Buddhas Generäle
Seit 1962 herrscht in Myanmar das Militär – daran werden die Wahlen wohl nichts ändern
Von Fabian Lambeck *
Am 7. November soll im südostasiatischen Myanmar gewählt werden – zum ersten Mal seit 1990.
Der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wurde die Wahlteilnahme untersagt. Nicht nur
deshalb glauben viele, dass die regierende Militärjunta auch weiterhin die Zügel fest in der Hand
halten wird.
»Schon wieder eine neue Brücke«, schmunzelt U Thein. Der Taxifahrer schlürft seinen Tee und
blickt nebenher auf den flackernden Fernsehschirm. Dort läuft die allabendliche Nachrichtensendung
des Staatsfernsehens. Immer wieder sieht man dort Männer in Uniform, die neue Brücken, Schulen
oder Straßen eröffnen. Das Fernsehen beschwört eine heile Welt, die herzlich wenig mit der Realität
des bettelarmen Myanmars zu tun hat. Hier in einer kleinen Teestube am Rande Yangons – der
größten Stadt des Landes –, pflegt man ohnehin ein distanziertes Verhältnis zu den regierenden
Generälen. U Thein erklärt mir auch warum: »Ich als Taxifahrer habe tagtäglich mit den
katastrophalen Straßen zu kämpfen und muss ständig irgendwas an meinem Auto reparieren
lassen«, beschwert sich der 50-Jährige. »Im Fernsehen zeigen sie täglich frisch asphaltierte
Straßen. Ich frage mich nur, wo die sein sollen. Hier in Yangon jedenfalls nicht«, schimpft U Thein
und nestelt dabei an seinem Longyi, dem Wickelrock, den beinahe jeder Birmane trägt.
Eine neue Retorten-Hauptstadt
Die Einwohner Yangons sind nicht gut zu sprechen auf jene Militärjunta, die das zutiefst
buddhistische Land seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1948 fest im Griff hat. Die Generäle mögen
gute Soldaten sein; gute Politiker sind sie nicht. Die Folgen ihrer oft unglücklichen Entscheidungen
müssen die einfachen Menschen ausbaden. So etwa auch den Entschluss, Yangon als Hauptstadt
aufzugeben und einen neuen Regierungssitz zu errichten. Die quirlige Millionenstadt Yangon ist seit
Ende 2005 nur noch Distrikthauptstadt der Yangon-Division. Die Generäle residieren nun in der 300
Kilometer nördlich gelegenen Retortenstadt Naypyidaw.
Auf dem Reißbrett entstanden, liegt die neue Hauptstadt in sicherer Entfernung vom politisch
unruhigen Yangon. »Seitdem verfällt unsere Stadt«, beklagt sich U Thein. Und wirklich, bei einer
Fahrt durch die chaotische Hafenstadt wird schnell sichtbar, dass hier kaum noch jemand investiert.
An vielen Häusern im Zentrum der Stadt nagt der Zahn der Zeit. Selbst für den ehemaligen
Regierungssitz, eine noch von den Briten errichtete Trutzburg aus rotem Backstein, fand sich bislang
keine Verwendung. Er verfällt zusehends. Nur die mit Gold überzogenen Pagoden, wie die berühmte
Shwedagon-Paya, sind stumme Zeugen einer längst vergangenen Epoche.
Yangon verdankte seinen Hauptstadtstatus der Kolonialmacht Großbritannien. Die Briten machten
die Stadt, die sie Rangun nannten, zum größten Hafen ihrer Kolonie Burma. Über die Kaikanten ging
vor allem wertvolles Teakholz. Später kamen Erdöl, Gold und Edelsteine hinzu. Noch heute trägt das
Land, das seit 1989 Myanmar heißt, schwer an seinem kolonialen Erbe. Die unzähligen Konflikte
zwischen Zentralregierung und den zahlreichen Volksgruppen waren direkte Folge der »Teile und
herrsche«-Politik des britischen Empires. Myanmar ist ein Vielvölkerstaat. Die buddhistischen
Birmanen, die vor allem die fruchtbare Ebene des Irrawaddy-Flusses bewohnen, stellen nur knapp
69 Prozent der Bevölkerung. In den Bergen ringsum leben Völker wie die Shan, Chin oder die
christlichen Karen. Die Briten spielten die Volksgruppen gegeneinander aus. So rekrutierten sie vor
allem unter den Karen ihre Kolonialsoldaten, mit denen sie die Birmanen unter Kontrolle hielten.
