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Nahostkonflikt: Die Ereignisse ab Februar 2002

Zusammengestellt aus Agenturmeldungen

1. - 3. Februar 2002

Am 1. Februar wurde in Israel eine Petition von 52 israelischen Soldaten veröffentlicht, in der sie es ablehnen, sich an den Kämpfen in den besetzten Gebieten zu beteiligen.
In der Zeitung Jediot Achronot erschien ein Interview, in dem Ministerpräsident Scharon sagte, er werde bei seinem Besuch in Washington dem US-Präsidenten raten, "Arafat zu ignorieren". "Boykottieren Sie ihn. Vermeiden Sie jeden Kontakt zu ihm." Den Europäern warf Scharon vor, sie würden vor den Palästinensern "kapitulieren". Wenn er, Scharon, in Europa unbeliebt sei, so sei das ein zeichen für den wachsenden Antisemitismus.
Israels Tourismusminister Benni Elon von der rechtsextremen Nationalen Union sagte in einem Rundfunkinterview, seine Partei werde den Plan zur Vertreibung der Palästinenser aus dem Westjordanland wieder aufgreifen. Scharon wies den Plan als "undurchführbar" zurück.
Am 1. Februar wurde bekannt, dass es am 30. Januar ein Treffen zwischen israelischen Regierungsstellen und der Palästinenserbehörde gegeben habe. Dabei soll es um "Sicherheitsfragen" gegangen sein.

4./5. Februar 2002

Am 4. Februar starben bei der Explosion eines Autos im Gazastreifen fünf Palästinenser. Während Israel von einem "Arbeitsunfall" sprach, der entstand, weil eine Bombe in einem Expremistenauto vorzeitig explodierte, warf die Autonomiebehörde den Israelis vor, das Auto mit einer Rakete von einem Kampfhubschrauber aus getroffen zu haben.
Am selben Tag kam es in weiteren Regionen zu israelischen Angriffen: Ein Hubschrauber in Rafah im Süden des Gazastreifens griff eine Stellung palästinensischer Sicherheitskräfte an; es gab mehrere Verletzte. Im Norden des Gazastreifens beschossen israelische Kampfhubschrauber eine Metallverarneitende Fab im Flüchtlingslager Dschabalia. Das Gebäude wurde schwer beschädigt. Ein israelischer Armeesprecher sagte, in der Fabrik würden Granaten hergestellt. Eine israelische Armeeeinheit rückte in der Nähe von bethlehem auf Autonomiegebiet vor.
Am 5. Februar wurden drei Angeklagte in einem Mordprozess in Dschenin im Westjordanland von einer aufgebrachten Menge regelrecht gelyncht. Die Angeklagten, die zuvor zum Tod bzw. zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, sollen den palästinensischen Sicherheitsbeamten Osama Kmeil ermordet haben. Von Kmeil heißt es, dass er mehrere Kollaborateure mit Israel auf dem Gewissen hatte.

6. - 8. Februar 2002

Israels Premierminister Scharon reiste am 7. Februar nach Washington. Die Reise wurde begleitet von einem palästinensischen Überfall auf die jüdische Siedlung Hamra im Jordantal, bei dem vier Israelis, darunter eine Frau und ein Mädchen, getötet wurden. "Im Gegenzug" griffen israelische Kampfflugzeuge das Hauptquartier der Autonomiebehörde in Nablus an; elf Menschen wurden dabei verletzt.
Die Gespräche zwischen Scharon und Bush in Washington verliefen offenbar zur Zufriedenheit Scharons. Israel könne weiterhin auf die Unterstützung Washingtons für den harten Kurs setzen. Allerdings möchten die USA Arafat (noch?) nicht fallen lassen, sondern akzeptieren ihn weiterhin als Ansprechpartner. Die US-Administration will aber den Druck auf den Palästinenserpräsidenten erhöhen. Deutlich geworden sind in Washington aber auch Differenzen innerhald der US-Regierung. Insbesondere sollen Vize-Präsident Dick Cheney und die Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice schärfere Töne angeschlagen haben. Der israelische Verteidigungsminister Ben-Elieser deutete an, Cheney habe ihm gegenüber gesagt: "Wenn es nach mir ginge, könnt ihr ihn (Arafat) aufhängen".

