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"Sharm-el Sheikh, wir sind wieder da ...." / "Sharm-al-Sheikh, We Have Come Back Again ..."

Von Uri Avnery / by Uri Avnery

Keiner nannte sie die "Ophira-Konferenz". Nicht einmal die Zeitungen der extremen Rechten. Wer denkt überhaupt noch an den Namen Ophira, der Sharm-El-Sheikh während der israelischen Besatzung - als erster Schritt zur Annexion - gegeben wurde?

Wer will sich noch an den berühmten Ausspruch von Moshe Dayan erinnern, Sharm-El-Sheikh sei wichtiger als Frieden ? Ein paar Jahre später nahm derselbe Dayan an den Friedensverhandlungen mit Ägypten teil und gab Sharm-El-Sheikh zurück. In der Zwischenzeit aber hatten etwa 2500 junge israelische Soldaten und, wer weiß wie viel Tausende Ägypter für dieses Statement während des Yom Kippurkrieges ihr Leben gelassen.

Während der Konferenz konnte ich mich eines Liedes nicht erwehren, das mich ständig verfolgte: "Sharm-El-Sheikh, wir sind wieder da ..." Es wurde mit Begeisterung in den Tagen der stupiden Euphorie nach dem 6-Tage-Krieg gesungen. Es erinnerte die Leute an die Zeit, als wir den Ort während des Sinaikrieges 1956 eroberten - wo wir aber vom Eisenhower-Bulganin-Ultimatum gezwungen wurden, uns zurückzuziehen. Nun waren wir also wieder hier.

Ich war 1956 dort: eine schöne Bucht (Sharm-el-Sheikh heißt "die Bucht des alten Mannes"), ein paar kleine Häuser und eine charakteristische Moschee. Bevor sich unsere Armee ein paar Monate später zurückzog, sprengte sie in einem Anfall von Wut und Ärger die Moschee in die Luft.

Jetzt 22 Jahre, nachdem wir Ophira das letzte Mal verlassen hatten ( sang keiner "Sharm-El-Sheikh, wir haben dich wieder verlassen..."), behandelten wir den Platz als ägyptischen Urlaubsort, so ägyptisch wie Kairo und Alexandria. Die Vergangenheit ist gelöscht worden. Die Besatzung ist aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwunden.

Das ist die erste optimistische Lektion aus der Konferenz. Man kann sich zurückziehen. Man kann eine Besatzung beenden. Man kann sogar vergessen, dass israelische Besatzung hier je statt gefunden hat.

Der Geist zweier Leute, die nicht anwesend waren - schwebte über dem, was sich dort abspielte. Der eine war der von George W. Bush. Weder er noch ein anderer Amerikaner saß mit am großen, runden Tisch. Aber alle vier, die dort saßen, wussten, dass sie vollständig abhängig von ihm seien. Husni Mubarak ist abhängig von den 2 Milliarden Dollar, die er jedes Jahr von den USA unter der Schirmherrschaft des Kongresses erhält, die von der Israel-Lobby dominiert wird. König Abdallah von Jordanien erhält viel weniger, aber auch seine Herrschaft hängt von der Unterstützung der USA ab.

Ariel Sharon ist der siamesische Zwilling von Bush und kann sich ohne ihn nicht bewegen. Man kann sich kaum vorstellen, dass er irgendetwas - sei es groß oder klein - tun würde, was Bush aufregen könnte. Abu Mazen spielt va banque in der Annahme, dass Bush den Palästinensern hilft, die Besatzung los zu werden, und mit der Hoffnung, einen Staat zu errichten.

Warum also kamen die Amerikaner nicht nach Sharm? Weil sie nicht bereit waren, das Risiko in einem Prozess zu übernehmen, der womöglich fehl schlagen würde. Sie werden kommen, wenn ein Erfolg sicher ist. Und der ist es im Augenblick nicht.

Der zweite Abwesende war Yasser Arafat.

Die Konferenz hätte ohne seinen mysteriösen Tod nicht stattgefunden. Er nahm Sharon den Vorwand, den Frieden in "Formalin" zu legen, wie es von Dov Weißglas, seinem engsten Mitarbeiter, beschrieben wurde, und der während der Konferenz neben ihm saß. Kein Arafat, kein Vorwand. Israelische Propaganda, die sich große Mühe gegeben hat, Arafat als Teufel darzustellen, wird sich noch größere Mühe geben müssen, um mit Abu Mazen dasselbe zu tun.

