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Nahostkonflikt: Die Ereignisse ab Januar 2003

Zusammengestellt aus Agenturmeldungen

1. - 5. Januar 2003

Am 1. Januar hat die israelische Wahlkommission einen israelischen Araber von der Kandidatur zur Parlamentswahl Ende Januar ausgeschlossen. Der Vorwurf: Asmi Bischara und seine "Balad"-Partei seien gegen das Existenzrecht Isreals und unterstützten die Intifada. Bereits drei Tage vorher war einem anderen Kandidaten, Achmed Tibi, aus denselben Gründen die Kandidatur verweigert worden. Beide bestreiten die Vorwürfe. Der Staatspräsident Mosche Katzav und der frühere Außenminister Schimon Peres erklärten, die Verfügung der Wahlkommission könnte die Kluft zwischen israelischen Arabern und dem jüdischen Staat vergrößern.

Bei mehreren Zwischenfällen wurden am 1. Januar in den besetzten Gebieten insgesamt fünf Palästinenser getötet. Am Abend hatten israelische Soldaten im nördlichen Gazastreifen drei jugendliche Palästinenser getötet. Nach israelischen Militärangaben wurden die 15-Jährigen von einer Patrouille in einem Gebiet nahe einer jüdischen Siedlung erschossen.
In der Nacht zum 2. Januar drangen israelische Soldaten in vier Flüchtlingslager im Gazastreifen ein. Hier kam es zu heftigen Feuergefechten zwischen bewaffneten Palästinensern und israelischen Soldaten.
Die israelische Armee hat im südlichen Gazastreifen am 2. Januar wieder 25 Häuser von Palästinensern zerstört oder schwer beschädigt. Nach palästinensischen Augenzeugenberichten rissen Räumfahrzeuge der Armee Häuser im Flüchtlingslager von Rafah an der Grenze zu Ägypten ein.
Am 2. Januar tötete eine Spezialeinheit der israelischen Polizei einen Palästinenser, der angeblich einen Terroranschlag verüben wollte. Der Mann soll zuvor in ein Haus an der Grenze zwischen Westjordanland und Israel eingedrungen sein und auf die Bewohner geschossen haben; dies konnten aber fliehen.
Wenige Stunden davor erschossen israelische Soldaten südwestlich von Nablus einen Palästinenser, der eine Tasche mit Sprengstoff bei sich trug.
Ein israelischer Geschäftsmann ist im Westjordanland offenbar von palästinensischen Extremisten umgebracht worden. Die verkohlte Leiche des Mannes wurde am 2. Januar in einem Auto entdeckt.

Nach einem Bericht der Berliner Zeitung "Tagesspiegel" hat ein palästinensischer Extremist mehrfach versucht, den israelischen Botschafter in Berlin, Schimon Stein, töten zu lassen. Das bestätigte ein Sprecher der israelischen Botschaft am 3. Januar. Der in Israel verhaftete Mann sei ein Mitglied der Al-Aksa-Brigaden gewesen. Nach seiner Verhaftung habe sich im Verhör herausgestellt, dass er auch einen Anschlag auf den israelischen Botschafter in Deutschland geplant habe. Eigentlich habe für den Botschafter aber keine Gefahr bestanden. Dem Mann werde nun vor einem israelischen Militärgericht in Samaria der Prozess gemacht.