9. - 13. Februar 2002

Die Gewalt im Nahen Osten macht keine Pause. Am Wochenende vom 9./10. Februar wurden bei einem palästinensischen Überfall auf einen israelischen Militärstützpunkt in der südisraelischen Stadt Beerscheba zwei weibliche Soldaten getötet und mehrere weitere Soldaten verletzt. Die beiden Attentäter wurden ebenfalls getötet. - Ein "Vergeltungsangriff" mit Kampfbombern galt den Gebäuden um das Hauptquartier von Arafat. Bilanz: 18 Verletzte. Vier Palästinenser wurden verletzt, als israelische Panzer in Nablus eindrangen. Wenige Stunden zuvor (am Abend des 9. Februar) war eine Israelin im Westjordanland erschossen worden.

Nachdem am 10. Februar zwei Kassam-2-Raketen auf israelischem Territorium einschlugen, reagierte die israelische Armee mit geballter Feuerkraft. Kassam-2-Raketen befinden sich offenbar in der Hand von Hamas. Sie haben eine Reichweite von sechs Kilometer und können eine 3,5-Kilo-Bombe transportieren. Sollte so ein Geschoss in einem israelischen Wohngebiet einschlagen, so wäre das aus Sicht Scharons ein "casus belli". Am 11. Februar befahl Scharon eine Operation, bei der israelische Kampfhubschrauber und F-17-Kampfjäger Bomben auf Ziele in Gaza Stadt abwarfen. Selbst die Fenster im Büro des UN-Koordinators Terje Roed-Larsen gingen dabei durch die Druckwellen zu Bruch.

Am 12. Februar hieß es unter Berufung auf israelische Armeekreise, Israel werde große Teile der autonomen Gebiete langfristig besetzen, wenn "auch nur eine weitere Kassam-2-Rakete" auf israelisches Gebiet abgeschossen würde.
In einem Brief an US-Außenminister Powell versprach Arafat den Waffenschmuggel zu beenden und die Beziehungen zum Iran abzubrechen. Der Brief wurde in Washington als positives Signal aufgenommen.

14. - 17. Februar 2002

"Das Leiden der Menschen auf beiden Seiten" müsse ein Ende haben, sagte Außenminister Fischer bei seiner Ankunft in Tel Aviv am 14. Februar. Pläne für einen neuen Vermittlungsversuch hatte er aber nicht im Gepäck. Seine Hauptbotschaft war indessen an die Adresse der Palästinenser gerichtet: Der Terror, die bewaffnete Intifada muss aufhören. Das sagte er bei einem Vortrag in der Universität Tel Aviv, das sagte er in seinem Gespräch mit Außenminister Peres, und das sagte er auch Palästinenserpräsident Arafat am 16. Februar. Der israelischen Seite empfahl Fischer die Aberkennung eines palästinensischen Staates.
Parallel zu Fischers Nahostreise zerstörte am 15. Februar eine Minenfalle im Gazastreifen einen israelischen Panzer vom Typ Merkava III, einer der modernsten und sichersten Panzer der Welt. Drei Soldaten starben dabei. Die "Vergeltung" bestand in einem Angriff mit Armeebulldozern auf verschiedene Palästinenser-Stellungen im Westjordanland.

Bei der Explosion in einem Einkaufszentrum sind am 16. Februar in der jüdischen Siedlung Karnei Schomron im Westjordanland mindestens drei Menschen getötet worden. Die Zahl der Verletzten liegt nach Angaben der israelischen Tageszeitung "Ha'aretz" (online-Ausgabe) bei 27. Bei einem der Toten soll es sich um einen Palästinenser handeln, der vermutlich der Attentäter ist. Bei den anderen beiden Opfern soll es sich um einen 14-Jährigen und einen 17 Jahre alten Schüler handeln. - Vor dem Anschlag hatten israelische Soldaten im Autonomiegebiet vier Palästinenser getötet, unter ihnen ein führendes Mitglied der radikalen Hamas-Organisation.
Palästinenser haben am 16. Februar eine Kurzstreckenrakete auf israelisches Gebiet abgefeuert. Die Rakete vom Typ "Kassam 2" sei nahe des Kibbuz Kfar Assa im Süden des Landes eingeschlagen, teilte ein Militärsprecher nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP mit. Verletzt worden sei niemand.
Am selben Tag drangen israelische Panzer wieder in den nördlichen Gaza-Streifen ein. Dabei zerstörten sie ein Hauptquartier des palästinensischen Militärgeheimdienstes. Die Panzer seien in die autonome Ortschaft Hai el Seitun eingerückt und hätten das Gebäude zerstört, berichteten palästinensische Sicherheitskräfte. Der Ort liegt in der Nähe der jüdischen Siedlung Nezarim. Dort hatten palästinensische Extremisten am 14. Februar einen israelischen Panzer in die Luft gesprengt und drei Soldaten getötet.

