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Zahlen sind nicht alles

Myanmars Wirtschaft boomt drei Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur. Beim genauen Hinsehen werden zahlreiche Probleme deutlich

Von Thomas Berger *

Um knappe acht Prozent könnte die Wirtschaftsleistung von Myanmar (Birma) in diesem Jahr zulegen. Nachdem im Finanzjahr 2013/14 (es endete am 31. März) 7,5 Prozent Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) registriert wurden, erwartet die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) in ihrer jüngsten Prognose 7,8 Prozent jeweils für dieses und nächstes Jahr. Auch wenn die Zahl bestenfalls einen Teil der wirtschaftlichen Wahrheit illustriert, ist unstrittig, daß die Ökonomie des südostasiatischen Landes weiter stark zulegen muß, um den Rückstand gegenüber vielen Nachbarstaaten in der Region aufzuholen. Das ASEAN-Mitglied läßt sich mit den ebenfalls im Staatenbund vereinten Thailand, Indonesien, Malaysia oder Vietnam nicht vergleichen. Unter den rund 190 Ländern weltweit rangiert es weit hinten.

Drei Jahre ist es her, daß in der noch jungen Hauptstadt Naypyidaw nach fast fünf Jahrzehnten Militärherrschaft eine nominell zivile Regierung unter Präsident Thein Sein das Heft des Handelns übernahm. Seither hat nicht nur die schrittweise Demokratisierung – trotz aller kontroversen Debatten darum – Fortschritte erzielt. Auch ökonomisch befindet sich das Land im Umbau. Ausländische Konzerne, aus der Region wie aus Europa, den USA oder dem benachbarten China, blicken zwar gierig auf die natürlichen Reichtümer Myanmars und einen Markt mit 60 Millionen Einwohnern, deren Konsumverhalten sich nach Jahren des Mangels gerade zu ändern beginnt. Aber noch wird zurückhaltend investiert. Es fehlen viele Regularien. Was die Firmen aus aller Welt als mangelnde Sicherheit für ihre Investitionen begreifen, ist zugleich auch ein Mangel in Sachen Schutz vor allzu gieriger Ausbeutung oder Markteroberung. Selbst die Angaben für das Wirtschaftswachstum sind nur Schätzwerte – den Ökonomen und staatlichen Behörden fehlt es an ausreichend Daten, um genauere Zahlen zu liefern.

Zu den wichtigen Weichenstellungen in den zurückliegenden Monaten gehörte die Konzessionserteilung an zwei Telekommunikationskonzerne, um landesweit ein Mobilfunknetz aufzubauen. Die norwegische Telenor und Ooredoo aus Katar hatten im Juni 2013 im Bieterverfahren den Zuschlag erhalten. Um bis Ende 2015 rund 80 Prozent der Bevölkerung mit mobiler Telekommunikation zu versorgen, müssen landesweit Tausende Sendetürme errichtet werden. Angaben von Mitte 2013 zufolge liegt die Versorgungsquote lediglich bei 7,1 Prozent der Bevölkerung. Allein Ooredoo hat angekündigt, in den kommenden anderthalb Jahrzehnten 1,5 Milliarden US-Dollar (1,08 Milliarden Euro) in den Aufbau der Netze investieren zu wollen.

Eines der drängendsten Probleme ist die Energieversorgung. Die stetig steigende Nachfrage kann längst nicht befriedigt werden. Eine Firma, die sich Produktionsausfälle wegen unzuverlässiger Stromversorgung nicht leisten kann und will, ist auf Generatoren zur Überbrückung angewiesen. Gestritten wird zudem über ein halbwegs angemessenes Preismodell: Die Regierung hat nach Protesten ihre Erhöhungspläne zuletzt etwas zurückgeschraubt, bleibt damit nach eigener Prognose auf Verlusten sitzen. Zugleich werden einige Firmen als Großabnehmer von Strom gegenüber kleineren Unternehmen beim Preis pro Einheit bevorteilt. Das löst ebenfalls Unmut aus.

Bei den Reisexporten, mit denen Myanmar den Weltmarktführern Thailand, Indien und Vietnam perspektivisch Konkurrenz machen will, mußten im Finanzjahr 2013 Einbußen verkraftet werden. Sie gingen von 1,8 auf rund eine Million Tonnen zurück. Teilweise war die Ernte weniger üppig, teilweise fehlte gerade aus China als wichtigstem Abnehmerland die Nachfrage. Andererseits sind globale Marken wie Coca-Cola oder Visa inzwischen in dem einst auch wegen Wirtschaftssanktionen des Westens abgeschotteten Land vertreten. Ausländische Brauereien wie Heineken und Carlsberg bauen Produktionsstätten auf, ebenso Autoproduzenten wie Nissan oder die Siam Cement Group aus Thailand. Und wenn, wie von der Regierung längerfristig angekündigt, 2015 die bisherigen Barrieren im Banken- und Versicherungssektor fallen, stehen auch die weltweit führenden Finanzkonzerne schon bereit. Sie haben vor allem in der früheren Hauptstadt Yangon (Rangun) bereits Repräsentanzen eingerichtet und Kontakte geknüpft.

Wie das führende Politikmagazin The Irrawaddy dieser Tage unter Berufung auf eine Studie der International Crisis Group (ICG) schrieb, zieht sich das vormals allmächtige Militär zumindest punktuell aus Schlüsselbereichen der Wirtschaft zurück. Die beiden halbstaatlichen Holdings Union of Myanmar Economic Holdings (UMEHL) und Myanmar Economic Corp (MEC) gehören aber weiter zu den wichtigsten Mitspielern bei der ökonomischen Neuordnung des Landes. Kontrolliert von aktiven oder ehemaligen Offizieren, haben sie Einfluß in vielen Sektoren – vom Tourismusgeschäft mit lukrativen Hotels bis hin zur Ausbeutung von Bodenschätzen. Offiziell ist der Anteil für das Militär an den Staatsausgaben seit 2011 von 20 auf jetzt zwölf bis 13 Prozent gesunken. Aber viele Männer, die vor nicht allzu langer Zeit die Uniform ablegten (oder sie teilweise bis heute tragen), sitzen auch noch an den Schaltstellen der Wirtschaft. Diese Clique füllte sich schon zu Diktaturzeiten die Taschen, beispielsweise mit illegalen Tropenholzexporten. Sie wird nunmehr um eine kleine Schicht bürgerlicher Neureicher ergänzt. Jedoch lebt der Großteil der Bevölkerung weiter in Armut. Und die Lebenshaltungskosten steigen stetig. Die Inflation schwankte zuletzt um die sechs Prozent. Vielen Menschen bleibt nur, sich im Ausland als Arbeitsmigranten zu verdingen. Eine nach dortigen Standards schlecht bezahlte Arbeit in den Golfstaaten scheint da allemal verlockender, als in der Heimat selbst mit teilweise guter Ausbildung keine angemessene Anstellung zu finden.

* Aus: junge Welt, Montag, 5. Mai, 2014


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