Die israelische Armee ist am 3. Januar in die Städte Ramallah und Hebron im Westjordanland eingerückt. In Hebron sprengten die Soldaten das Haus eines Aktivisten der radikalen Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad, wie Augenzeugen berichteten. In einem israelischen Gefangenenlager kehrte nach einem Aufruhr palästinensischer Gefangener am Morgen wieder Ruhe ein, berichteten Augenzeugen. Die israelischen Sicherheitskräfte des Camps Ofer im Westjordanland waren zuvor mit Tränengas und Knüppeln gegen die rebellierenden Insassen vorgegangen. Im Flüchtlingslager El Amari nahe Ramallah umstellten nach Augenzeugenberichten etwa 20 Geländewagen das Haus einer palästinensischen Selbstmordattentäterin. Sie hätten das Gebäude zunächst zerstören wollen, hätten dann jedoch von einer Sprengung abgesehen, weil damit ein Teil des Lagers vernichtet worden wäre. Die Palästinenserin hatte sich im Januar vergangenen Jahres in Jerusalem in die Luft gesprengt und dabei einen Israeli mit in den Tod gerissen. Die palästinensischen Gefangenen hatten aus Protest gegen ihre Haftbedingungen ihre Zelte in Brand gesteckt. Bei den Auseinandersetzungen waren etwa fünfzig Menschen verletzt worden.
Israel bezeichnet die Zerstörung von Häusern militanter Palästinenser als Kampf gegen Terroristen. Palästinenser und Menschenrechtsgruppen verurteilen das Vorgehen hingegen als kollektive Bestrafung. Kritik war am 3. Januar auch aus den USA, dem wichtigsten Verbündeten Israels, gekommen. Die USA würden zwar das Recht Israels auf Anti-Terrormaßnahmen anerkennen, sagte der Sprecher im US-Außenministerium Richard Boucher. Menschen durch die Zerstörung ihrer Häuser und ihres Besitzes zu verdrängen, verschärfe jedoch die Situation und untergrabe das Vertrauen in der Region.
Ungeachtet internationaler Kritik an der Abrisspolitik hat die israelische Armee am 4. Januar erneut mindestens zwei Häuser in einem palästinensischen Flüchtlingslager im Gaza-Streifen zerstört. Palästinensische Augenzeugen berichteten, Planierraupen der Armee hätten drei große Häuser im Flüchtlingslager Rafah nahe der Grenze zu Ägypten zerstört. Eine Gruppe von Protestierern aus verschiedenen Ländern habe versucht, die Soldaten von der Zerstörung der Häuser abzuhalten. Die Armee habe sie jedoch mit Rauchbomben und Schüssen in die Luft von den Gebäuden fern gehalten. Die Armee erklärte, sie habe zwei verlassene Gebäude zerstört. Von diesen hätten Palästinenser in der Vergangenheit Panzerabwehrraketen auf israelische Grenzsoldaten gefeuert. - Seit August 2002 hat Israel mehr als 110 Häuser von Palästinensern im Westjordanland eingerissen, berichtet AFP am 4. Januar.

Bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen israelischen Soldaten und bewaffneten Palästinensern sind am 4. Januar im Westjordanland nach übereinstimmenden Angaben beider Seiten sechs Menschen verletzt worden. Fünf der Verletzten seien israelische Soldaten, der sechste sei Palästinenser. Die Kämpfe hätten angefangen, als eine Kolonne gepanzerter israelischer Militärfahrzeuge am Morgen in die Palästinenserstadt Dschenin einrückte, hieß es in palästinensischen Sicherheitskreisen. Nach israelischen Angaben handelte es sich um eine Routinepatrouille. Der gepanzerte Konvoi habe sich nach der Evakuierung der verletzten Soldaten aus Dschenin zurückgezogen.