Am 16. Februar fand in Tel Aviv die größte Friedensdemonstration seit Beginn der Intifada Ende September 2000 statt. Allgemein wird dies als Zeichen dafür gesehen, dass in Israel das Vertrauen zur Regierungspolitik Scharons schwindet. Scharon hat bei seiner Amtsübernahme mehr Sicherheit für Israel versprochen; seither hat aber die Gewalt nur zugenommen.

Zwei Palästinenser haben am 17. Februar versucht, einen Selbstmordanschlag zu verüben. Drei Menschen wurden bei dem Zwischenfall Nahe der Stadt Hadera verletzt, die beiden Attentäter kamen ums Leben. Nach israelischen Angaben wurde ein bewaffneter mutmaßlicher Attentäter erschossen, als er bei einer Verkehrskontrolle das Feuer eröffnete. Sein Beifahrer sei zunächst in dem Auto geflüchtet. Wenige Kilometer entfernt sprengte er sich selbst in die Luft. Die beiden Männer hätten offenbar ein Attentat auf eine nahe Armee-Basis verüben wollen, hieß es. Bei der Schießerei wurden fünf Israelis verletzt. Ein Opfer schwebte am Abend noch in Lebensgefahr.
Die israelische Armee hat bereits in der Nacht zum 17. Februar mit Flugzeugen und Hubschraubern Gebäude der Palästinenser im Westjordanland angegriffen. Nach Augenzeugenberichten bombardierte die Luftwaffe den Sitz des Gouverneurs sowie die Polizeizentrale von Nablus. Verletzte gab es nicht, weil die Gebäude zuvor evakuiert worden waren.

18. - 22. Februar 2002

Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter. Am 18./19.Februar starben innerhalb von 24 Stunden vier Israelis und 10 Palästinenser bei Anschlägen bzw. Militärangriffen. Gleichzeitig wächst in Israel die Zahl der Menschen, die sich dem Kriegskurs Scharons widersetzen. Friedensdemonstrationen erhalten wieder mehr Zulauf, großformatige Zeitungsanzeigen "Stoppt das Schießen - beginnt Gespräche" können erscheinen und eine Kampagne höherer Reservegeneräle plädiert für einen Anzug aus weiten Teilen der besetzten Gebiete, für einhe Staatsgründung Palästinas und für den sofortigen Beginn von Verhandlungen.
Am Abend des 19. Februar verübten Palästinenser einen Anschlag auf einen israelischen Armeeposten in der Nähe von Ramallah, bei dem sechs Soldaten getötet wurden. Scharon antwortete am 20. Februar mit einer Militäroffensive in Gaza und im Westjordanland, bei der zahlreiche Ziele unter Beschuss genommen wurden. Dabei kamen mindestens 15 Palästinenser ums Leben. Es handelte sich um einen der massivsten Angriffe seit 17 Monaten. Scharon kündigte an, die Militäroperationen noch zu verstärken.

Am 21. Februar drang die israelische Armee mit Panzern in Gaza-Stadt ein und besetzte zwei Flüchtlingslager. Außerdem sprengte sie eine lokale Fernsehstation, die mit Geldern der EU errichtet worden war. Insgesamt wurden an diesem Tag acht Palästinenser getötet. - Die Palästinenserbehörde gab bekannt, dass sie drei Männer festgenommen habe, die des Mordes am israelischen Tourismusminister Rehavam Zeevi beschuldigt werden.

In einer mit Spannunf erwarteten Fernsehansprache verkündete Ministerpräsident Scharon, eine Pufferzone zwischen Israelis und Palästinensern einrichten zu wollen. Er nannte keine Details. Der israelische Rundfunk meldete, die Pufferzone solle etwa 200 km lang sein und von den Gilboa-Hügeln nördlich von Dschenin bis nach Hebron im Süden des Westjordanlands reichen. Scharons Plan wird von der Palästinenserbehörde strikt abgelehnt und findet auch in Israel wenig Zustimmung. Kritik kam auch aus den USA. Über Scharons Rede waren auch die Ultrarechten enttäuscht, die ein noch härteres Vorgehen der Armee fordern.

23.-28. Februar 2002

Eine dürftige Geste des guten Willens war die Aufhebung des Hausarrests für Yassir Arafat am 24. Februar. Denn gleichzeitig wurde verfügt, Arafat dürfe Ramallah nicht verlassen. Israel verlange erst die Auslieferung der mutmaßlichen Mörder des Tourismusministers Rehavam Zeevi, die wenige Tage zuvor von palästinensischen Polizisten festgenommen worden waren. Mit dieser Verhaftungsaktion hoffte die Autonomiebehörde auf ein Entgegenkommen der Israelis. Die Aufrechterhaltung des Bewegungsverbots für Arafat veranlasste ihn, die vorgesehenen Sicherheitsgespräche zwischen seinen Polizeikräften und israelischen Offizieren abzusagen.