Abu Mazen gelang es, den Namen Arafats in seine Rede zu bringen - doch nur auf indirekte Weise. Aber er - und jeder Palästinenser - weiß, dass die 45 Jahre von Arafats Arbeit den Grundstein legten, auf dem Abu Mazen nun seine neue Strategie aufbauen kann. Ohne die 1. Intifada hätte es kein Oslo gegeben, und ohne die zweite Intifada hätte es keine Sharm-El-Sheikh-Konferenz gegeben. Nur der gewalttätige palästinensische Widerstand, den die israelische Armee nicht niederwerfen konnte, hatte Sharon an den runden Tisch gebracht.

Die israelische Armee weiß mittlerweile, dass sie den Aufstand nicht mit militärischen Mitteln besiegen kann. Die Palästinenser haben ihre Selbstachtung wieder gewonnen - so wie die Ägypter im Yom Kippur-Krieg. Viele von ihnen glauben auch, dass Bush in seiner 2. Amtsperiode Israel zu einem Rückzug zwingen wird.

Übrigens hat die Dämonisierung Arafats nach seinem Tode keinesfalls aufgehört. Im Gegenteil, dies geht mit großem Eifer weiter. Der linke und rechte Flügel Israels erklären in fast jedem Artikel und jeder TV-Talkshow einmütig, dass Arafat das große Hindernis zum Frieden war. Nicht die Besatzung, nicht die Siedlungen, nicht die Politik von Netanyahu-Barak-Sharon. Nur Arafat. Der Beweis: Arafat starb - und eins, zwei, drei - schon gibt es eine Konferenz.

Das von Condoleezza Rice gespielte Spiel war besonders amüsant. Sie besuchte die Mukata'ah, wo jeder Stein den Namen Arafats zu schreien scheint. Sie legte keinen Kranz auf sein Grab - was eine minimale Geste der Höflichkeit gewesen wäre, mit der sie die Herzen der Palästinenser gewonnen hätte. Für einen diplomatischen Kompromiss war sie schließlich einverstanden: das Händeschütteln mit Abu Mazen wurde unter dem Bild Arafats aufgenommen.

Arafat hatte wie üblich sein schlaues Lächeln. Er hatte sicher verstanden.

Und was wurde bei der Konferenz erreicht?
Es ist leichter zu sagen, was nicht erreicht wurde.

Das Oslo-Abkommen war ein Fehlschlag, weil dort der Endstatus nicht angesprochen oder erst nach umständlichen Zwischenstadien erreicht werden sollte. Arafat und Abu Mazen hatten ein klares Ziel: ein palästinensischer Staat in allen besetzten Gebieten mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt, Rückzug bis zur Grünen-Linie-Grenze ( mit minimalem Austausch), Auflösung der Siedlungen und eine praktische Lösung für das Flüchtlingsproblem. Die Israelis hatten nicht den Mut, diese unvermeidliche Lösung des Konfliktes zu definieren, und viele träumten noch immer von Groß-Israel.

Dies war ein Rezept für den Fehlschlag. Schon am nächsten Tag begann der Streit um jeden einzelnen Paragraphen.

In Sharm-El-Sheikh wurde die Lösung des Konfliktes überhaupt nicht erwähnt. Abu Mazen gelang es, ein paar Worte darüber zu äußern, aber Sharon reagierte überhaupt nicht. Dieses Überhören ist bedeutsam. Es muss betont werden: Sharon äußerte in Sharm nicht ein einziges Wort, das nicht mit seinem Plan übereinstimmte: 58% der Westbank zu annektieren und die Palästinenser in kleine Enklaven der restlichen Gebieten einzusperren.

So ist es auch mit dem Zeitplan. In Oslo waren Termine festgelegt worden, aber die israelische Seite dachte gar nicht daran, sie einzuhalten. "Es gibt keine heiligen Daten", war Yitzhak Rabins berühmter Ausspruch, nachdem er den Zeitplan unterschrieben hatte.

Das war ein fataler Fehler. Buchstäblich - er tötete Rabin. Das Hinausschieben der Lösung ließ die Friedensgegner Zeit gewinnen, um wieder Stärke zu erlangen, sich neu zu gruppieren und den Gegenangriff zu organisieren, der in der Ermordung von Rabin gipfelte. Vergeblich zitierten wir für Rabin den Spruch von Lloyd George: "Man kann einen Abgrund nicht mit zwei Sprüngen überschreiten."