Zwei Selbstmordattentäter haben sich am Abend des 5. Januar in Tel Aviv zeitgleich in die Luft gesprengt und mindestens 22 Passanten mit in den Tod gerissen (die Zahl der Toten erhöhte sich später auf 24). Wie die israelische Polizei weiter mitteilte, wurden etwa 100 Menschen verletzt, mehrere von ihnen schwer. Es war der erste Anschlag in einer israelischen Stadt seit November. Damals hatte ein Selbstmordattentäter in Jerusalem einen Bus in Luft gesprengt und elf weitere Menschen getötet (siehe unsere Chronik vom 21. November 2002). Die Explosionen vom 5. Januar ereigneten sich in der Nähe eines früheren Busbahnhofs, wo viele ausländische Arbeiter leben. Im Fernsehen hieß es, die meisten Opfer hätten sich in einem Imbiss-Restaurant namens "McChina" aufgehalten. Die Bergung der Opfer habe angesichts der engen Gassen in der Gegend unter erschwerten Bedingungen stattgefunden, weil Krankenwagen im Stau stecken geblieben seien. - Zu der Tat bekannten sich sowohl die militante Gruppe Islamischer Dschihad als auch die Al-Aksa-Märtyrerbrigaden, die der Fatah-Bewegung des palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat nahe stehen. Die Fatah-Bewegung von Arafat hat die radikalislamischen Organisationen wiederholt dazu aufgerufen, von Attentaten auf israelischem Territorium abzusehen und diese, wenn überhaupt, höchstens noch in den besetzten Gebieten auszuführen. Neue Gespräche darüber sollten in der kommenden Woche in Kairo stattfinden. Ob es dazu kommt, ist jetzt fraglich. Das Attentat dürfte im israelischen Wahlkampf den rechten Kräften um Ministerpräsident Scharon Auftrieb geben.

6. - 12. Januar 2003

Nach den Selbstmordanschlägen in Tel Aviv, bei denen am 5. Januar mindestens 22 Menschen getötet wurden, hat das israelische Kabinett am Morgen des 6. Januar Vergeltungsmaßnahmen gegen die Palästinenser beschlossen. Demzufolge dürfen ranghohe Palästinenser nicht an geplanten Gesprächen über die Reform der Palästinensischen Autonomiebehörde in London teilnehmen. Außerdem sollten drei palästinensische Universitäten geschlossen werden, darunter die Universität von Nablus. Bereits in der Nacht beschoss Israel die Stadt Gaza mit Raketen. Ziel waren mehrere Metallfabriken. In seiner nächtlichen Sitzung beschloss das Kabinett darüber hinaus, weitere "zielgerichtete" Operationen ausführen zu lassen - ein Begriff, der sich auf die Tötung führender palästinensischer Extremisten bezieht. Außerdem solle ein Treffen des Palästinensischen Zentralrates am Donnerstag in Ramallah verboten werden, sagte Scharons Berater Raanan Gissin. Vertretern der Autonomiebehörde sollten strengere Reisebeschränkungen auferlegt werden. "Sie haben das Vertrauen verletzt, sodass wir das Recht haben, solche Verteidigungsmaßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, das sich solch schreckliche Terroranschläge nicht ereignen", sagte Gissin.

Israels Reiseverbot für Palästinenser ist in London und Washington auf Kritik gestoßen. London wollte in der kommenden Woche eine Konferenz über die Perspektive des palästinensischen Reformprozesses abhalten. Damit wolle der Westen nach Meinung der US-Administration der arabischen Welt zeigen, dass der Westen das palästinenische Problem nicht vergessen habe, verlautete am 7. Januar aus Wshington. Falls Israel bei seinem Nein bleibe, müsse die Londoner Konferenz abgesagt werden. An der Konferenz sollten neben den Palästinensern Vertreter der arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien sowie das Nahost-"Quartett" teilnehmen. Da Israel nicht eingeladen war, erregte die Konferenz den Unmut des israelischen Ministerpräsidenten Scharon.

Das Oberste Gericht Israels hat am 9. Januar die Entscheidung der Wahlkommission aufgehoben, zwei arabische Kandidaten von den Parlamentswahlen auszuschließen. Ahmed Tibi und Asmi Bischara dürften an den Wahlen am 28. Januar teilnehmen, teilte das Gericht mit. Zudem wies das Gericht das Gesuch von Verteidigungsminister Schaul Mofas ab, bei den Wahlen antreten zu dürfen. Tibi nannte die Entscheidung des Gerichts einen Sieg all jener, die sich gegen seinen und Bischaras Ausschluss im vergangenen Monat gestellt hätten. "Wir fordern die arabische Bevölkerung auf, zur Wahl zur gehen, um die rechten Kräfte in Israel zu stürzen", sagte Tibi der Nachrichtenagentur Reuters.