Am 24. Februar kam eine überraschende Friedensinitiative aus Saudi-Arabien. Der saudische Thronfolger Abdullah strebt eine Normalisierung de Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Ländern an. Er schlug vor, dass sich Israel auf die Positionen vor dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 zurückziehen solle. Israel könne auch die Souveränität über die Klagemauer und das jüdische Viertel in der Altstadt von Jerusalem erhalten. Im Gegenzug würden die arabischen Staaten Israel anerkennen und dem Staat Sicherheitsgarantien geben.

Am Wochenende vom 23. und 24. Februar kam es zu weiteren Gewaltakten in den besetzten Gebieten. Am 23. Februar erschossen israelische Soldaten einen Palästinenser im Westjordanland. Nördlich von Ramallah wurden zwei israelische Soldaten von palästinensischen Schützen verwundet. Israelische Soldaten verletzten am 24. Februar im Westjordanland eine schwangere Palästinenserin, die auf dem Weg zum Krankenhaus war. Im Gazastreifen rückten israelische Soldaten in ein Flüchtlingslager in Rafah ein und verwundetenn bei einem Feuergefecht 18 Palästinenser.

Am Vorabend des für den 25. Februar geplanten Besuchs des israelischen Außenministers Schimon Peres in Paris kritisierte sein französischer Amtskollege Hubert Védrine die Politik Scharons. Die israelische Strategie der Unterdrückung führe in eine Sackgasse, sagte er.

Ministerpräsident Ariel Scharon bat am 25. Februar die US-Regierung, einen Kontakt zum saudischen Kronprinzen Abdullah aufzunehmen. Außenminister Schimon Peres findet dessen Friedensvorschläge "faszinierend und interessant."
Der Außenpolitik-Koordinator der EU, Javier Solana, traf am 25. Februar in Jerusalem mit Schimon Peres zusammen. Solana forderte Israel auf, Arafat wieder die volle Bewegungsfreiheit zu gewähren - "je schneller, desto besser". Solana spracxh auch mit Arafat. Danach sagte Arafat, er sei gebeten worden, die Sicherheitsgespräche mit Israel wieder aufzunehmen und er könne sich dieser Bitte nicht entziehen.

Zwei Palästinenser feuerten in einem jüdischen Viertel in der Altstadt von Jerusalem auf Wartende an einer Bushaltestelle. Zehn Personen wurden verletzt. Einer der Attentäter wurde von israelischen Sicherheitskräften erschossen, der andere konnte fliehen.

Auf breite internationale Zustimmung stieß inzwischen die Initiative des audischen Kronprinzen Abdullah. Lob kam am 26. Februar von US-Präsident Bush und von US-Außenminister Powell sowie vom russischen Außenminister Igor Iwanow.

Am 26. Februar wurden neue Unruhen aus dem Gazastreifen gemeldet. Israelische Soldaten schossen auf Häuser im Flüchtlingslager Rafah und verletzten drei Zivilisten. Außerdem wurden zwai Dörfer von der Armee besetzt und durchsucht.

Der israelische Rundfunk meldete am 26. Februar, das Militär habe zwei israelische Reservisten zu vier ochen Haft verurteilt, weil sie sich aus Gewissensgründen weigerten, in den Palästinensergebieten ihren Dienst abzuleisten.

Am 27. Februar kam es wieder zu mehreren Gefechten. An der israelisch-ägyptischen Grenze wurden drei Palästinenser erschossen, die sich angeblich über die Grenze schleichen wollten. Sie hätten Sprengstoffgürtel bei sich gehabt, sagte ein Armeesprecher. - Im Norden Jerusalems wurde der Sohn eines bekannten israelischen Kaffee-Fabrikanten von einem Palästinenser erschossen. - Schusswechsel gab es in einem Flüchtlingscamp nahe Nablus (ein Palästinenser wurde getötet) und im Gazastreifen.
Zu schweren Auseinandersetzungen kam es am 28. Februar im Westjordanland. Die israelische Armee durchkämmte Flüchtlingslager bei Nablus und Dschenin mit Hubschraubern und Panzern - angeblich um Terroristen zu suchen. Dabei wurden 10 Palästinenser und ein israelischer Soldaten getötet, 100 Palästinenser verletzt.


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