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Stunde der Wahrheit für Myanmar

ASEAN-Gipfel und zweiter Besuch von Obama in der ehemaligen Militärdiktatur

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

In Myanmar hat am Mittwoch das Gipfeltreffen der Südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN) begonnen. Am Donnerstag wird auch USA-Präsident Barack Obama als »Schlüsselpartner« erwartet.

Es waren prophetische Worte, als Barack Obama im Jahr 2012 als erster USA-Präsident überhaupt das so exotische wie tragische Myanmar besuchte und die Frage, ob eine Reise in die ehemalige Militärdiktatur nicht verfrüht sei, mit folgenden Worten beantwortete: »Wenn wir warten, bis sie eine perfekte Demokratie haben, dann, fürchte ich, müssen wir eine schrecklich lange Zeit warten.« Der Westen schreibt es sich zu, Myanmars Junta mittels Sanktionspolitik in die Knie gezwungen zu haben. Inzwischen allerdings ist die anfängliche Myanmar-Euphorie Ernüchterung gewichen. Reformen stocken, politische Gefangene bleiben in Haft, dieses Jahr erfolgte eine drastische Zunahme der Verurteilungen von Aktivisten und Journalisten, und seit Obamas erstem Besuch sind rund 100 000 Muslime der Rohingya-Minorität aus dem Land geflohen.

Am Donnerstag nun stattet der USA-Präsident dem früheren Pariastaat einen zweiten Besuch ab, der jedoch mehr Pflicht als Unterstützungsgeste ist: Obama hatte im Rahmen seiner Strategie, Asien zum Dreh- und Angelpunkt seiner Außenpolitik zu machen, die Teilnahme beim ASEAN-Gipfel versprochen, der in Myanmars Retortenhauptstadt Naypyidaw stattfindet. Inzwischen würde er wohl bevorzugen, Myanmars Wahlen nächstes Jahr abzuwarten, die als Gradmesser für den Fortschritt des Landes auf dem Weg zur Demokratie dienen werden.

Äußerlich zumindest ist der Wandel unübersehbar. Die frühere Hauptstadt Yangon, das Wirtschafts- und Handelszentrum des einstigen Burmas, ist seit den historischen Wahlen im März 2010 kaum wiederzuerkennen. Im Herzen noch immer eine Kolonialstadt mit prächtigen Gartenanlagen und weiten Alleen, haben neue Kaufkraft und die zuvor verbotene Einfuhr von Privatwagen zu Bauaktivität und einer erheblichen Zunahme des Verkehrs geführt. Investoren können es sich kaum leisten, diesen noch weitgehend unangezapften Markt von knapp 53 Millionen Konsumenten zu ignorieren.

Im Oktober schnappte sich der US-Riese Colgate-Palmolive für 100 Millionen Dollar Myanmars größten Zahnpasta-Hersteller Laser. US-Multis wie General Electric und Coca Cola expandierten längst ins rohstoffreiche Land, um es nicht kampflos den Chinesen, Japanern, Koreanern und Thais zu überlassen, die sich Konsumgütern und Joint Ventures den neuen Markt erobern. Doch Grundstückspreise höher als in Tokio und eine Rechtslage, die sich seit dem Abzug der britischen Kolonialherrn kaum geändert hat, haben die anfängliche Myanmar-Begeisterung merklich abgekühlt.

Um der wachsenden Kritik an seiner erlahmten Reformpolitik zu begegnen, traf sich Präsident Thein Sein unlängst mit Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, deren Partei nächstes Jahr der Wahlsieg sicher scheint. Der Präsident ließ erstmals durchblicken, womöglich die auf Suu Kyi zugeschnittene Verfassung zu ändern, die einem Staatsbürger mit ausländischer Familie das Präsidentenamt verbietet. Suu Kyis Mann war Brite, auch ihre beiden Söhne besitzen den britischen Pass.

Suu Kyis Nationale Liga für Demokratie versuchte erfolglos, das Vetorecht der Streitkräfte bei Verfassungsänderungen zu eliminieren. Sie ziehen nach wie vor die Strippen im Land, weshalb Washington soeben mit einer Konten- und Einreisesperre für den prominenten Geschäftsmann Aung Thaung ein Zeichen zu setzen versuchte: Der Abgeordnete stand dem ehemaligen Militärdiktator Than Shwe nahe und soll den Reformprozess zur eigenen Bereicherung aushebeln.

Suu Kyi nannte das Treffen mit dem Präsidenten eine für die Kameras inszenierte Show. Der Reformprozess sei »abgestorben«, die USA sollten nicht »übermäßig optimistisch« sein. Am Freitag wird sie in Yangon Obama empfangen und sich beraten, wie nächstes Jahr am besten freie und faire Wahlen garantiert werden können. Der politische Arm der Streitkräfte, die »Partei für Solidarität und Entwicklung der Union« (USDP), dürfte versuchen, den Wahlgang abermals zu manipulieren.

Es wäre aber auch naiv, Reformen ohne Hindernisse zu erwarten. »Vor ein paar Jahren«, so Obama, »war es eine störrische Diktatur, feindlich gegenüber den Vereinigten Staaten. Wenn es Myanmar jetzt schafft, dann haben wir einen neuen Partner gewonnen, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern.« Der wichtige nächste Schritt wäre das vor wenigen Jahren noch Undenkbare – Suu Kyi per Verfassungsänderung den Aufstieg zur Staatschefin zu erlauben. Klammern sich die alten Kräfte an alte Privilegien, wird Myanmar Synonym für Versagen bleiben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. November 2014


Gemeinsamer Markt mit Baustellen

Mathias Peer über den ASEAN-Gipfel in Myanmar **

Einigkeit vermitteln sie noch nicht. Als ihre gemeinsame Hymne ertönt, bleiben die Vertreter der ASEAN-Staaten stumm. Im Kongresszentrum von Myanmars Hauptstadt Naypyidaw kennt ein Jahr vor dem geplanten Start des einheitlichen Wirtschaftsraums in Südostasien kaum ein Gipfelteilnehmer den Text. Bis Dezember 2015 soll sich das fehlende Zusammengehörigkeitsgefühl einstellen. Denn dann soll die Asean Economic Community (AEC) etabliert werden – das Projekt eines gemeinsamen Marktes für die 600 Millionen Einwohner der Region.

Dem Zeitplan hinken die zehn Länder aber stark hinterher. Dabei weckt die Wirtschaftsgemeinschaft große Hoffnungen: Laut einem ILO-Bericht könnte die AEC 14 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen und der Wirtschaft der Region in einem Jahrzehnt ein zusätzliches Wachstum von über sieben Prozent bescheren. Doch gibt es noch viele Baustellen. So wurden beim Zollabbau zwar bereits deutliche Fortschritte gemacht. Geht es aber darum, Investoren aus dem benachbarten Ausland dieselben Rechte einzuräumen wie inländischen, zeigen sich die meisten Länder noch zurückhaltend. Auch bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen gibt es Nachholbedarf. Die AEC-Einführung, so Experten, werde nicht auf einen Schlag erfolgen, sondern sei vielmehr ein andauernder Prozess.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. November 2014


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