Israels Armee hat am 10. Januar drei Verbindungsbüros für israelische und palästinensische Sicherheitskräfte geschlossen. "Ihre Existenz war sinnlos", sagte ein Armeesprecher zu den Einrichtungen in Nablus, Tulkarm und Kalkilja. "Es gibt keine Koordination in Fragen der Sicherheit und die Anwesenheit von bewaffneten Männern stellte nur eine Gefahr da." Aus palästinensischen Sicherheitskreisen verlautete, die Armee habe die Waffen der palästinensischen Polizisten beschlagnahmt und die Beamten aus den Büros geworfen. Der palästinensische Leiter der Büros, Rifhi Arafat, sagte, durch die Schließung habe Israel seine Besatzung des Westjordanlandes gefestigt. Im Westjordanland blieb damit nur das Verbindungsbüro in Jericho offen. Die Büros waren vor Beginn des seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Aufstands der Palästinenser gegen die israelische Besatzung eingerichtet worden.

Am 11. und 12. Januar startete die israelische Armee eine Großoffensive im Gazastreifen. Mit mehr als 40 Panzern drang sie in Chan Junis an der ägyptischen Greze ein und verhängte eine Ausgangssperre. Sieben Gebäude, darunter zwei "Werkstätten" seien gesprengt worden. Ein palästinensischer Sicherheitsbeamter wurde durch die Splitter einer Panzergranate getötet.
Panzer drangen auch in die Stadt Beit Chanun im nördlichen Gazastreifen ein, sprengten das Haus eines Selbstmordattentäters und töteten beim Beschuss einer Einrichtung der palästinensischen Polizei einen Offizier.
Bei einem Raketenangriff von einem israelischen Hubschrauber auf ein Auto im Gazastreifen wurden zwei palästinensische Jugendliche (14 und 15 Jahre alt) getötet.
Am 12. Januar gab die Bundesregierung bekannt, dass sie in Kürze die der israelischen Regierung zugesagten zwei Flugabwehrsysteme "Patriot" mit jeweils acht mobilen Startrampen und Flugkörpern ausliefern werde. Nach Ansicht Berlins dienen die Patriot-Raketen der Verteidigung Israels gegen einen irakischen Angriff.

13. bis 19. Januar 2003

Zwei Wochen vor der Wahl in Israel eskaliert die Gewalt wieder. Innerhalb von 24 Stunden wurden bis zum Morgen des 13. Januar sieben Palästinenser, zwei Israelis und zwei arabische Angreifer unbekannter Nationalität getötet. Im israelischen Dorf Gadisch in der Nähe des Westjordanlands erschossen zwei Palästinenser am Sonntag einen Israeli. Die beiden Angreifer wurden getötet. In Hebron wurde ein Palästinenser erschossen, der auf einen Tanklastwagen gefeuert hatte. Ein weiterer Vorfall ereignete sich an der ägyptisch-israelischen Grenze. Drei Eindringlinge wurden dort von einer israelischen Patrouille gestellt. Zwei der Angreifer und ein israelischer Soldat wurden bei dem Schusswechsel tödlich getroffen. Im Gazastreifen wurden bei Gefechten zwei Palästinenser getötet. Zuvor hatte im Gazastreifen ein Hubschrauber eine Rakete auf ein Fahrzeug abgefeuert, in dem Mitglieder der Organisation Hamas vermutet wurden. Die Rakete verfehlte aber das Fahrzeug und tötete zwei unbeteiligte Jugendliche.