Abu Mazen sagte in Sharm-El-Sheikh , dass dies der erste Schritt auf einem langen Weg sei. Ein langer Weg ist ein gefährlicher Weg; denn überall lauern Friedenssaboteure, israelische wie palästinensische.

Eine der Grundbedingungen für einen wirklichen Friedensprozess - und vielleicht der wichtigste - ist außerdem die wahrheitsgemäße Darstellung der Realität. Wenn man all den Reden in Sharm-El-Sheikh zugehört hat, konnte man den Eindruck gewinnen, das Hauptproblem sei der "palästinensische Terrorismus", und wenn dieser aufhöre, dann wird alles in Ordnung sein. Die folgende Reihenfolge wäre dann: a) die Palästinenser beenden ihre "Gewalt", b) Israel stoppt die militärischen Aktionen; c) Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen wird eingerichtet und d) Gott und/oder Allah wird für den Rest sorgen.

Pessimisten werden sagen: Die Konferenz hatte kein Ergebnis. Die Waffenruhe hängt an einem seidenen Faden. Bestenfalls wird Sharon sein Versprechen einhalten, sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen und ein paar Siedlungen aufzulösen. Dann werden die Scherereien von neuem beginnen.

Optimisten werden sagen: das ist ein guter Anfang. Das Ende des "Palästinensischen Terrorismus" wird eine neue Atmosphäre in Israel schaffen. Das Auflösen der ersten Siedlungen wird eine entscheidende Konfrontation mit sich bringen. Die Siedler und die nationalistisch-messianischen Rechten werden besiegt werden. Den Menschen wird klar, dass das Leben anders aussehen kann. Die Dynamik des Prozesses wird Sharon mitreißen; er wird nicht in der Lage sein, diese zu stoppen, selbst wenn er es wollte.

Wer wird recht behalten?

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert

12.02.2005


"Sharm-al-Sheikh, We Have Come Back Again ..."

by Uri Avnery

Nobody called it the “Ophira Conference”. Not even the papers of the extreme right. Who today even remembers the name Ophira, which was given to Sharm-al-Sheikh during the Israeli occupation, as a first step to its annexation?

Who wants to remember the famous saying of Moshe Dayan that “Sharm-al-Sheikh is more important than peace”? A few years later, the same Dayan took part in the peace negotiations with Egypt and gave Sharm-al-Sheikh back. But in the meantime, some 2500 young Israelis and who knows how many thousands of Egyptians paid with their lives for that statement in the Yom Kippur war.

While the conference went on, I could not clear my head of a song that was haunting me: “Sharm-al-Sheikh, we have come back again…” It was sung with gusto in the days of the stupid euphoria after the Six-Day war. It reminded people at the time that we had already conquered the place during the 1956 Sinai war but were compelled by the Eisenhower-Bulganin ultimatum to withdraw. So here we were again.

I was there in 1956. A beautiful gulf (“Sharm-al-Sheikh means “the bay of the old man”), a few small houses and a distinctive mosque. Before our army withdrew, a few months later, it blew up the mosque in a fit of pique.

Now, 22 years after leaving Ophira for the last time (nobody sang then “Sharm-al-Sheikh, we have left you again…”) all of us are treating the place as an Egyptian resort, as Egyptian as Cairo and Alexandria. The past has been erased. The occupation has been wiped from our collective memory.

That is the first optimistic lesson from the conference. One can withdraw. One can put an end to occupation. One can even forget that it ever took place.



The spirits of two people who were not there hovered over the proceedings.

One of them was George W. Bush. Neither he nor any other American sat at the large round table. But all the four who were sitting there knew that they are completely dependent on him. Husni Mubarak relies on the two billion dollars he gets every year from the United States, under the auspices of a Congress dominated by the pro-Israeli lobby. King Abdallah of Jordan gets much less, but his regime, too, depends on US support.

Ariel Sharon is the Siamese twin of Bush and cannot move without him. It is barely conceivable that he would do anything, big or small, that would upset Bush. Abu-Mazen, for his part, is playing va banque in the hope that Bush will help the Palestinians to cast off the occupation and establish their state.

So why did the Americans not come to Sharm? Because they are not ready to risk taking part in a process that might fail. They will come when success is assured. And today it is not.

