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Arabische Liga zwischen Zwist und Einigkeit

Von Dmitri Kossyrew *

Ob der Gipfel der Arabischen Liga in Damaskus ein Erfolg oder ein Misserfolg war, ist eine komplizierte Frage, die jedes arabische Land eigenständig zu lösen scheint.

Das Gastgeberland Syrien hat sich zufrieden gezeigt. Außenminister Walid al-Muallim sagte in der anschließenden Pressekonferenz, dass bereits die Tatsache, dass der Gipfel "zur angesagten Zeit und am angesagten Ort" stattfinden konnte, als Erfolg zu werten sei. Syrien hat genug Gegner unter seinen arabischen Brüdern, die das Treffen beispielsweise nach Kairo verlegen wollten.

Doch es ging auch so, obwohl dafür die "Libanon-Frage" geopfert und aus dem Gipfel ein "halber Gipfel" wurde. Von den 22 Staatschefs der Mitgliedsländer kamen nur elf zum Gipfel (29./30. März), die anderen waren durch Botschafter oder zumeist unwichtige Offizielle vertreten. Was Libanon betrifft, so fand der Gipfel in Damaskus nur deswegen statt, weil das Libanon- Problem dort überhaupt nicht zur Diskussion stand. Syrien wird angeklagt, dass sein Einfluss selbst jetzt, nachdem die syrischen Soldaten Libanon verlassen haben, das Land bei der Präsidentenwahl und bei der Regelung anderer Fragen behindert. Außerdem wird Syrien wegen seinen speziellen Beziehungen zu Iran beschuldigt - die Araber haben traditionell nicht besonders viel übrig für die Iraner.

Auch wenn die arabische Einigkeit seit langem wie ein Phantom erscheint: Sehen wir uns einmal an, bei welchen Themen unter den Arabern Einigung herrscht, selbst zu einem Zeitpunkt, als ihre Diskrepanzen den Gipfel beinahe verhinderten. Es stellt sich heraus, dass es gar nicht so wenige Berührungspunkte gibt.

Eine einstimmige Meinung gab es zu den Atomobjekten in Israel. Tel Aviv soll sich dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (NPT-Vertrag) anschließen und seine Atomanlagen unter IAEO-Kontrolle stellen, heißt es in der Erklärung von Damaskus. Es geht darum, dass die Israelis, wie auch die Nordkoreaner, die Inder und die Pakistaner, bei der Entwicklung von Nuklearprogrammen, angeblich auch militärischen, ihren eigenen Weg gehen. Mit Berufung auf "besondere Umstände", also die unfreundliche arabische Umgebung, sagt Israel weder Ja noch Nein auf die Frage, ob es Atomwaffen besitze, weigert sich, den NPT-Vertrag zu unterzeichnen und lässt die IAEO-Inspektoren nicht ins Land. Doch die Araber werden diese Frage früher oder später abschließen, zumal Ägypten, Bahrein und vielleicht andere bald nukleare Energieprogramme starten.

Außerdem hat der Gipfel in Damaskus ein fast vergessenes Problem aufgeworfen: Was ist Terrorismus? Die Araber riefen dazu auf, eine internationale Konferenz unter der Schirmherrschaft der UNO abzuhalten, um über diese Erscheinung zu diskutieren. Der Sinn dieser Geste ist gut nachvollziehbar: Niemand anders als die UNO bildet das Völkerrecht. Im Völkerrecht gibt es eine gewisse Grauzone, und zwar der irakische Widerstand gegen die Besetzung.

Kann und soll ein Bürger sich gegen die Besatzer wehren, oder war das nur zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges eine Heldentat? Die Erklärung von Damaskus fordert, einen Unterschied zwischen Terrorismus und "dem Recht der Völker auf den Kampf gegen eine Besatzungsmacht" zu ziehen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass ein Kämpfer gegen die Besatzer, der zum Beispiel Zivilisten tötet oder sie als Geiseln gefangen hält, doch als Terrorist eingestuft werden kann.

Weiterhin finden die Teilnehmer des Damaskus-Gipfels einstimmig Gefallen an der russischen Initiative, eine Nahost-Konferenz in Moskau durchzuführen, obwohl sich das nicht in der Erklärung niederschlägt. Eine seriöse Diskussion über die syrische und libanesische Richtung der Nahost-Regelung, eine Idee, die die Araber nicht in Damaskus besprechen konnten, kann also in Moskau geführt werden, wie Russland es wollte.

Sollte einer also den Wunsch haben, die Ergebnisse des Damaskus-Gipfels optimistisch zu betrachten, so sind auch Anlässe für Optimismus zu finden.

Die Araber sind nicht die einzigen, deren regionalen Organisationen es an Einigkeit mangelt. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Region lässt kaum die Reihen schließen, eher umgekehrt. Es ist ja notorisch auffällig, dass Nachbarn immer mehr gegenseitige Ansprüche haben als Länder, die weit auseinander liegen.

Als effizienteste und erfolgreichste regionale Organisation gilt die ASEAN, der alle zehn südostasiatischen Länder angehören. Doch innerhalb dieser zehn gibt es feste Gruppen, die in wichtigen Fragen unterschiedliche Meinungen haben. Zum Beispiel in der Frage, was mit dem Militärregime in Birma zu tun sei, ob es hart oder sanft demokratisiert werden soll. Es gibt auch gegenseitige territoriale Ansprüche. Der Stellenwert der ASEAN liegt nicht darin, dass es eine Assoziation von Einverstandenen ist, sondern darin, dass die Uneinigen gelernt haben, miteinander zu sprechen.

Die Menschen, die mit einer anderen ähnlichen Organisation, der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit, wenig vertraut sind, würden sich wundern, wie lebhaft es bei deren Expertensitzungen zugeht. Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisien streiten sich wie früher um Wasserressourcen. Die Usbeken haben immer ihre eigene, besondere Position in allen Fragen. Russland und China sind nicht gerade einverstanden, ob Indien und einige andere Staaten in die Organisation aufgenommen werden dürfen oder nicht. Doch im Endeffekt können alle gemeinsame Lösungen finden.

Lateinamerika und Afrika bieten ein ähnliches Bild: Alle streiten sich, machen sich aber nirgendwo anders als in den Sitzungen regionaler Organisationen gegenseitig verständlich. Die EU oder die GUS sehen da auch nicht anders aus. Doch alle diese Organisationen leben, entwickeln sich, und neue kommen hinzu.

Es gibt wenig Verständnis darüber, wie die Welt in 20 bis 30 Jahren aussehen und verwaltet werden wird. Die russische Idee besteht darin, dass regionalen Organisationen immer mehr Verantwortung zukommen wird und die UNO dann nur eine "Schirmrolle" inne hat. Die Konstruktion ist wenigstens logisch. Die Tatsache, dass der Damaskus-Gipfel der Arabischen Liga trotz allem stattgefunden ist, beweist diese Logik.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 2. April 2008; http://de.rian.ru



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