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Tony Blair zum Beauftragten des Nahost-Quartetts ernannt / The Quartet announced the appointment of Tony Blair ( United Kingdom) as the Quartet Representative

Zustimmung, Skepsis bis Ablehnung: Politische Stellungnahmen und Kommentare - eine Auswahl

Auf Vorschlag der USA wurde am 27. Juni der kurz zuvor als britischer Premierminister abgetretene Labour-Politiker Tony Blair zum "Repräsentanten" des Nahost-Quartetts bestellt worden. Eine Entscheidung, die Kopfschütteln, aber auch Zustimmung hervorgerufen hat. Im Folgenden dokumentieren wir zunächst die Presseerklärung des "Quartetts", worin die Ernennung bekannt gegeben wird, und im Anschluss daran ein paar Interview-Äußerungen und Kommentare aus Rundfunk und Presse.



STATEMENT BY MIDDLE EAST QUARTET

Following is the text of a statement issued by the Quartet ( United Nations, Russian Federation, United States, European Union):

Quartet principals noted that recent events in Gaza and the West Bank make it more urgent than ever that we advance the search for peace in the Middle East. The Quartet reaffirms its objective to promote an end to the conflict in conformity with the Road Map, and expresses its intention to redouble its efforts in that regard. The urgency of recent events has reinforced the need for the international community, bearing in mind the obligations of the parties, to help Palestinians as they build the institutions and economy of a viable State in Gaza and the West Bank, able to take its place as a peaceful and prosperous partner to Israel and its other neighbours.

To facilitate efforts to these ends, following discussions among the principals, today the Quartet announced the appointment of Tony Blair ( United Kingdom) as the Quartet Representative. Mr. Blair, who is stepping down from office this week, has long demonstrated his commitment on these issues.

As Quartet Representative, he will:
  • Mobilize international assistance to the Palestinians, working closely with donors and existing coordination bodies;
  • Help to identify and secure appropriate international support in addressing the institutional governance needs of the Palestinian State, focusing as a matter of urgency on the rule of law;
  • Develop plans to promote Palestinian economic development, including private sector partnerships, building on previously agreed frameworks, especially concerning access and movement; and
  • Liaise with other countries as appropriate in support of the agreed Quartet objectives.
As Representative, Tony Blair will bring continuity and intensity of focus to the work of the Quartet in support of the Palestinians, within the broader framework of the Quartet’s efforts to promote an end to the conflict in conformity with the Road Map. He will spend significant time in the region working with the parties and others to help create viable and lasting Government institutions representing all Palestinians, a robust economy and a climate of law and order for the Palestinian people.

Tony Blair will be supported in this work by a small team of experts, based in Jerusalem, to be seconded by partner countries and institutions.

The Quartet representative will report to and consult regularly with the Quartet and be guided by it as necessary.

The Quartet looks forward to welcoming Mr. Blair at its next meeting.


"Bei Blair bin ich sehr skeptisch"

Auszug aus einem Interview mit SPD-Experte mit Rolf Mützenich, Sprecher des SPD-Fraktionskreises "Naher und Mittlerer Osten".

Ich bin sehr skeptisch, was seine Vertrauensbasis bei den Palästinensern anbetrifft. Vor wenigen Tagen habe ich diese Vorbehalte bei einer Reise in die Region direkt erfahren. Andererseits muss man sagen: Wenn schon jemand im Nahen Osten zu vermittelt, muss er versuchen, auf die USA einzuwirken, sich von den falschen Ansätzen der vergangenen Jahre zu verabschieden. Blair ist einer der weniger Europäer, denen George Bush zuhört. (...)

Wie beurteilen Sie das Zustandekommen dieser Vermittlerrolle für Blair?

Einen Abstimmungsprozess im Nahost-Quartett scheint es ja nicht gegeben zu haben. Vor allem wurden die deutsche EU-Präsidentschaft und Russland nicht so eingebunden, wie man es eigentlich erwarten müsste für einen Zusammenschluss, der ein gemeinsames Auftreten braucht.

Aus: Frankfurter Rundschau, 29. Juni 2007 (Auszug)


Ruprecht Polenz (CDU)

Auszug aus einem Interview im Deutschlandfunk (Interview: Bettina Klein) Bettina Klein: Klein: Lassen Sie uns noch auf die neue Rolle des alten Premierministers blicken. Tony Blair ist gestern bestätigt worden in seiner neuen Eigenschaft als Sonderbeauftragter des Nahost-Quartetts. Was kann Blair bewirken, was andere vor ihm nicht bewirken konnten?

