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"Israelis und Palästinenser sind und bleiben aufeinander angewiesen"

Über die Macht der Politik und die List der Geschichte

Von Reiner Bernstein, München

Der "Friedensprozess" im Nahen Osten verdient seinen Namen nicht. Die in ihn gesetzten politischen Hoffnungen waren von Anbeginn unbegründet. Mittlerweile sind "Apartheid", "Transfer" und "Nakba" die gegenwärtig am häufigsten verwendeten Begriffe im politischen Diskurs von Israelis und Palästinensern. Die Warnung vor solchen Planungen ist keine sektiererische Marotte einiger Kritiker, sondern beschäftigt weite Teile beider Gesellschaften. Für jene, die an der Westbank und dem Gazastreifen festhalten wollten, ohne die palästinensische Bevölkerung zu annektieren, sei das Apartheid-Modell Südafrikas von hoher Attraktivität, befand kürzlich Aviv Primor, früherer Botschafter in Deutschland: Ohne dass davon Notiz genommen werde, entstehe ein "palästinensischer Staat" in einer Reihe nicht zusammenhängender Enklaven. Auf Anordnung der israelischen Erziehungsministerin Livnat sollte im Oktober an den Schulen des vor einem Jahr ermordeten Tourismusministers Zeevi gedacht werden, der für die Ausweisung der palästinensischen Bevölkerung eintrat, einschließlich der arabischen Staatsbürger Israels, der "Feinde in unserer Mitte". Im Herbst 2002 lagen der Knesset Gesetzesanträge vor, um das Staatsbürgerrecht zu revidieren, die Teilnahme an Parlamentswahlen an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, das Strafrecht um einen Passus zu erweitern, um die freie Meinungsäußerung im Blick auf die Okkupation der besetzten Gebiete einzuschränken sowie die Gewährung von Sozialleistungen für Kinder an den Wehrdienst der Eltern zu binden. Schließlich: Nachdem über die Palästinenser schon einmal im Zuge der Staatsgründung Israels die Katastrophe ("Nakba") mit der Flucht und Vertreibung von 750.000 Menschen gekommen sei, bereite die Regierung Sharon im Kampf gegen den Terrorismus die endgültige ethnische Säuberung vor oder ziele zumindest auf einen Flickenteppich isolierter Städte und Dörfer vor.

Die Gefahr solcher "Bantustans" war Ende der siebziger Jahre erstmals von Yasser Arafat in einem Interview mit dem britischen "Guardian" geäußert worden. In Israel wurden solche Hinweise als propagandistisches Geschwätz abgetan, obwohl damals erstmals wissenschaftliche Untersuchungen die Frage stellten, ob die schleichende Annexion der besetzten Gebiete noch aufzuhalten sei. Es sei an der Zeit, der eigenen Öffentlichkeit eine Reihe Wahrheiten zu sagen: dass es keinen Zionismus ohne Siedlungen und keinen jüdischen Staat ohne arabische Evakuierungen und ohne Enteignung arabischer Böden gäbe. Beide Vorgänge bedürften keiner Rechtfertigung, es sei denn um die Preisgabe des Zionismus selbst. Gemäß einem Wort des damaligen Premier "Bibi" Netanyahu, wonach es kein Recht auf Tel Aviv gebe, wenn das Recht auf Hebron aufgegeben werde, gingen die Aktivisten der "Al-Aqsa-Intifada" dazu über, ihre Anschläge auf das israelische Kernland zu übertragen: "Gibt es einen Unterschied zwischen einem Attentat im Gazastreifen und einem in Netanya?" Yoram Hazony, ein enger Vertrauter Netanyahus, wendete seine Angriffe nach innen, indem er den Vertretern eines politischen Ausgleichs mit den Palästinensern den Kampf ansagte, um endlich den "Drang zum Selbstmord" zum Schweigen zu bringen. Seine ideologischen Gegner waren weltbekannte Professoren, Literaten, Intellektuelle und Politiker.