The second absentee was Yasser Arafat.

The conference would not have taken place without his mysterious death. It deprived Sharon of the pretext to put peace in “formalin”, as described by Dov Weissglas, his closest advisor, who sat next to him throughout the conference. No Arafat, no pretext. Israeli propaganda, which worked so hard to portray Arafat as a devil, will have to toil hard to do the same to Abu Mazen.

Abu Mazen succeeded in slipping the name of Arafat into his speech, but only in an indirect way. But he – like every Palestinian – knows that it was the 45 years of Arafat’s work that laid the foundations on which Abu Mazen is now building his new strategy. Without the first intifada there would have been no Oslo, and without the second intifada there would have been no Sharm-al-Sheikh conference. Only the violent Palestinian resistance, which the Israeli army has not been able to put down, has brought Sharon to the round table.

The Israeli army knows by now that it cannot stamp out the insurgency by military means. The Palestinians have recovered their self-respect, much like the Egyptians after Yom Kippur. Many of them also believe that in his second term of office, Bush will impose withdrawal on Israel.

Incidentally, the demonization of Arafat has by no means stopped after his death. On the contrary, it goes on with great fervor. The Left and the Right in Israel, in heart-warming unity, declare in almost every article and TV talk-show that Arafat was the great obstacle to peace. Not the occupation. Not the settlements. Not the policy of Netanyahu-Barak-Sharon. Only Arafat. Fact: Arafat died and hopla – there is a conference.

The game played by Condoleezza Rice was especially amusing. She visited the Mukata’ah, where every stone shouts the name of Arafat. She did not lay a wreath on his grave – a minimal gesture of courtesy that would have won the hearts of the Palestinians. However, as a diplomatic compromise, she agreed to have her handshake with Abu Mazen photographed under the picture of Arafat.

Arafat smiled his canny smile. He surely understood.

So what was achieved at this conference?
Easier to say what was not.

The Oslo agreement failed because it did not spell out the final aim which was to be achieved after the tortuous interim stages. Arafat and Abu Mazen had a clear objective: a Palestinian State in all of the occupied territories with East Jerusalem as its capital, a return to the Green Line border (with minimal adjustments), dismantling the settlements and a practical solution to the refugee problem. The Israelis did not have the courage to define this inevitable solution, and many still dreamed about a Greater Israel.

That was a recipe for failure. And the very next day the quarrelling about every single paragraph began.

At Sharm-al-Sheikh the resolution of the conflict was not mentioned at all. Abu Mazen succeeded in slipping in some words, but Sharon did not react. This omission is very significant. It must be emphasized: Sharon did not utter a single word that does not conform with his plan of annexing 58% of the West Bank and enclosing the Palestinians in small enclaves in the rest of the territories.

The same goes for the timetable. In Oslo dates were indeed fixed, but the Israeli party had no intention of keeping to them. “There are no sacred dates,” Yitzhaq Rabin famously declared after signing the timetable.

That was a fatal mistake. Quite literally – it killed Rabin. The postponement of the solution allowed the opponents of peace the time to regain their strength, to regroup and mount the counter-attack that culminated in the assassination of Rabin. In vain did we quote to Rabin the dictum of Lloyd-George: “You cannot cross an abyss in two jumps.”

Abu Mazen said at Sharm-al-Sheikh that this is the first step on a long road. A long road is a dangerous road. All along it the saboteurs of peace, Israelis and Palestinians, are lurking.

Moreover, one of the basic conditions for a real peace process – and perhaps the most important one – is the truthful representation of reality. If one listened to all the speeches, one could get the impression that the root problem is “Palestinian terrorism”, and that if this stops, everything will be alright. In the following sequence: (a) The Palestinians end their “violence”, (b) Israel stops military actions, (c) security cooperation is established and (d) God and/or Allah will take care of the rest.

Pessimists will say: Nothing came from of the conference. The cease-fire is fragile. In the best case, Sharon will fulfil his promise of withdrawing from the Gaza Strip and dismantling a few settlements. Then the trouble will start anew.

Optimists will say: This is a good beginning. The cessation of “Palestinian terrorism” will create a new atmosphere in Israel. The dismantling of the first settlements will create a crucial confrontation. The settlers and the nationalist-messianic Right will be defeated. People will realize that life can be different. The dynamics of the process will carry Sharon along and he will not be able to stop it, even if he wants to.

Who is right?

12.2.05


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