Israelische Soldaten hinderten am 13. Januar den palästinensischen Parlamentspräsidenten Achmed Kureia an der Fahrt nach Ramallah, wo er eine Parlamentssitzung eröffnen wollte. Kureia sagte, Israel wolle die palästinensische Autonomiebehörde lähmen und völlig zerstören. Das israelische Kabinett hatte die Bewegungsfreiheit der Palästinenser nach zwei Selbstmordanschlägen vor einer Woche weitgehend eingeschränkt.
Hamas-Führer Scheich Ahmed Jassin lehnte es ab, einen Aufruf des palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat zu befolgen, vor der Wahl keine Angriffe auf israelische Zivilisten auszuführen. Jassin sagte am 13. Januar in Gaza, seine Organisation werde ihre Angriffe auf Israelis nicht einstellen - "nicht vor der Wahl, nicht während der Wahl und auch nicht nach der Wahl". Der Kampf werde bis zum Sieg oder Märtyrertum fortgesetzt. Er sprach sich für Geiselnahmen aus, um palästinensische Gefangene in Israel freizupressen. "Nach unserer Erfahrung mit dem Feind wurden alle Gefangenen bisher im Austausch freigelassen - und unsere Gefangenen in israelischen Gefängnissen warten auf einen neuen Handel", sagte er. Derzeit sitzen mehr als 5.000 Palästinenser in israelischer Haft, mehr als 1.000 werden ohne Anklage oder Prozess festgehalten. Das ist die höchste Zahl seit einem Jahrzehnt.



Bilanz der Gewaltspirale:
Die israelische Streitkräfte haben im vergangenen Jahr 115 unbewaffnete palästinensische Jugendliche getötet. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Zuwachs von mehr als 50 Prozent, wie eine am 13. Januar veröffentlichte Zählung der Nachrichtenagentur AP ergab. Auf der anderen Seite wurden im vergangenen Jahr 36 israelische Jugendliche von Bomben oder Schüssen palästinensischer Attentäter getötet.
Seit dem Beginn des Palästinenseraufstands im September 2000 wurden 2.014 Palästinenser und 713 Israelis getötet. Darunter waren 275 palästinensische und 72 israelische Kinder und Jugendliche, Selbstmordattentäter nicht eingerechnet.

Menschenrechtsverletzungen:
Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) veröffentlichte am 14. Januar 2003 ihren Jahresbericht. Darin kritisierte sie beide Konfliktparteien im israelisch-palästinensischen Konflikt.
Israel töte "wissentlich und ungesetzlich" palästinensische Zivilisten und missbrauche sie als "menschliche Schutzschilde". 4.500 palästinensische Häftlinge, unter ihnen Jugendliche, seien bei ihrer Festnahme und bei Verhören Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Auch wurde kritisiert, dass die Armee 148 verdächtige Palästinenser gezielt getötet habe, statt sie festzunehmen. Mindestens weitere 46 Zivilisten seien bei diesen Aktionen getötet worden.
Die palästinensische Autonomiebehörde habe es nach Auffassung von HRW nicht nur versäumt, Anschläge auf israelische Zivilisten zu verhindern, Arafats Fatah-Bewegung halte auch weiterhin Kontakt zu den Al-Aksa-Brigaden, die für zahlreiche Selbstmordattentate in Israel verantwortlich seien.


Oppositionsführer Amram Mitzna schloss am 14. Januar eine Koalition mit Scharons Likud-Partei nach den Wahlen aus. Die ideologischen Unterschiede seien zur Zeit nicht überbrückbar, sagte er. Außerdem seien Scharon und seine Partei in mehrere Korruptionsfälle verwickelt.

Am 14. Januar begann in London eine internationale Nahost-Konferenz, an der die Vertreter der Palästinenser wegen des israelischen Ausreiseverbots nicht teilnehmen können. Sie sind nur per Videoschaltung beteiligt. Als einziger palsätinensischer Politiker durfte aufgrund seiner amerikanischen Staatsangeghörigkeit Michael Terazi nach London ausfliegen. Der britische Außenminister Jack Straw forderte eine Reform der palästinensischen Autonomiebehörde. Nötig seien eine unabhängige Justiz und eine Verfassung, sagte er. Der palästinensische Minister für die KOmmunalverwaltungen, Saeb Erekat, sagte: Es ist unmöglich, Reformen voranzutreiben, wenn Leute wie ich noch nicht einmal Jericho oder Ramallah verlassen dürfen."