Vor genau drei Jahrzehnten hatte der damalige Außenminister Abba Eban die Unterjochung der Palästinenser als "Hottentottenmoral" kritisiert. Damit warf er ein Problem auf, das in der westlichen Welt in das Unverständnis mündet, wie ein der in der Geschichte unvergleichlich mörderisch verfolgtes Volk nunmehr als Herrenmenschen auftreten - ein Verhalten, das schon in der britischen Mandatszeit von Martin Buber und seinem Kreis scharf zurückgewiesen wurde. Der ethische Universalismus, schrieb Ernst Tugendhat vor zwei Jahrzehnten in einer kritischen Auseinandersetzung mit Michael Walzer, gehörte zum Kostbarsten des liberalen Judentums, "für uns war er der einzige Stolz". Diese Ethik ging hierzulande in das Substrat des "deutschen Staatsbürgers jüdischen Glaubens" ein. In ihm ging das klassische Judentum unter, das sich um der Wahrung der eigenen Substanz willen einer scharfen Abgrenzung von den Völkern befleißigt hatte, ohne im Gegenzug die soziale Anerkennung seitens der Mehrheitsbevölkerung einzutauschen.

Im Kampf zwischen dem ethischen Universalismus und dem politisch-praktischen Partikularismus, der das jüdische Leben vom Himmel auf die Erde verpflanzen sollte, kam der politische Zionismus gleichwohl nicht umhin, an das sakrale Selbstverständnis der Zionsorientierung anzuknüpfen, und verband es mit der "Negation der Diaspora" ("shlilat ha-golah"), jedoch unter Betonung des talmudischen Gebots, wonach alle Jude füreinander verantwortlich seien: Das zionistische Aufbauwerk war ohne die großzügige finanzielle Hilfe und die politische Begleitung von außen, besonders aus den USA seit den zwanziger Jahren nicht vorstellbar. Mit dem Rückgriff auf die jüdische Geschichte in Palästina war um der eigenen Legitimation willen auch die Abhängigkeit von messianischen Prophezeiungen von Anbeginn evident: Das Gebet "Nächstes Jahr in Jerusalem" wurde in seine alte lebensweltliche Bedeutung wiedereingesetzt, ohne auf den göttlichen Zuspruch vom "Licht für die Völker" (Jesaja 42,6) verzichten zu wollen. Diese theologischen Konstrukte boten den religiösen Kräften einen Gestaltungseinfluss, den sie zu eigenen Zwecken ummünzten: zu einem "dialektischen Messianismus", der sich der Politik bedient, um diese in die Schranken zu weisen und schließlich zu überwinden. Wer deshalb in den israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen die religiösen Determinanten ausblendet und sie auf einen Territorialkonflikt reduziert, greift analytisch zu kurz und läuft Gefahr, sich in einer eurozentrischen Rationalität zu verfangen, die im Nahen Osten keine Geltung hat.

Denn wie weit theologische Entwürfe auch säkulare Kreise Israels beeinflussen, lässt sich daran erkennen, dass jede Kritik an ihrer realpolitischen Entschlossenheit im Verdachts des Unverständnisses für die metaphysischen Bindekräfte des Judentums steht oder gar den Vorwurf des jüdischen Selbsthasses auslöst. Die biblische Ankündigung vom "Volk, das allein wohnt" (Numeri 23,9) lebt in säkularer Version im "Gefühl der Einsamkeit" fort, das sich auf die internationale Klage über die israelische Politik stützt. Eine neue Studie unter jungen "säkularen Gläubigen" förderte zu Tage, dass unter der Tünche von selbstbewussten Lebensentwürfen eine tiefe Sehnsucht nach Tradition und Religion liegt, für die die Öffentlichkeit größeren Respekt aufzubringen habe. Aus Untersuchungen wie diesen lässt sich der Schluss ziehen, dass die israelische Gesellschaft im Blick auf die Anhänger einer strengen Observanz weit verständlichvoller und toleranter ist, als es in Außenwahrnehmungen erscheint; die Bemessung ihrer Größe und ihres Einflusses an der Zahl er Abgeordneten der religiösen Parteien in der Knesset führt in die Irre. Säkulare Politiker nutzen traditionalistische Bedürfnisse, ohne sie häufig zu verstehen. Nachdem religiöse Autoritäten einst keine Freude über die Gründung Israels im "Philisterland" empfunden konnten, ist die ideologische Entwicklung mit der Besetzung Ost-Jerusalems und der Westbank im Junikrieg 1967 in einen "Yeshiva-Nationalismus" eingemündet, einer ins Extremistische getriebene Verbindung von Religion und Politik; etwa zwanzig Prozent der Israelis sollen bereit sein, einen Bürgerkrieg in Kauf zu nehmen, wenn ihre Regierung die besetzten Gebiete aufgeben würde . Frühe Warnungen vor den fundamentalistischen Eskalationswellen, die sich zumindest genauso schnell wie im arabischen Raum durchsetzen würden, waren also nicht aus der Luft gegriffen und haben längst den politischen Alltag erreicht:

Der Forderung nach "Sicherheit" liegen dezidierte theologische Wurzeln zugrunde: Das Wort steht in enger Verwandtschaft mit dem "Vertrauen (in Gott)". Aus der postulierten Einheit von Tora, Volk und Land begannen sich politische Souveränitätsansprüche abzuleiten, die generell nicht verhandelbar sind. Nimmt man den Aufstieg des "Islamo-Nationalismus" hinzu, der als religiöses Konzept vom "Haus des Islam" keine fremde Herrschaft in seiner Mitte dulden will, so wird der Konflikt unlösbar, weil er in ideologisch exklusiven Bahnen verlauft. Auf politischer Ebene wird deutlich, warum Israels Regierungen die Palästinenser zwingen wollten, den Unterschied zwischen Unabhängigkeit und Autonomie in der doppeldeutigen Prinzipienerklärung von 1993 zu akzeptieren, die keine Zusage zu einem palästinensischen Staat enthält. Nachdem Yitzhak Rabin zwei Jahre später die Interimsvereinbarung mit der Autonomiebehörde unterzeichnet hatte, der zufolge "Judäa und Samaria" teilweise geräumt werden sollten, war er fünf Wochen später tot. Würde jenes theologische Prinzip, das auch die Opferung von Angehörigen des eigenen Volkes in Kauf nimmt, nicht den Anspruch auf umfassende Geltung erheben, würden die Siedler zumindest um ihrer eigenen Kinder willen ihre Wohnorte in Hebron, in Ofra, in Elon Moreh ("Pistazie von Moreh") und anderswo verlassen. Statt dessen steht ihr harter Kern dafür ein, dass Knaben und Mädchen nicht allein ihren Eltern gehören, sondern dem Kollektiv der jüdischen Gemeinschaft und Gott.

Dieses Denken hat die Grenzen der radikalen Theologie längst hinter sich gelassen und die staatlichen Institutionen erreicht. Ein Beispiel bietet die Ablehnung der Vierten Genfer Konvention durch den Präsidenten des israelischen Obersten Gerichts mit der Begründung, dass sie nur dann anwendbar sei, wenn in den Gebieten vor 1967 ein allseits unbestrittener Souverän geherrscht hätte. 1981 folgte die Übertragung des israelischen Militärregimes über die besetzten Gebiete in eine "Zivilverwaltung" mit allumfassenden militärischen Befugnissen, deren politische Konsequenzen kaum internationale Aufmerksamkeit erregten. Sieben Jahre später unternahm König Husseins den folgenschweren Schritt, mit dem Verzicht auf die Westbank seine Souveränitätsrechte aufzugeben. Husseins Übertragung an die PLO krankte daran, dass jener die Qualität eines Völkerrechtssubjekts fehlte. Nach israelischer Auffassung wurde das Gebiet zum Niemandsland, in dem UN-Resolutionen nichts zu suchen haben. Seither trat der planmäßigen Anlage der Siedlungen in den besetzten Gebieten in eine Phase ein, die alle palästinensischen Hoffnungen auf einen eigenen Staat zunichte machte. Mit der Prinzipienerklärung 1993 wurde keine palästinensische "Regierung", sondern eine "Behörde" ("Authority") installiert, der alle Souveränitätsrechte versagt blieben. Wem konnte es verwundern, dass die israelische Regierung im Frühjahr 2002 einer UN-Untersuchungskommission die Einreise ins Flüchtlingslager Jenin verweigerte und fast alle Teile der Westbank und des Gazastreifens wieder besetzte? Es bedarf keiner prophetischen Gaben für die Erwartung, dass auch der jüngste Bericht von "amnesty international" trotz seiner massiven Vorhaltungen auf Seiten der Regierung auf taube Ohren stößt.

