Macht und Märkte
Bushs alte Garde erwartet ein vertrautes Spiel - Zur Situation im Nahen Osten
Von Torsten Wöhlert
Öl, Israel und Antikommunismus - diese Triade hat Amerikas Nah- und
Mittelostpolitik während des Kalten Krieges bestimmt. Als der plötzlich
vorbei war, standen Washingtons Strategen vor dem Dilemma,
Ordnungsprinzipien für eine Region zu installieren, die sich als Zone "vitaler
US-Interessen" amerikanischem Einfluss zu entziehen drohte. Zehn Jahre
nachdem Vater Bush eine "Neue Weltordnung" am Persischen Golf
herbeibomben ließ und Israel zur Teilnahme am nahöstlichen
Friedensprozess nötigte, steht Bush junior vor ähnlichen Schwierigkeiten.
Allerdings mit einem Unterschied: Während Daddy wenig Rücksicht auf die
Interessen der niedergehenden sowjetische Supermacht nehmen musste,
wird sich der Sohn mit neu erwachten russischen Ambitionen in der Region
auseinandersetzen müssen - und mit dem widersprüchlichen Erbe seines
Amtsvorgängers.
Clintons Nahostpolitik hat weder im arabisch/palästinensisch-israelischen
Konflikt noch am Golf die erhofften Früchte getragen. Der Friedensprozess
liegt am Boden, auch deshalb, weil Washington mit seiner Doppelrolle als
"ehrlicher Makler" und israelischer Verbündeter überfordert blieb. Und die
"doppelte Eindämmung" der beiden mächtigsten Golfstaaten Iran und Irak
ist gründlich gescheitert. Keine Spur von einer umfassenden regionalen
Sicherheitspolitik, wie sie Anfang der neunziger Jahre als Vision für die
multilateralen Nahost-Verhandlungen formuliert wurde. Statt dessen erlebt
die Region eine neue Achsenbildung. Hier die
türkisch-israelisch-amerikanische Allianz mit starker militärische
Schlagseite, dort die deutliche Annäherung zwischen Bagdad, Teheran und
Damaskus. Auf diese "Koalition der Ausgestoßenen" zielt Moskaus neue
Nahostinitiative.
Konnte Putins jüngster Versuch, zwischen Arafat und Barak zu vermitteln,
noch belächelt werden, läuten seit dem Teheran-Besuch des russischen
Verteidigungsministers in Washington die Alarmglocken. Natürlich klingt die
Begründung Moskaus für den Waffendeal, in Iran hätten sich die
innenpolitischen Verhältnisse zum Besseren gewendet, mehr als
scheinheilig. Das Gegenteil ist der Fall. Die Reformer sind seit Monaten in
der Defensive, erleiden einen Rückschlag nach dem anderen. Auch hier hat
es die Clinton-Administration versäumt, deutliche Entspannungssignale zu
setzen. Statt dessen blieb es beim halbherzigen Eiertanz zwischen
Sanktions-Peitsche und angekündigtem Zuckerbrot - selbst gegen guten Rat
der europäischen Verbündeten.
Russische Waffen versprechen frisches Geld und neuen Einfluss. Beides ist
in Moskau hoch willkommen, zumal Teheran aufgrund der rasanten
Ölpreisentwicklung wieder als zahlungskräftiger Kunde gilt. Und das nicht
nur für Waffen. Als Al Gore und Viktor Tschernomyrdin 1995 jenes
Geheimabkommen abschlossen, mit dem der erste russisch-iranische
Frühling beendet wurde, ging es den USA auch darum, den Bau zweier
Nuklearmeiler zu verhindern. Entsprechende Pläne existieren nach wie vor
und dürften demnächst für weiteren Zündstoff sorgen.
Sowohl Teheran als auch Moskau sind dabei, ihre nationalen Interessen in
der Region neu zu definieren - jenseits ideologischer Dogmen, mit
deutlichem Blick auf die Ambitionen solcher Staaten wie Indien, China oder
Pakistan und vor allem: gegen amerikanische Hegemonieansprüche. Hinzu
kommt, dass seit dem Ende des Kalten Krieges keiner der sozialen,
religiösen oder sicherheitspolitischen Sprengsätze entschärft werden
konnte. Im Gegenteil. Die monarchischen Regimes stehen innenpolitisch
nach wie vor auf wackligen Füßen, das Gespenst des islamischen
Extremismus bleibt angesichts wachsender sozialer Widersprüche ebenso
präsent wie die einseitige Ölabhängigkeit aller Wirtschaften am Golf.
Entspannung ist - namentlich unter dem Druck der Globalisierung - weder
hier noch im Heiligen Land in Sicht.
Ob sich die neue Administration mit ihrem Personal von gestern und
vorgestern diesen Herausforderungen gewachsen zeigt, darf bezweifelt
werden. Sozialisiert in den bipolaren Strategieschulen des Kalten Krieges
und anschließend weitergebildet in der Traumfabrik ungebrochener globaler
US-Hegemonie, blieb "Neues Denken" ein müde belächeltes Relikt aus
"siegreichen" Wende-Zeiten. Mit Bush junior kommt nun Realpolitik pur ins
Weiße Haus zurück, in der Version "America first". Auch die alte Öllobby
ist wieder da. Für Israels Hardliner durchaus ein Grund zur Sorge. Der neue
Präsident hat - wie sein Vater und anders als Clinton - ein nüchternes,
unsentimentales Verhältnis zum jüdischen Staat. Sollte Ariel Sharon die
nächsten Wahlen gewinnen und einen kompromisslosen Kurs gegenüber
den Palästinensern einschlagen, dürfte das die "Special relationship"
zwischen Washington und Tel Aviv vor einige Belastungsproben stellen.
Der Rest wird business as usual um Macht und Märkte sein, Politik der
Stärke ohne Visionen. Das Öl fließt sowieso. Die Aufregung um Moskaus
Nahost-Offensive wird sich daher bald legen. Ein vertrautes Spiel, fast wie
früher. Der russische Bär hat sich zurück gemeldet. Na, und? Er ist
schwächer als damals. Kein Grund zur Sorge also - bis zur nächsten Krise.
Aus: Freitag, 5. Januar 2001
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