischen Staaten. Benvenisti spricht von einem „Wohlfühlfaktor“, den offenbar die US-Regierung zu streuen versucht. Washington möchte dadurch von seinem Debakel im Irak ablenken, respektive den Umkehrschluss erreichen: der Krieg habe viel gebracht, denn nun gehe ein demokratisches Beben durch die arabische Welt.

Zitiert werden gebetsmühlenartig stets die vier Beispiele: im Irak gingen 63 Prozent zu den Urnen, in den besetzten palästinensischen Gebieten wurde im Jänner ebenso gewählt, in Saudi-Arabien finden Gemeinderatswahlen statt und Ägyptens Langzeitherrscher Hosni Mubarak lässt erstmals Gegenkandidaten bei den Präsidentschaftswahlen zu.

Doch bei näherer Betrachtung fällt die Analyse nüchterner aus. Der Irak durchlebt eine weitere Phase täglicher Gewalt, die Regierung pokerte bis zum Schluss um den Posten des Ölministers, offenbar wichtiger als das Amt des Premiers. Der eigentliche Test für die palästinensische Innenpolitik findet bei den Legislativwahlen im Juli statt, bei denen auch die Hamas kandidieren wird. In Saudi-Arabien stimmte die „Hälfte über die Hälfte“ ab. Es durften nämlich nur männliche Staatsbürger rund die Hälfte der Kandidaten wählen, die andere Hälfte entsendete das allmächtige Königshaus der Saud. Die Theokratie Saudi-Arabien, in der Gewaltentrennung ein Fremdwort ist, liegt vom Hauch einer Rechtsstaatlichkeit noch Galaxien entfernt. Hier Anzeichen für eine Demokratisierung erkennen zu wollen, bedarf schon sehr viel Weltfremdheit.

In Kairo hingegen ist unklar, welche Kandidaten unter welchen Auflagen Mubarak zulässt. Erinnern wir uns an die Wahlen in Algerien 1991, die die Islamistenpartei FIS gewann. Die Ergebnisse wurden annulliert, es folgte der Bürgerkrieg, der bis heute vor sich hinflackert. Fänden allgemeine, direkte und gleiche Wahlen in Jordanien, in Syrien, in Tunesien statt, so würden voraussichtlich überall die Islamisten den Sieg davontragen. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass in all diesen repressiven Systemen angesichts fehlender Foren für säkulare politische Vereinigungen einzig das Netzwerk der Moscheen und Koranschulen wirklich funktioniert. Zudem treten die Islamisten als wichtige soziale Dienstleister auf und haben so überall an Popularität gewonnen. Allein die Wahlen im Irak zeigten: die religiösen schiitischen Parteien konnten die säkularen Parteien abhängen. Übrigens bestand auch der schiitische Großayatollah Ali as-Sistani auf Wahlen, nicht der US-Prokonsul Paul Bremer. Doch will der Westen, der sich bislang immer einmischte und Regime seiner Wahl einsetzte, tatsächlich diese neue Dynamik? Immerhin liegen fast zwei Drittel der wesentlichen fossilen Energiereserven in dieser Region. Und mit Autokratien ist man schneller handelseins als mit parlamentarischen Demokratien. Es soll nicht vergessen werden, dass in der Vergangenheit noch jegliche Opposition, ob aus dem Irak, Irak oder Tunesien, in den westlichen Kapitalen auf verschlossene Türen traf. Der Westen hat zur Erhaltung und Festigung all dieser Diktaturen seinen Beitrag politisch und militärisch geleistet.

Interessant und längst überfällig ist hingegen eine grundsätzliche Bewegung in vielen arabischen Gesellschaften. So führten die wochenlangen Massendemonstrationen auf den Straßen Beiruts erstmals in der Geschichte der arabischen Staaten zum Rücktritt einer Regierung. Was in den 1990er Jahren überall passierte, nur nicht in den 21 arabischen Staaten, nämlich freie Wahlen, das könnten die Menschen nun versuchen nachzuholen. Erstmals ist infolge der Ereignisse im Libanon nicht mehr von der „arabischen Straße“, sondern von der arabischen Zivilgesellschaft, die es in verschiedenen Varianten tatsächlich gibt, die Rede.

Jahrzehntelang wurde den Menschen vorgegaukelt, der Panarabismus, also die ideologische Vereinigung aller arabischen Gesellschaften, wäre die Lösung aller Probleme. Die Parole „Wir sind Brüder vom Atlantik bis zum Golf“ zerbröselte aber infolge der vielen innerarabischen Konflikte. Spätestens mit der „naksa“, also der fatalen Niederlage im Sechstage Krieg 1967, wurde der Panarabismus zu Grabe getragen, sein Mentor Gamal Abdel Nasser starb kurz darauf. Seither schreitet die Aufweichung der arabischen Diktaturen nur voran, sie haben allesamt an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Die Menschen wurden frommer, wandten sich den islamistischen Bewegungen zu. Letztere bilden ein politisches Kontrastprogramm und erwiesen sich in vielen Staaten als weniger korrupt.

Im Jahre 2002 präsentierte das UNDP (United Nations Development Programme) neben seinem „Jahresbericht zur menschlichen Entwicklung“ auch einen speziellen Regionalbericht über die arabische Welt. Die von unabhängigen arabischen Intellektuellen erstellte Untersuchung kam zum verheerenden Schluss: In den arabischen Staaten liegt politisch wie wirtschaftlich und sozial vieles im Argen. Schuld daran seien vor allem fehlende politische Freiheit und die schlechte Stellung der Frau. Vor kurzem erschien der dritte Bericht, dessen Veröffentlichung lange verzögert wurde. Darin werden weitere wesentliche Probleme für eine politische Erneuerung genannt: die Okkupationen, sowohl jene der USA im Irak als auch Israels in den palästinensischen Gebieten.

* Karin Kneissl studierte Rechtswissenschaften und Arabistik. Sie ist freie Journalistin und Lehrbeauftragte an der Universität Wien.

Aus: Südwind Magazin 06/2005, Seite 26



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