In der Nacht zum 15. Januar ist es in Dschenin zu Zusammenstößen zwischen bewaffneten Palästinensern und Soldaten gekommen. Dabei wurden zwei Palästinenser verletzt und nach palästinensischen und israelischen Angaben mehr als 25 Palästinenser festgenommen. Darunter seien zwei Mitglieder der Al- Aksa-Brigaden, dem bewaffneten Arm der Fatah-Organisation von Jassir Arafat gewesen.
Die israelische Armee hat am 15. Januar die Islamische Universität und das Polytechnische Institut im palästinensischen Hebron geschlossen. Die Bildungseinrichtungen hätten sich zu "Zentren extremistischer religiöser Aktivitäten" entwickelt, sagte ein Verantwortlicher. Empörte palästinensische Studenten wurden unter Einsatz von Tränengas zurück gedrängt. Bei neuen Militäraktionen im Westjordanland erschoss die Armee drei Palästinenser. Nach palästinensischen Angaben starb ein 16-Jähriger, als Soldaten auf Jugendliche, die Steine warfen, das Feuer eröffneten. Ein zweiter Jugendlicher soll die geltende Ausgangssperre missachtet haben. Der dritte Mann war nach Berichten von Anwohnern auf die Straße gegangen, um Soldaten bei der Festnahme zweier militanter Palästinenser zu beobachten. Die Soldaten erklärten, sie hätten vermutet, der Mann habe einen Sprengstoffgürtel getragen, um sich in die Luft zu sprengen. In Jerusalem begannen Polizisten mit der Zerstörung der Häuser von Palästinensern, die hinter Terror-Anschlägen stecken sollen. Im Westjordanland nahmen israelische Soldaten rund 20 mutmaßliche militante Palästinenser fest.
Zwei bewaffnete Palästinenser haben am 17. Januar eine jüdische Siedlung in Hebron überfallen und dabei einen Israeli getötet. Eine Frau und ein Mädchen wurden angeschossen. Einer der Angreifer wurde erschossen, der andere entkam. Die israelische Armee durchsuchte anschließend Hebron und die Siedlung Kirjat Arba nach dem Flüchtigen.
Am 18. Januar haben israelische Soldaten den zweiten der beiden palästinensischen Angreifer vom Vortag getötet. Nach Armeeangaben hatte es zuvor eine stundenlange Suche nach dem bewaffneten Mann gegeben. Über Hebron wurde erneut eine Ausgangssperre verhängt. Ein weiterer Palästinenser wurde bei der Montage einer Satellitenschüssel im Gazastreifen getötet.

Am 18. Januar hat Ministerpräsident Scharon in einem vorab veröffentlichten Interview mit "Newsweek" die Vorschläge des sog. Quartetts zur Errichtung eines palästinensischen Staates als unrealistisch zurück. Das Nahost-Quartett, so wird Scharon zitiert, sei "ein Nichts" und desbalb auch nicht ernst zu nehmen. Einen Tag später relativierte Regierungssprecher Raanan Gissin die Äußerung, indem er sagte, sie sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Sie habe sich auf den Friedensplan bezogen, nicht auf das Quartett selbst. Der Vorschlag des "Quartetts" (EU, UN, Russland, USA) sieht dioe Errichtung eine Palästinenserstaates bis 2005 vor bei gleichzeitigen Reformen der Verwaltungsstrukturen und personellen Veränderungen in der Autonomiebehörde.
Ein Gericht in Tel Aviv hat sich für zuständig erklärt, den Prozess gegen den palästinensischen Politiker und Fatah-Führer Marwan Barghouti durchzuführen. Damit wurde ein Antrag der Vertedigung abgelehnt, die argumentiert hatte, Barghouti genieße als Mitglied des palästionensischen Parlaments Immunität. Nun soll das Verfahren am 6. April beginnen.