Polenz: Er hat die Aufgabe, den palästinensischen Behörden zu helfen beim Aufbau von politischen und wirtschaftlichen Institutionen, und er soll internationale Hilfe mobilisieren. Da bringt er natürlich außerordentlich viel Erfahrung mit. Er war ja auch sehr geduldig und letztlich erfolgreich im Nordirland-Konflikt, um den er sich eigentlich seine ganze Amtszeit über gekümmert hat. Er soll die palästinensische Wirtschaft fördern. Er soll neue private Partnerschaften vermitteln. Also ich glaube, zum einen ist es natürlich eine Herkules-Aufgabe. Zum anderen weiß jeder, der im Nahen Osten mit ihm spricht, dass er enge Kontakte zu den USA hat, die dort nach wie vor eine Schlüsselrolle spielen, und dass er auch in Europa ein respektierter und geachteter britischer Regierungschef gewesen ist, also dass er auch in der Europäischen Union bei den Staats- und Regierungschefs seinen Einfluss hat. Das alleine macht ihn schon ziemlich stark. Und es ist ja auch ein positives Signal, dass sowohl Olmert wie Abbas seine Ernennung begrüßt haben. Dass die Hamas das kritisiert hat, das war zu erwarten.

Klein: Es gibt natürlich auch Vorbehalte von Russland. Hamas haben Sie gerade angesprochen. Auch europäische Diplomaten haben Zweifel angemeldet, wie viel er dort bringen kann, da er als enger Vertrauter von Bush gilt. Also Blair scheint noch vor Beginn der Tätigkeit mehr von Skepsis als von Hoffnung begleitet zu werden. Ist das eine gute Ausgangsbasis?

Polenz: Solange er es noch nicht war, konnte man sicherlich auch als Diplomat seine Zweifel äußern. Jetzt, wo er es ist, hielte ich es für ausgesprochen kontraproduktiv, an möglichen Problemen, die er wegen diesem oder jenem haben könnte, noch einmal rumzukritisieren. Denn jetzt sollten wir die Chance nutzen. Erstens: Es war ja nun auch nicht selbstverständlich, dass er sich bereiterklären würde, eine solch schwierige Aufgabe, die zeit- und kräfteraubend sein wird, zu übernehmen. Und zweitens: Wir haben jetzt jemanden, der die Vorschläge des Quartetts den Konfliktparteien vermittelt, der dafür sorgen soll, dass die Dynamik, die jetzt in den Prozess gekommen ist, nicht gleich wieder versandet, und der vor allen Dingen auch in Israel respektiert wird. Denn es ist jetzt ja an Israel, den Prozess voranzubringen, sichtbar zu machen, dass sich die Kooperation der Palästinenser mit Israel mehr lohnt als die Konfrontation, die die Hamas einnimmt, und da muss nun schnell etwas passieren. Die israelische Regierung sollte nicht nur bei den Steuergeldern, die sie freigibt, oder bei der Freilassung von Gefangenen Zeichen setzen. Kontrollposten müssten abgebaut werden und letztlich muss man auch an die Siedlungen in der Westbank gehen und vor allen Dingen darf kein neues Haus in der Westbank mehr gebaut werden.

Aus einem Interview mit Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Deutschlandfunk, 28. Juni 2007


Auch das noch! Blair als Sonderbeauftragter Nahost ungeeignet

Zur Ernennung von Tony Blair zum Nahost-Sonderbeauftragten durch die Vereinten Nationen erklärt Wolfgang Gehrcke, Sprecher für internationale Beziehungen und Obmann im Auswärtigen Ausschuss für die Fraktion DIE LINKE:

Ein Nahost-Sonderbeauftragter muss Vermittlungsfähigkeit für alle am Konflikt beteiligten Seiten mitbringen. Das ist bei Tony Blair ganz augenscheinlich nicht der Fall. Der ehemalige britische Premier gilt als verlängerter Arm des US-Präsidenten Bush. Die Bezeichnung „Pudel von Bush“, die international gebräuchlich geworden war, zeigt deutlich, dass Blair als Vermittler nicht bei allen Seiten auf Zustimmung treffen kann.

Die Ernennung von Blair ist vom US-Präsidenten Bush durchgesetzt worden - hinter dem Rücken der anderen Mitglieder des Nahost-Quartetts. Auch die deutsche Ratspräsidentschaft schaut düpiert in die Röhre. US-Präsident Bush hat noch einmal klar gestellt, wer Koch und wer Kellner ist. Aus dieser subalternen Position muss sich Europa rasch lösen.

Das Recycling-Verfahren für abgehalfterte Staatschefs stößt immer mehr auf Widerspruch. Der ehemalige finnische Regierungschef Matti Ahtisaari hat die Kosovo-Mission der Vereinten Nationen an den Baum gefahren. Es steht zu befürchten, dass Tony Blair im Nahen Osten ähnlich erfolglos sein wird.

Pressemitteilung vom 28. Juni 2007


Syrien hält Blair als Nahost-Gesandten für gänzlich ungeeignet

Damaskus - Syrien hält den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair als Nahost-Sondergesandten für ungeeignet. Ein Mann mit "dem Blut Unschuldiger an den Händen" könne nicht Botschafter des Friedens sein, hieß es am Samstag in der staatlichen Zeitung "Tischrin". Dabei wurde Blair auch noch als Lügner und Vertreter einer "extremistischen rechten Ideologie" bezeichnet. In vielen arabischen Staaten werden Blair seine engen Beziehungen zu US-Präsident George W. Bush und die britische Beteiligung am Irak-Krieg vorgehalten.