Affären wie diese, die sich auf tiefe politische Überzeugungen stützen, erklären auch innenpolitisch manche Widersprüche. Seit langem hat sich nach Auskunft von Meinungsforschern die überwältigende Mehrheit der Israelis mit einem palästinensischen Staat abgefunden, doch liegen sie in der Definition seiner territorialen Größe und dem Ausmaß seiner politischen Unabhängigkeit weit auseinander. Die amorphe und zerstrittene Friedensbewegung hat diesem Dogma keine eindrückliche Alternative entgegenzusetzen gewusst außer einer politischen Vernunft, der die konsensuale Qualität einer Staatsräson abgeht. Die Arbeitspartei, deren einstige Wähler zur Hälfte Ehud Barak aus dem Amt vertrieben, wird auch nach dem Ende der "Regierung der nationalen Einheit" Ende Oktober 2002 das Stigma der Kollaboration mit einer Politik nicht loswerden, die jede Gelegenheit genutzt hat, sich Entscheidungen zur Deeskalation des Konflikts zu entziehen. Die mahnenden Stimmen bleiben akademischen und intellektuellen Zirkeln vorbehalten, die in den öffentlichen Debatten kaum eine Rolle spielen. Auch Teilnehmer der Gedenkveranstaltung zum siebten Jahrestag der Ermordung Rabins, zu der nach Polizeiangaben rund hunderttausend Menschen nach Tel Aviv kamen, äußerten sich über den politischen Einfluss solcher Zusammenkünfte in pessimistischen Grundtönen.

Es ist das bleibende Verdienst Baraks, dass er gegen den Widerstand der parlamentarischen Mehrheit mit seiner territorialen Kompromissbereitschaft mutiger als jeder Premier vor ihm voranging. Dennoch legte er seine weitreichenden Kompromissvorschläge nicht in Camp David vor, sondern erst ein halbes Jahr später im Januar 2001. Doch zu dieser Zeit war sein Stern innenpolitisch bereits so stark im Sinken, dass er eine Art Vabanque-Spiel betrieb, die ihm die kürzeste Amtszeit in der politischen Geschichte Israels eintrug. Der Stimmenabstand zu seinem Herausforderer belief sich auf einmalige 26 Prozent. Das israelische Wahlvolk, ansonsten gespalten und fraktioniert, sammelte sich hinter Sharons Versprechen, die Palästinenser mit militärischen Mitteln zu domestizieren und ihre Aspirationen auf einen Staat endgültig zunichte zu machen.

Die europäischen Regierungen sind längst dazu übergegangen, auf ambitionierte Pläne zu verzichten, und üben sich statt dessen in "Konfliktmanagement". Unter solchen Voraussetzungen von "Palästina" als einem politischen Begriff zu sprechen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Ende der israelischen Besatzung und die Schaffung eines palästinensischen Staates zu fordern, gleicht der Flucht vor einer politisch entgrenzten Theologie, die Axiomen folgt statt das Wohl der Menschen zu fördern. Auch wenn die Zwei-Staaten-Lösung von den Europäern immer wieder ins Spiel gebracht wird, so wird ihr kein neues Leben einhauchen. Gleiches gilt für westliche Forderungen an die Adresse Arafats, die Autonomiebehörde zu reformieren und selbst ins zweite Glied zurückzutreten.