20. bis 26. Januar 2003

Die EU hat am 20. Januar die Kritik des israelischen Premierministers Scharon am sog. Nahost-Quartett zurückgewiesen. Das Quartett sei nach wie vor ein "sehr nützliches Instrument", um einen Ausweg aus der Krise zu finden, sagte eine Sprecherin von EU-Außenkommissar Chris Patten in Brüssel.
Die Hisbollah-Milizen in Südlibanon haben am 21. Januar zum ersten Mal seit knapp fünf Monaten wieder einen israelischen Armeeposten mit Raketen beschossen. Nach Angaben des israelischen Rundfunks habe es aber keine Toten und Verletzten gegeben.
Israelische Truppen zerstörten am 21. Januar in einer der größten Abrissaktionen im Westjordanland in der 2.500 Bewohner großen Ortschaft Naslat Issa 62 Geschäfte und Marktstände von Palästinensern. Unter dem Schutz von 300 Soldaten verrichteten sieben Planierraupen ihr Vernichtungswerk. Der Markt war bislang die Haupteinnahmequelle des Ortes.
In Nablus wurden zwei Bildjournalisten von israelischen Grenzpolizisten angegriffen. Die Fotografen der Agenturen ap und afp seien geschlagen und getreten worden, als sie am Abend des 21. Januar Aufnahmen von einem israelischen Jeep machen wollten, der mit zwei quer über der Motorhaube liegenden palästinensischen Jugendlichen durch die Stadt raste, berichtete ap.
Die israelische Armee hat am 22. Januar im Westjordanland weitere Häuser von Palästinensern zerstört. Die Gebäude seien ohne Erlaubnis errichtet worden, erklärte eine Militärsprecherin.
In Umm el Fachm im Norden Israels wurde nach Polizeiangaben ein mit rund 300 Kilo Sprengstoff beladenes Auto abgefangen; die vier Insassen flüchteten.

Am 24. Januar sind in den besetzten Gebieten fünf Menschen getötet worden. Zunächst wurde eine israelische Armeepatrouille angegriffen, wobei drei israelische Soldaten getötet wurden. Wenige Stunden später erschossen israelisch e Soldaten nördlich von Nablus zwei angeblich schwer bewaffnete Palästinenser. Später stellte sich heraus, dass es sich bei den Getöteten um eine 40-jährige Frau und ihren 18-jährigen Sohn handelte.
Israelische Panzerverbände drangen am 24. Januar in den Gazastreifen ein und feuerten im Industriegebiet von Gaza-Stadt Raketen auf Häuser, in denen nach israelischen Angaben Waffen hergestellt werden.

In einer groß angelegten Militäroperation Israels im Gazastreifen wurden am 25. und 26. Januar 13 Palästinenser getötet. 65 Menschen seien bei dem von Panzern und Kampfhubschraubern unterstützten Militäreinsatz in der Nacht verletzt worden, teilte das Krankenhaus in Gaza am Sonntag mit.
Nach palästinensischen Angaben wurden die Häuser von drei Mitgliedern der radikal-islamischen Hamas-Bewegung gesprengt. Außerdem seien Dutzende von Metallwerkstätten zerstört worden. Der Bürochef von Palästinenserpräsident Jassir Arafat, Tajib Abdel Rachim, warf Israel vor, die Palästinenser in die Knie zwingen zu wollen. Die militante Hamas-Bewegung kündigte Vergeltung an.
Israels Verteidigungsminister Schaul Mofas sprach von einem Schlag gegen die terroristische Infrastruktur im Gazastreifen. Nach seiner Darstellung dienten die rund 50 zerstörten Metallwerkstätten zur Herstellung von Waffen. Nach den Worten von Mofas zieht Israel eine Wiederbesetzung des 1994 geräumten Gazastreifens in Betracht. Die Regierung werde entscheiden, wann der günstigste Zeitpunkt für einen solchen Schritt sei, sagte Mofas am 26. Januar im israelischen Rundfunk.
Die israelische Armee will die Palästinensergebiete nach Rundfunkangaben von Sonntagnachmittag (26. Januar) an bis nach der Parlamentswahl in Israel am 28. Januar abriegeln.
Bei einer weiteren Militäraktion am 26. Januar in Rafah wurde ein siebenjähriger palästinensischer Junge erschossen.