Kurz nach Abzug der Briten brachen Kämpfe zwischen der Regierung und den nach Unabhängigkeit
strebenden Volksgruppen aus. Als die Situation immer chaotischer wurde, putschte der General Ne
Win im Jahre 1962. Er setzte einen ausschließlich mit Militärs besetzten Revolutionsrat ein und
proklamierte den burmesischen Weg zum Sozialismus. Dieser basierte auf Selbstversorgung,
Isolation, Buddhismus und strikter Neutralität.
Mit Wahlen in die Marktwirtschaft
Der Weg zum Sozialismus entpuppte sich jedoch als Sackgasse. Ende der 80er Jahre lag das Land
wirtschaftlich am Boden. Jahrzehntelange Bürgerkriege und Misswirtschaft hatten das rohstoffreiche
Land ausgezehrt. Die Situation war so ernst, dass selbst General Ne Win umfassende Reformen
forderte und 1988 seinen Rücktritt erklärte. Blutige Unruhen mit tausenden Toten waren die Folge.
Erst langsam erwacht das Land aus seinem Dornröschenschlaf. Die Parlamentswahlen am
kommenden Sonntag sollen ein Fanal für den demokratischen Aufbruch sein. U Thein, mein
Taxifahrer, sieht die Abstimmung mit buddhistischem Gleichmut. »Was soll sich schon ändern? Die
Generäle werden das Land weiter regieren.« Zumindest wirtschaftlich. Im Rahmen einer
gigantischen Privatisierungswelle brachten die Militärs ihre Pfründe in Sicherheit und verscherbelten
in den letzten Monaten Staatseigentum an ihnen nahestehende Geschäftsleute. Vom Sozialismus
hat man sich ohnehin längst verabschiedet und präferiert nun die freie Marktwirtschaft.
Und dazu gehört offenbar der Anschein von demokratischen Wahlen. Größter Schönheitsfehler: Die
bekannteste Oppositionspartei National League for Democracy (NLD) ist nicht dabei. Die Partei
boykottiert die Abstimmung, weil ihre Vorsitzende Aung San Suu Kyi nicht als Kandidatin aufgestellt
werden durfte. Der »Staatsrat für Frieden und Entwicklung« – so der offizielle Name der Militärjunta
– hatte im März dieses Jahres ein neues Wahlgesetz erlassen, wonach verurteilten Häftlingen die
Mitgliedschaft in einer Partei untersagt ist. Das erinnert fatal an die letzten Wahlen im Jahr 1990.
Auch damals hätte die spätere Friedensnobelpreisträgerin wegen des verhängten Hausarrests nicht
ins Parlament gewählt werden dürfen. Doch anders als vor 20 Jahren will die NLD diesmal ohne Sun
Kyi nicht antreten. Trotzdem nehmen insgesamt 37 Parteien an der Abstimmung teil.
1990 hatte die NLD triumphiert und 60 Prozent der Stimmen erhalten. Doch die Militärs erkannten
das Ergebnis nicht an. Die NLD-Vorsitzende Aung San Suu Kyi war bereits im Jahr 1989 unter
Hausarrest gestellt worden. Zwar setzte man die Friedensnobelpreisträgerin später wieder auf freien
Fuß, aber bei Bedarf sperrte man sie immer wieder in ihren »Goldenen Käfig« – eine luxuriöse Villa
am Rande Yangons. Die Tochter des Nationalhelden und Staatsgründers Aung San ist so etwas wie
die tragische Heldin der Demokratiebewegung. Erst im Jahre 1988 war sie nach jahrzehntelanger
Abwesenheit zurückgekehrt. In Verkennung der politischen Realitäten ließ sie sich an die Spitze der
Demokratiebewegung hieven. Dabei sollte man mit solchen Bezeichnungen natürlich vorsichtig sein.
Ähnlich wie in China, ging es einem Großteil der Protestierenden in den 80er Jahren vor allem um
wirtschaftliche Verbesserungen. Und auch die Unruhen im Jahre 2007, bei denen wahrscheinlich
mehr als 200 Demonstranten ums Leben kamen, entzündeten sich an einer Preiserhöhung für bis
dahin stark subventioniertes Benzin. Den Parteien der ethnischen Minderheiten, die der Opposition
zugerechnet werden, geht es mehr um Autonomie als um Demokratie.
Und so komme es auf Frau Sun Kyi auch gar nicht an, meint U Thein. Schließlich hätten die
Generäle einen »Sieben-Punkte-Plan« für den Übergang zu einer »disziplinierten Demokratie«
entwickelt. Er wisse nur nicht, welchen der sieben Punkte man nun erreiche, sagt er und
verabschiedet sich. Dann setzt er sich in seinen altersschwachen Toyota und braust davon. In eine
ungewisse Zukunft auf den löchrigen Straßen Yangons.
* Aus: Neues Deutschland, 4. November
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