Das Bild der europäischen Ohnmacht angesichts der "Pax Americana" rundet sich vollends ab, die sich nicht allein aus der strategischen Partnerschaft mit Israel ableitet, sondern der Überzeugung von jener zivilisatorischen Mission der Pioniere des 19. Jahrhunderts folgt, die sich gegen die indianische Urbevölkerung mit den Methoden der ethnischen Säuberung durchsetzten und ihnen eine Metapher zuerkannten, die auf ihre Dehumanisierung zulief. Ob sich daraus heute das Zugeständnis einer "carte blanche" für Israel ableiten lässt, scheint im Zuge der amerikanischen Vorbereitungen auf einen Krieg gegen Saddam Hussein nicht ausgeschlossen zu sein. Eindeutig ist jedoch, dass George W. Bush den israelisch-palästinensischen Konflikt dadurch verlängert, dass er auf Sharon als den "Mann des Friedens" setzt und damit die Tradition seiner Amtsvorgänger fortsetzt, wonach nur positive Beziehungen zu Israel den Frieden im Nahen Osten näher bringen können. Damit überlässt der Präsident jenen Kräften in Israel das Gesetz des Handelns, für die die physische Präsenz der Palästinenser, ob Staatsbürger oder in den besetzten Gebieten lebend, einem historisch unbegründeten Wohnlager ähnelt, dem die vorübergehende Lizenzierung nach Gutdünken entzogen werden kann. Dementsprechend glaubte der Leiter des PLO-Büros in Washington nach den zahllosen Presseinterviews eines gelernt zu haben: "Wenn ein Israeli sagt, der Mond sei aus grünem Käse, wird niemand ihm widersprechen. Aber wenn ein Palästinenser sagt, dass der Mond im Osten aufgeht, glaubt ihm niemand." Die Autonomiebehörde verfügt ihrerseits über keine politische Strategie. Statt dessen polarisiert sie die Gesellschaft durch die Verteilung oder Verweigerung von Privilegien der politischen und der ökonomischen Teilhabe, die nach Lage der Dinge vor allem von ausländischen Hilfsmaßnahmen herrührt. Arafats Staatsobsession hat alle Energien in eine Richtung gebündelt, die keine Kraft für alternative Überlegungen aufsparte wie denen des Aufbaus einer Zivilgesellschaft mit einem geordneten Rechtssystem, einem funktionierenden Parlament und einer mittelständischen Wirtschaft. Die "Intifada-Märtyrer" ersparen der israelischen Regierung das Nachdenken über politisches Handeln.

Auch an dieser Stelle sei deshalb wiederholt: Von einem Ende ist der Konflikt weiter entfernt denn je zuvor. Die Situation ohne eine Lösung sei für Sharon schon die Lösung,; für seinen innerparteilichen Rivalen gilt dies erst recht. Gefragt sind jetzt vor allem Maßnahmen zur zwischenmenschlichen Verständigung und zur politischen Vertrauensbildung, aber diese werden nur dann auf Erfolg hoffen können, wenn die Chancen für die Überwindung der systemischen Asymmetrie zwischen einer Staatsnation und einer fragmentierten Gesellschaft glaubwürdig steigen. Ob sie es wollen oder nicht: Israelis und Palästinenser sind und bleiben aufeinander angewiesen. Ohne das Ende der Besatzung ist kein Ende der palästinensischen Gewalt in Sicht. Respekt und Koexistenz statt schwerster meterhoher Betonzäune und Hunderter Straßensperren machen gute Nachbarn in einem Land, das durch Geschichte und Gegenwart eine Einheit bildet.

Alles andere sollte der Zukunft überlassen werden. Der Jerusalemer Politologe Shlomo Avineri hat vor zwei Jahren auf die sinnbildliche Bedeutung des alten hebräischen Wortes "unentschieden" ("teiku") hingewiesen, und der Soziologe Meron Benvenisti wollte dem anhaltenden Kreislauf der Gewalt sogar eine Hoffnung abgewinnen: Vielleicht werde sich daraus stufenweise und zögerlich ein Verständnis oder vielleicht ein Traum entwickeln, dass der utopische Sinn dieses blutigen Kampfes tribalistischer Instinkte in die Schaffung eines ungeteilten und föderierten Landes Israel/Palästina mit menschlichem Antlitz, pluralistischen Strukturen und einer intimen Koexistenz münde. Auch die Phatansien beider Seiten um die Macht des "demographischen Faktors" - den gezielten Einsatz von Geburtenüberschüssen zu politischen Zwecken - deuten in eine Richtung, in der die List der Geschichte der in den vergangenen Jahrzehnten installierten Politik vollendeter Tatsachen einen dicken Strich durch die Rechnung machen würde.


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