27. bis 31. Januar 2003

Am 27. Januar meldete die israelische Zeitung Maariv, dass ein Offizier des israelischen Militärgeheimdienstes seines Postens enthoben wurde, weil er sich aus Gewissensgründen geweigert hatte, einen Vergeltungsangriff in den Palästinensergebieten zu unterstützen. Er hätte die für den Angriff notwendigen Geheimdienstinformationen liefern sollen, tat das aber nicht. Es war der bisher ranghöchste Offizier, der Befehlsverweigerung begangen hat. Der Offizier sagte, er habe den Tod unschuldiger Zivilisten verhindern wollen.

In der Nacht zum 28. Januar wurden zwei Palästinenser von israelischen Grenzsoldaten erschossen, als sie nach israelischen Angaben versucht hatten, in die jüdische Siedlung Azmona einzudringen.
Am 28. Januar, dem Wahltag in Israel, wurden bei Gefechten in Gaza und im Westjordanland mindestens sieben Palästinenser getötet. Vier starben in Dschenin, wo die israelische Armee mit etwa 20 Panzern eingedrungen war, drei Palästinenser, darunter zwei Jugendliche, starben bei einer Explosion in Gaza. Hierüber gab es zwei Versionen: Palästinenser behaupten, Israel hätte eine Rakete auf das Haus in Gaza abgefeuert; die israelische Armee bestreitet das und sagt, eine von Extremisten gebastelte Bombe sei vorzeitig explodiert.

Die Wahlbeteiligung bei den Knesset-Wahlen blieb sehr niedrig. Das Wahlergebnis brachte eine Bestätigung des harten Kurses von Ariel Scharon. (Zum Wahlergebnis vgl. Israel hat gewählt.)
Ministerpräsident und Likud-Chef Ariel Scharon kündigte am Tag nach der für ihn siegreich verlaufenen Wahl an, er woll eine Regierung der nationalen Einheit auf breiter Basis bilden. Amram Mitzna (Arbeitspartei) bekräftigte indessen, dass er für eine Koalition nicht zur Verfügung stehe. Scharon hat 42 Tage Zeit, eine Regierung zu bilden.
Kabinettsminister in der palästinensiscfhen Autonomiebehörde Saeb Erekat äußerte Enttäuschung über die Wahl in Israel und befürchtet eine Verschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Er rief Israel zu neuen Friedensverhandlungen auf.

Am 30. Januar rückten israelische Soldaten mit Panzern, Truppentransportern und Planierraupen in Hebron ein und nahmen mehrere Palästinenser fest. Außerdem wurde eine Ausgangssperre über die Stadt verhängt.
Unter Beschuss gerieten israelische Kampfflugzeuge am 30. Januar in Südlibanon. Die Kampfjets hätten die Küstenstädte Tyre und Sidon überflogen, libanesische Truppen hätten mit Luftabwehrfeuer reagiert. Der Anlass für den israelischen Luftvorstoß war unklar.
Einen Tag später verlängerte der UN-Sicherheitsrat die Mission UNIFIL in der sog. Sicherheitszone in Südlibanon um weitere sechs Monate.
Im Westjordanlang kam es auch am 31. Januar zu gewaltsamen Zsichenfällen. Bei einem Gefecht in Dschenin wurden zwei Palästinenser getötet.



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