Das aus den USA, der EU, den Vereinten Nationen und Russland bestehende Nahost-Quartett hatte Blair noch am Tag seines Rücktritts vom Amt des Regierungschef am Mittwoch zum Sondergesandten ernannt. Der bisherige britische Premierminister werde sich um internationale Unterstützung für die Palästinenser bemühen und Pläne zur Förderung der palästinensischen Wirtschaft entwickeln, hieß es in einer Erklärung.

Agenturmeldungen von APA und AP, 30. Juni 2007


Fehlbesetzung

Auszug aus einem Kommentar von Gudrun Harrer im "Standard"

Als die erste Meldung darüber auftauchte, dass es Tony Blair nach seinem Abgang in Großbritannien in levantinische Gefilde verschlagen könnte, und zwar als Sonderbeauftragter des Nahost-Quartetts, mochte man zuerst an eine Ente denken. Wenn man ein negatives Profil erstellen würde, mit den Anforderungen, die ein Nahost-Vermittler nicht haben sollte, Blair würde es glatt schaffen, fast alle zu erfüllen.

Der Gerechtigkeit halber: Der Ex-Premier ist sich der Bedeutung bewusst, die eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht nur für die direkt Beteiligten, sondern für die ganze Region hat. Die Briten gelten allgemein, von außen betrachtet, im Nahostkonflikt als in der Mitte stehend, was man daran ablesen kann, dass sie von beiden Seiten, Israelis und Palästinensern, als einseitig kritisiert werden. Blair hat außerdem bekanntlich bei George Bush einen Stein im Brett und könnte ein europäischer Einflüsterer des US-Präsidenten werden.

Bisher war es aber nur umgekehrt, außerdem ist Bush bald weg, wobei gerade Blairs Naheverhältnis zum meistgehassten Mann im Mittleren Osten ihn selbst nachhaltig beschädigt hat. Nicht dass die arabische Vox populi das einzige Kriterium sein sollte - aber es wäre, höflich gesagt, von Vorteil, wenn einem, der zwischen zwei Seiten vermitteln soll, ein Minimum von Respekt von beiden entgegengebracht würde. Aber Blairs fast schon religiöser Eifer im Irakkrieg und besonders die Unfähigkeit zur realistischen Neubewertung der Lage, die er gerade in seiner Abschiedsrede wieder vorgeführt hat, irritieren auch außerhalb der Grenzen der arabischen und islamischen Welt. (...)

DER STANDARD, 28. Juni 2007


Solana relativiert Blairs Auftrag: Wird nicht zwischen Israel und Palästinensern vermitteln

Quartett-Beauftragter soll "Hilfen für Aufbau eines palästinensischen Staates kanalisieren"

Madrid - Der neue Sondergesandte des Nahost-Quartetts, der britische Ex-Premier Tony Blair, wird nach den Worten des EU-Außenbeauftragten Javier Solana im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nicht als Vermittler auftreten. Dies sei nicht die Aufgabe des früheren britischen Premierministers, sagte Solana vor spanischen Journalisten in Lissabon. Blair habe als Sondergesandter des Nahost-Quartetts (UNO, EU, USA, Russland) einen klaren Auftrag. "Dieser besteht darin, die politischen und wirtschaftlichen Hilfen für den Aufbau eines palästinensischen Staates zu kanalisieren", sagte Solana nach Angaben der Madrider Zeitung "El Pais" (Freitag-Ausgabe, 29. Juni). "Blair wird im Nahen Osten keinen Friedensplan entwerfen."

Der Ex-Premier solle vielmehr dazu beitragen, dass neue Grundlagen für den Aufbau einer palästinensischen Regierung geschaffen werden, unterstrich Solana. Dies sei auf Grund der Feindschaft zwischen der Fatah des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas und der radikalislamischen Hamas eine sehr schwierige Aufgabe. Der frühere Quartett-Beauftragte, der ehemalige Weltbank-Chef James Wolfensohn, hatte die Aufgabe wegen der Nichtumsetzung der so genannten Roadmap zurückgelegt. Der dreistufige Friedensfahrplan hat die Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates zum Ziel. Wolfensohn hatte auch die israelischen Wirtschaftssanktionen und die Verweigerung der vertraglich festgelegten Weiterleitung von Steuer-und Zolleinnahmen kritisiert.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Namen der EU-Ratspräsidentschaft am Donnerstag betont, dass der britische Ex-Premier in seiner neuen Funktion dem Quartett zuarbeiten werde. "Die politische Verantwortung werden wir weiter auf die Schultern des Quartetts legen", sagte Merkel. (APA/dpa)

Der Standard (online-Ausgabe), 29.Juni 2007


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